199 Missbrauchsbetroffene in den 80er und 90er Jahren im Bistum Trier
In Trier ist jetzt eine neue Studie vorgestellt worden, in der erstmals der Umfang sexuellen Missbrauchs im Bistum in den 1980er und 1990er Jahren untersucht wurde. Demnach soll es in dieser Zeit mindestens 199 Betroffene gegeben haben.
Zwischen 1981 und 2001 sollen im Bistum Trier mindestens 199 Menschen von sexuellen Übergriffen durch Kleriker und Amtspersonen des Bistums betroffen gewesen sein, davon 194 minderjährig. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Mittwoch in Trier vorgestellte Studie.
Die Studie zählt zudem 49 Beschuldigte und mutmaßliche Täter. 14 von ihnen werden in der Studie als "Mehrfach- oder Intensivtäter" beschrieben, die zehn oder mehr betroffene Opfer zu verantworten haben. Einige der Täter hätten "teils lange, über mehrere Jahrzehnte erstreckende kriminelle 'Karrieren' ", gehabt und Missbrauchstaten über den Untersuchungszeitraum hinaus begangen.
Opfer meist Jungen
Die Missbrauchsopfer waren bis auf fünf Personen alle minderjährig. Die meisten Kinder und Jugendlichen waren männlich, nur rund jedes fünfte Opfer war ein Mädchen oder eine junge Frau.
Die Wissenschaftler der Trierer Universität sprechen von einem Hellfeld - und vermuten, dass die tatsächlichen Zahlen höher sind.
Bei den Recherchen stießen die Studienautoren Lutz Raphael, Lena Haase und Alisa Alic auch auf drei Personen, die sich in zeitlicher Nähe zur erlittenen sexualisierten Gewalt das Leben nahmen. Die genauen Umstände könnten zwar nicht mehr aufgeklärt werden, doch diese Fälle zeigten, "welche tiefgreifenden seelischen Nöte und psychischen Schädigungen durch den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen entstehen konnten".
Kritik an Bistumsleitung
Kritik formuliert die Studie an der Bistumsleitung: "Während für die Aufklärung intern Sorge getragen wurde, so wurde die moralische Pflicht zu Anzeige und Information staatlicher Stellen vollständig vernachlässigt."
Zwar sei über eine unabhängige Kommission zur Prüfung der Vorwürfe gesprochen, diese aber nie eingerichtet worden. Laut Studie waren der damaligen Bistumsleitung 20 Beschuldigte bekannt. 29 weitere Beschuldigte seien ab 2010 gemeldet worden.
Unangemessener Umgang mit Intensivtätern
Kritik gibt es auch am damaligen Bischof Hermann Josef Spital. Er war von 1981 bis 2001 in Trier im Amt.
"Spital stellte sich der Aufgabe, Anzeigen sexuellen Missbrauchs nachzugehen, seine Lösungen waren getragen von pastoralem Vertrauen, aber völlig unangemessen angesichts des hohen Rückfallrisikos gerade von Intensivtätern", kritisieren die Forscher.
So sei etwa kein einziges kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet worden. "Man beließ es - wenn diese erfolgten - bei den staatlicherseits verhängten Strafen", schreiben die Studienautoren. In den 20 Jahren habe es nur drei Verurteilungen gegeben. Die Täter erhielten jeweils zwei Jahre auf Bewährung für zwischen 25 und 41 Taten.
Bischof Spital befasste sich persönlich mit mehreren Fällen
"Bischof Spital ging persönlich neue Wege pastoraler Verantwortung, als er Gespräche mit Eltern betroffener Minderjähriger führte, sich um die Belange Betroffener kümmerte", heißt es in dem Bericht. Er war laut Studie mit mindestens 13 Fällen selbst befasst.
Es lasse sich für Bischof Spital keine aktive Vertuschung von einzelnen Fällen des sexuellen Missbrauchs feststellen. Allerdings sei unter seiner Leitung fahrlässig gehandelt worden, wenn weitere Kinder und Jugendliche den bekannten Tätern ausgesetzt worden seien.
Kritik an staatlichen Behörden
Kritisiert werden auch staatliche Behörden in Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Die juristische Ahndung sei in Trier und Saarbrücken von Milde geprägt gewesen. Bei Ministerien und Schulbehörden habe die Kenntnis über sexuelle Übergriffe keineswegs immer zur Anzeige bei der Polizei geführt.
"Vielmehr überwog die Hoffnung auf einen geräuschlosen Ablauf und ein Versanden der Angelegenheit ohne Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden", führen die Autoren aus.
Anlaufstellen für Betroffene
Auf dieser Internetseite finden sich Infos und Anlaufstellen für Betroffene.
Weihbischof Schwarz unterschätzte Missbrauch
Das wissenschaftliche Team hat auch die vorübergehende Bistumsleitung durch Weihbischof Leo Schwarz (2001-2002) untersucht; er war demnach in mindestens neun Fällen involviert. "Insgesamt vermitteln alle von uns herangezogenen Quellen den Eindruck, dass er das Thema sexueller Missbrauch und vor allem dessen Ausmaß und Folgen unterschätzte", so die Forscher und vermuten, dass persönliche Bindungen Schwarz beeinflussten.
Grundlage der Studie mit rund 80 Seiten waren mehr als 1000 kirchliche Personalakten sowie 20 Gespräche mit Betroffenen und Zeitzeugen. Neben dem Missbrauch habe es auch zwei Fälle körperlicher Gewalt gegeben.
Seit 1946 bisher 234 beschuldigte Personen
Die Studie ist Teil des Projekts: "Sexueller Missbrauch von Minderjährigen sowie hilfs- und schutzbedürftigen erwachsenen Personen durch Kleriker/Laien im Zeitraum von 1946 bis 2021 im Verantwortungsbereich der Diözese Trier: eine historische Untersuchung".
Auch die Amtszeiten der Bischöfe Reinhard Marx (2002-2008) und Stephan Ackermann (seit 2009) sollen untersucht werden. Für den gesamten Untersuchungszeitraum zählen die Forscher bislang 234 Beschuldigte und mindestens 711 Opfer.
Ende 2022 ging es in einem Bericht der Historiker um die Amtszeit des ehemaligen Bischofs Bernhard Stein (1967-1980). Dieser war demnach "Teil des Systems" gewesen, das Missbrauchstäter gedeckt und geschützt hatte. Zum Bistum Trier gehören knapp 1,2 Millionen Katholiken in Rheinland-Pfalz und im Saarland.
Über dieses Thema berichtet auch der aktuelle bericht am 24.07.2024 im SR Fernsehen.
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25.07.2024, 08:44 Uhr
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung des Beitrags hieß es, es seien 194 Menschen von Missbrauch im Bistum Trier betroffen. Tatsächlich liegt die Zahl bei 199. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.