Wenn Lehrer zu IT-Kräften werden (müssen)

Wenn Lehrer zu IT-Kräften werden (müssen)

Kai Forst   19.09.2024 | 06:28 Uhr

Eigentlich sollen die Landkreise als Schulträger für den technischen Support und die Wartung der Schultablets im Saarland zuständig sein. Doch die Realität sieht anders aus. Denn im Alltag müssen Lehrkräfte in die Bresche springen - auf Kosten der pädagogischen Arbeit.

Das Tablet startet nicht, der dazugehörige Stift macht Mucken oder es müssen wieder mal zahllose Updates auf die Geräte gespielt werden: Alltägliche Situationen in den saarländischen Schulen, die mit dem Einsatz von digitalen Lernmitteln einhergehen.

Das Problem: In den meisten Fällen müssen sich erst einmal die Lehrkräfte damit auseinandersetzen. Schon im März des vergangenen Jahres hatte der SR darüber berichtet, dass der IT-Support häufig an den Lehrkräften hängen bleibt. Verantwortlich für diese Aufgaben sind die Landkreise als Schulträger. Darauf hatte das saarländische Bildungsministerium auf SR-Anfrage verwiesen.

Doch an der unbefriedigenden Situation scheint sich auch anderthalb Jahre später kaum was getan zu haben. Das belegen etwa aktuelle Aussagen von Lehrkräften verschiedener Schulformen im Saarland. Sie alle wollen namentlich nicht genannt werden.

Manchmal erhält man überhaupt keine Rückmeldung mehr.

„Die Versorgung mit Ersatzgeräten, auch mit Ladekabeln und Stiften, ist extrem schwierig. Manchmal haben Schülerinnen und Schüler über Wochen kein geeignetes Gerät“, sagt etwa ein Lehrer. Auch das sogenannte Ticketsystem scheint nur unzuverlässig zu funktionieren. „Inzwischen ist es so, dass man manchmal überhaupt keine Rückmeldung mehr erhält“, erzählt ein Lehrer eines Saarbrücker Gymnasiums.

Eine andere Lehrkraft prangert die Schwierigkeiten bei der administrativen Arbeit mit der Plattform „Online-Schule Saarland“ an. „Probleme wie Passwortvergabe und Identifizierung der Schülerinnen und Schüler nehmen 90 Prozent der Arbeitskraft in Anspruch.“

Auch die Grundschulen sind offenbar von den Problemen betroffen: „In den Grundschulen kümmern sich ausschließlich Kolleginnen und Kollegen um die Administration. Alle Schülerinnen und Schüler bei dem OSS-Messenger einzufügen und anzumelden läuft über Monate. Bei den Schulen, die schülergebundene iPads haben, bleiben die ersten Anfragen häufig morgens kurz vor 8.00 Uhr bei der Klassenleitung oder der Schulleitung hängen“, teilte eine Lehrkraft dem SR mit.

Dadurch geht wertvolle Unterrichtszeit verloren

Szenen, die sich derzeit täglich in allen Schulformen im Land abspielen: Lehrerinnen und Lehrer, die sich mit technischen Problemen, Updates oder Passwörtern auseinandersetzen müssen. Zeit, die für die originären Tätigkeiten dann fehle, prangert etwa der Vorsitzende des Philologenverbandes im Saarland, Marcus Hahn, an. Im vierten Jahr nach Corona gebe es immer noch keinen professionellen Umgang, um die digitale Infrastruktur zu managen. „Noch immer müssen sich Lehrkräfte viel zu oft und viel zu lange mit den Geräten auseinandersetzen und sie zum Laufen bringen. Erstmal das Gerät anschauen und den Fehler entdecken, Tablets zurücksetzen, Tickets erstellen. Dadurch geht wertvolle Unterrichtszeit verloren“, sagte Hahn dem SR.

Schon lange fordert der Verband Fachpersonal, sogenannte technische Assistenten, die sich um diese Belange kümmern, damit die Lehrkräfte sich auf die pädagogische Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern fokussieren können. „Wir haben das bereits vor vier Jahren angesprochen. Doch getan hat sich wenig.“

Gravierende Fehlleitung öffentlicher Mittel

Und Hahn wird noch deutlicher: „Letztlich ist es eine gravierende Fehlleitung öffentlicher Mittel, wenn Lehrkräfte mit zum Teil zwei Staatsexamen Geräte zurücksetzen, Tickets erstellen und sich um sonstige technische Probleme kümmern. Das ist nicht einzusehen.“ Die sogenannten Anrechnungsstunden – also zusätzliche Stunden, die den Lehrkräften für diese IT-Tätigkeiten zur Verfügung gestellt werden, reichten bei Weitem nicht aus.

