"Die Wahlentscheidung – zumindest in unserer Nachbarregion – basiert größtenteils auf Emotione

"Der Rechtsruck ist erschreckend, aber nicht überraschend"

Sabine Wachs   08.07.2024 | 12:20 Uhr

Frankreich hat gewählt und überraschend hat das Linksbündnis gewonnen. In der Grenzregion konnte sich jedoch die extrem rechte Partei Rassemblement National durchsetzen. Der Rechtsruck ist erschreckend, aber nicht überraschend. Ein Kommentar von Frankreich-Reporterin Sabine Wachs.

Ich bin geschockt, aber nicht überrascht. Ja, der extrem rechte Rassemblement National (RN) wird die Regierung in Frankreich nicht stellen. Ja, das Linksbündnis hat geschafft, was niemand für möglich gehalten hatte. Die Demokratie in Frankreich – sie ist gerettet. Das zumindest feiern viele. Aber ehrlich gesagt: Für mich hier in der Grenzregion ist das Ergebnis dieser Wahl trotzdem vernichtend.

In Moselle haben die extremen Rechten die Nase vorn

In Moselle, direkt ans Saarland angrenzend, haben die extremen Rechten die Nase vorn. Forbach, Saint-Avold, Florange und Saargemünd sind marine-blau. Grenzstädte, die von Europa, vom deutsch-französischen Austausch profitieren, sind an europafeindliche Nationalisten gefallen.

Warum? Weil die es geschafft haben, den Menschen das Gefühl zu geben, wir hören Euch, wir sind für Euch da, wir lindern Eure Sorgen und Ängste. Ob das faktisch der Fall ist, spielt dabei keine Rolle.

Emotionen bestimmen Wahlentscheidung

Die Wahlentscheidung – zumindest in unserer Nachbarregion – basiert größtenteils auf Emotionen. Das verhasste Paris, Präsident Macron, die Regierung und die etablierten Parteien, sie dringen nicht mehr durch.

Viele Menschen in Moselle haben das für sie „kleinere Übel“ gewählt. Und das heißt jetzt RN. Kein Wunder, wenn man sich anschaut, wie runtergewirtschaftet Teile des Départements Moselle sind. Und ich rede nicht nur von sterbenden Innenstädten, schlecht ausgestatteten Schulen oder einer katastrophalen ÖPNV-Anbindung.

Strukturwandel in der Grenzregion stockt

Ich rede von Dingen wie etwa Intensivbetten in Krankenhäusern. Forbach zum Beispiel, immerhin eine Stadt mit mehr als 21.000 Einwohnern, hat kein einziges Intensivbett. Patienten müssen im Notfall auf die insgesamt zwölf Betten in Saargemünd oder Saint-Avold ausweichen.

Ich rede vom Strukturwandel der ehemaligen Bergbauregion Lothringen, der stockt. Von Arbeitsplätzen, die verloren gehen, unter anderem in Carling, wo der Transformationsprozess hin zu Biomasse und grünen Wasserstoff im Kraftwerk Emile Huchet nicht vorangeht. Und seit Jahren schafft es keine Pariser Regierung, den Menschen in solch ländlichen Regionen das Gefühl zu vermitteln: Wir kümmern uns um Euch.

Taten hin, Worte her – auch Macrons „Ich habe Euch gehört“ hilft wenig, solange die RN-Kandidaten im Wahlkampf auf den dörflichen Marktplätzen von Freyming Merlebach bis Hayange präsenter sind als die Macronisten oder die Linken.

Ländliche Regionen in den Fokus stellen

Egal, ob im Norden, im Süden oder im Osten von Frankreich: Es ist jetzt an der Zeit, dass die demokratischen Parteien die ländlichen Regionen in den Fokus stellen, den Menschen mit Worten und Taten das Gefühl vermitteln, wir nehmen Euch wahr, wir machen Politik für und mit Euch.

Denn sie dürfen sich nicht mehr darauf verlassen, dass es der Rest des Landes schon richten wird, wenn die Brandmauer gegen die extreme Rechte in Regionen, wie unserem Nachbardepartement Moselle, auch bei den nächsten Wahlen fällt.


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