Backlash - ich habe Fragen!
Jahrzehntelang haben Menschen in Deutschland und der Welt sich für die großen Themen eingesetzt: Gleichberechtigung, Umweltschutz, ein besseres Leben für alle. Doch seit einiger Zeit scheint es so, als ob die Welt sich zurückdreht. Ein Kommentar von SR-Reporterin Lisa Huth.
Was passiert plötzlich mit den Umweltthemen und den Frauenrechten? Dafür haben Leute wie ich Jahrzehntelang gekämpft. In meiner Kindheit konnte man in Völklingen keine weißen Blusen anziehen. Sie wurden gelbgrau. Die Luft war auch sonst wo schlecht. Aus allen Schornsteinen quoll Rauch aus Ölheizungen, Holz- und Kohleöfen. Ungefiltert natürlich.
Die Rossel und Merle waren die verschmutztesten Flüsse ganz Europas. Der Wald begann damals schon zu sterben und die Biodiversität war ebenfalls bereits bedroht. Es folgte ein langer Kampf durch alle Instanzen. Die Luftqualität wurde besser, die Flüsse sauberer, der Wald erholte sich, sogar das Ozonloch schrumpfte wieder.
Es war aber nie genug, was die 68er und meine Generation gemacht haben. Auch nicht der Einsatz für gleiche Rechte für Männer und Frauen. Wobei es für mich immer um beide Geschlechter ging. Denn die meisten Männer leiden unter dem Patriarchat ähnlich wie Frauen. Frauen durften wählen, entscheiden, ob sie einen Beruf ergreifen, wurden vor Gewalt, auch in der Ehe, geschützt. Irgendwann war es selbstverständlich, dass beide Geschlechter eine gute Ausbildung bekamen. Jedem, der rechnen kann, ist klar: Wer Steuern zahlt und Abgaben leistet, trägt zum Erhalt von Schulen, Brücken, Straßen, Krankenhäusern und Universitäten bei. Gebraucht werden also alle.
Wann hat sich die Entwicklung geändert?
Wo war nun der Kipppunkt? Am 11. September? Als die Welt wieder in religiösen Extremismus umschlug? Ich mache es am Satz eines jungen Kollegen fest, als der IS begann, Videos davon zu veröffentlichen, wie sie Menschen Köpfe abschnitten. Damals brandete die Diskussion auf, dass auch die Männer in Deutschland Frauen beschützen müssten, notfalls mit Gewalt.
Mein Kollege sagte, er und seine Freunde hätten gelernt, ihre Konflikte gewaltfrei zu lösen. Mir wurde klar, dass es tatsächlich gelungen war, eine weitgehend gewaltfreie Generation heranzuziehen. Was für ein Erfolg. Doch spätestens seit dieser Zeit hat Gewalttätigkeit wieder zugenommen. Nicht nur in Fußballstadien. Auch in der Sprache.
Dazu tragen auch die sozialen Medien bei. Heute reicht es, dass ein Noch-nicht-US-Präsident brüllt - und China, Marc Zuckerberg, Tech-Milliardäre, Giganto-Konzerne wie Walmart knicken ein wie Streichhölzer. Der Profit zählt. Soziales immer weniger, auch in Deutschland. Der Planet darf ruhig verbrennen oder ertrinken, die Armut darf zunehmen, Hauptsache für die paar Prozent Superreichen stimmt die Kasse. Für sie wird es auch immer ein Resort geben, wohin sie sich retten können.
Haben wir also dafür jahrzehntelang gekämpft? Dass jetzt alles zurückgefahren wird? Dass SOZIALE Marktwirtschaft und der Grundgesetz-Satz „Eigentum verpflichtet“ nichts mehr zählen? Dass Frauen wieder an den Herd sollen und jeder ihnen an die "Pussy" grabschen darf, der die Macht dazu hat? Alle Klimaschutzmaßnahmen zurückgefahren werden, weil sie dem Profit nicht dienen? Diversität nur noch Kokolores ist und eben nicht mehr jeder leben darf, wie er will und jede auch? Wo bleibt der Aufschrei der Klimaschützer? Der gut ausgebildeten Frauen? Der Frauen UND Männer, die mehr vom Leben wollen?
Denn das Einzige, was zählt, sind mutige Männer und Frauen, die die Errungenschaften verteidigen und sie ERWEITERN. Nur, wenn es ALLEN besser geht, nicht nur wenigen, überlebt dieser Planet. Überleben wir alle.
Ein Thema auf SR kultur - "Der Morgen" am 17.01.2025.