Hahn ist mit seiner Kritik nicht allein. Auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) beklagt, dass sich an der Belastungssituation durch die zusätzlichen Tätigkeiten wenig geändert habe in den vergangenen 18 Monaten. Ähnlich wie der Philologenverband fordert die GEW daher zusätzliches Personal, das sich um die technischen Belange kümmere. Digitale Hausmeister nennt der GEW-Landesvorsitzende Max Hewer das. „Jede Schule braucht eigentlich eine Person, die sich um den kompletten IT-Support kümmert, damit das nicht an den Lehrkräften hängenbleibt.“

GEW: "Ticketsystem nur unzuverlässig"

Zumal das sogenannte Ticket-System nur sehr unzuverlässig funktioniere. „Mal wird das Ticket schnell bearbeitet, mal dauert es drei Wochen. Man kann sich nicht darauf verlassen. Und das ist natürlich schlecht, wenn man digitalen Unterricht planen will“, so Hewer.

Ähnlich ist die Situation an den Grundschulen im Saarland. „Wenn man ein Ticket schreibt, muss man warten“, sagt die Vorsitzende des Saarländischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (SLLV), Lisa Brausch. „Die ganze Systemadministration ist für die Lehrkräfte in den Grundschulen nicht zu stemmen. Da müssen Fachkräfte her. Denn der IT-Support sollte nicht Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer sein. Das ist nicht verantwortungsvoll.“

Schulträger bleiben vage

Und was sagen die Landkreise als verantwortliche Schulträger? Auf die Frage, wie derzeit die Situation mit Blick auf den IT-Support ist, erhielt der SR von allen Landkreisen dieselbe Antwort. „Im Rahmen des Digitalpaktes haben die Schulträger zum zügigen Aufbau sowie Wartung und Support digitaler Lehr- und Lerninfrastrukturen für alle zu supportenden Bereiche in den Schulen Personal aufgestockt – auch über zusätzliche Mittel aus dem Förderprogramm Administration“. Genaue Zahlen über das aufgestockte Personal lieferten die Kreise nicht.

Bis auf den Regionalverband Saarbrücken: Der Regionalverband teilte auf Anfrage mit, dass die Zahl der Mitarbeitenden des Informations- und Medienzentrums (IMZ) innerhalb der letzten fünf Jahre von 25 auf 55 erhöht worden sei. Durch das Personal würden alle technischen Bereiche im IT-Support bedient. Insgesamt hat der Regionalverband etwa 32.500 mobile Endgeräte ausgegeben, davon 3250 an Lehrkräfte.

Alle Kreise teilten in ihrer Antwort wiederum mit, dass die Schülergeräte derzeit über ein "landesweites zentrales MDM- (Mobile Device Management-) System im Schulterschluss aller Schulträger verwaltet und supportet" werden. Das Zusammenspiel zwischen IT- Support, zuständiger Medienkoordination und den Lehrkräften vor Ort habe sich mittlerweile gut eingespielt.

Wie geht es weiter mit dem Digitalpakt?

Doch das sehen die Lehrkräfte sowie der Philologenverband als auch die GEW und der SLLV ganz anders. Für sie ist klar: So lange es für die Unmengen an neuen Geräten und die damit verbundenen technischen Herausforderungen und Probleme gibt, steht die Digitalisierung der Schulen im Saarland auf tönernen Füßen. Ganz zu schweigen davon, dass noch immer unklar ist, wie es überhaupt mit dem im Mai ausgelaufenen Digitalpakt weitergeht.

Eine Fortsetzung von 2025 bis 2030 - also der Digitalpakt 2 - und damit eine Weiterfinanzierung der Digitalisierung in deutschen Schulen scheiterte bisher an den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Der Bund fordert statt der bisherigen 90:10-Verteilung der Kosten (90 Prozent übernahm der Bund) eine 50:50-Finanzierung.

Über dieses Thema berichten auch die SR info-Nachrichten im Radio am 18.09.2024.


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