Tausende Menschen warten jährlich auf eine neue Augenhornhaut
Tausende Menschen mit Hornhauterkrankungen wünschen sich nichts sehnlicher, als endlich wieder klar sehen zu können. Doch dafür brauchen sie eine neue Hornhaut. Zwar gibt es vergleichsweise viele Spenden – aber noch lange nicht genug.
Die Hornhaut ist, so sagt es Prof. Dr. Peter Szurman, Chefarzt der Augenklinik Sulzbach, das Fenster zur Welt. Ist die Sicht aber fast bis zur Unkenntlichkeit getrübt, ist die Welt nicht mehr die gleiche. Man findet sich nicht mehr zurecht, kann nicht mehr teilhaben an dem, was sich dort draußen alles abspielt und fühlt sich einsam.
Entsprechend groß ist die Hoffnung auf Besserung durch eine Hornhauttransplantation. Doch dafür sind Betroffene auf gespendetes Gewebe verstorbener Menschen angewiesen. Zwar sei die Bereitschaft zu Gewebespenden im Vergleich zu Organspenden vergleichsweise hoch – laut der Deutschen Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) spendeten 2023 insgesamt 3475 Menschen Gewebe, davon allein 3352 ihre Augenhornhaut.
Patienten warten monatelang auf neue Hornhaut
Gleichwohl kommt die DGFG zu dem Schluss: Diese Zahl ist nicht ausreichend. Denn der Bedarf steige immer weiter. Viele Erkrankungen der Augenhornhaut treten mit dem Alter häufiger auf – in unserer alternden Gesellschaft stehe man damit perspektivisch vor einem Problem. Schon jetzt warteten jährlich mehrere Tausend Patientinnen und Patienten in Deutschland Monate, teils bis zu ein Jahr auf eine neue Augenhornhaut.
"Noch immer ist die Gewebespende viel zu wenig bekannt. Viele kennen die Organspende, haben jedoch von den Möglichkeiten der Gewebespende oft noch nicht gehört", erklärt Kristin Kleinhoff, Sprecherin der DGFG. Dabei kämen für eine Gewebespende wesentlich mehr Menschen infrage.
Wer als Gewebespender infrage kommt
Grundsätzlich könne fast jede bzw. jeder Verstorbene spenden. Das Alter spiele keine Rolle. Sogar Menschen, die zu Lebzeiten Brillen- oder Kontaktlinsenträger waren oder an einer Augenerkrankung wie dem Grauen oder Grünem Star, Kurz- oder Weitsichtigkeit oder einer Hornhautverkrümmung litten, könnten problemlos berücksichtigt werden.
"Im Unterschied zur Organspende ist die Gewebespende darüber hinaus nicht an den irreversiblen Hirnfunktionsausfall, auch Hirntod genannt, gebunden, sondern auch nach einem Herz-Kreislauf-Tod möglich", so Kleinhoff – im Fall der Augenhornhautspende bis zu 72 Stunden nach Todeseintritt.
Selbst Krebserkrankungen seien kein Ausschlusskriterium. Wohl aber neurologische Erkrankungen wie Parkinson, Tumore des blutbildenden Systems, beispielsweise Leukämie, oder HIV, Hepatitis B und C – in diesen Fällen ist keine Spende möglich.
Was passiert mit der gespendeten Hornhaut?
Bei der Hornhautspende handelt es sich nach Angaben des DGFG um einen kleinen chirurgischen Eingriff, bei dem die Hornhaut in der Regel mit dem Augengewebe entnommen wird. Nach der Entnahme werden der verstorbenen Person Glasprothesen in ihrer Augenfarbe eingesetzt. Anschließend werden die Lider verschlossen, sodass der Eingriff für Angehörige nicht zu erkennen sei.
Die gespendete Hornhaut wird schließlich in einer Gewebebank beurteilt, präpariert und bis zur Transplantation gelagert – etwa im Knappschafts-Klinikum in Sulzbach, wo laut Prof. Dr. Szurman jedes Jahr im Schnitt 500 Patientinnen und Patienten eine neue Augenhornhaut bekommen.
Jährlich würden in Sulzbach knapp 1000 Transplantate aufbereitet, die bei Bedarf an Kliniken in ganz Deutschland verschickt werden. Dabei sei die Gewebebank in Sulzbach keine "klassische", wie Szurman erläutert – sie sei auf die Präparation von Hornhäuten spezialisiert, die für Teiltransplantationen nach einem Verfahren, das Szurman selbst mit seinem Team entwickelt hat und das inzwischen weltweit angewandt wird, zum Einsatz kommen.
Verfahren aus Sulzbach wird weltweit angewandt
"Bei der sogenannten DMEK-OP muss der Arzt, im Gegensatz zur kompletten Hornhauttransplantation, nur eine ultradünne Schicht der Augenhornhaut ersetzen", erklärt Szurman. Die eigene Hornhaut bleibe also weitestgehend erhalten – lediglich die defekte innere Zellschicht werde per Injektion ersetzt.
Gegenüber einer herkömmlichen Hornhauttransplantation habe das Verfahren, das für 90 Prozent der Patientinnen und Patienten infrage käme, große Vorteile. "Der Eingriff dauert nur zehn bis 15 Minuten und erfolgt in örtlicher Betäubung. Patienten müssen nur wenige Tage stationär behandelt werden und können häufig schon nach maximal einer Woche wieder besser sehen."
Bei einer Volltransplantation sei die Heilungsphase dagegen häufig wesentlich länger; bis sich die Sicht tatsächlich verbessert, könne ein Jahr verstreichen. Auch der Eingriff selbst, bei dem eine Vollnarkose nötig sei, dauere um einiges länger – was vor allem ältere Betroffene zurückgeschreckt habe. "Auch das Risiko einer Abstoßung ist bei einer Teiltransplantation deutlich geringer", sagt Szurman.
Künstliche Hornhaut in naher Zukunft?
In Sulzbach sei die durchschnittliche Wartezeit auf ein Transplantat seit der Eröffnung der Gewebebank im Jahr 2014 von acht bis neun Monaten auf nunmehr zwei Monate gesunken. Szurman führt das auch auf die vergleichsweise hohe Spendenbereitschaft im Saarland zurück. "Das Saarland ist inzwischen eines der absolut führenden Bundesländer, was die Spendenbereitschaft betrifft." Doch auch er sagt: "Genug Hornhautspenden wird es wohl nie geben."
Eine Antwort auf den Spendermangel werde sehr wahrscheinlich Fremd- oder Kunstgewebe sein, glaubt Szurman. In Sulzbach forsche man aktuell zu zwei Projekten, dazu zählt auch die sogenannte Xenotransplantation, die bereits in Herzklappen zum Einsatz kommt. "Gewebe vom Tier lässt sich nicht einfach so transplantieren, das wird sofort abgestoßen. Aber wenn das tierische Gewebe so verändert wird, dass es seine Immunkapazität weitestgehend verliert, dann ist es möglich", erklärt Szurman.
Bis eine künstliche oder fremde Hornhaut genutzt werden kann, würden wohl aber noch Jahre vergehen. Bis dahin also sind Betroffene dringend auf die Spende verstorbener Menschen angewiesen. Seit vergangenem Montag können Menschen in Deutschland auch online festlegen, ob sie nach ihrem Tod Gewebe oder Organe spenden möchten oder nicht – im Fall einer Hornhautspende könnten sie Erkrankten das "Fenster zur Welt" damit wieder öffnen.
Über dieses Thema hat auch der SAARTEXT am 24.03.2024 berichtet.