Eine Person schläft auf einer Bank. (Foto: picture alliance/dpa/Paul Zinken)

Sozialmediziner: Politik unternimmt zu wenig gegen Armut

Mit Informationen von Emil Mura   12.11.2024 | 06:12 Uhr

Rund jeder fünfte Saarländer lebt offiziellen Zahlen zufolge in Armut. Schon seit Jahren nehmen Armut und Wohnungslosigkeit im Saarland immer weiter zu. Das liege auch daran, dass die Politik zu wenig dagegen unternehme, kritisiert Sozialmediziner Gerhard Trabert im SR-Interview.

Fast 20 Prozent der Bevölkerung im Saarland gelten als arm oder armutsgefährdet. Schon seit Jahren liegt die Armutsquote hierzulande im Bundesvergleich besonders hoch.

Auch die Einkommensarmut ist im Saarland größer als im Bundesdurchschnitt. Besonders stark ausgeprägt ist sie bei Geringqualifizierten und Ausländern beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund.

Video [aktueller bericht, 11.11.2024, Länge: 1:50 Min.]
Jeder Fünfte im Saarland von Armut betroffen

Frauen häufiger arm als Männer

Armut trifft zudem nicht nur Menschen, die arbeitslos sind. Immer mehr Menschen fallen unter die Armutsgrenze, obwohl sie erwerbstätig oder in Rente sind.

Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Während die Armutsrisikoquote bei Männern im Jahr 2020 bei 14,8 Prozent lag, betrug sie bei Frauen 17,6 Prozent. Besonders gefährdet sind dabei Alleinerziehende. Auch Pflegebedürftigkeit stellt ein verstärktes Armutsrisiko dar.

Ab wann gilt man als arm?

Als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet gelten Menschen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügen.

Immer mehr Wohnungslose

Auch Wohnungslosigkeit ist im Saarland seit Jahren ein zunehmendes Problem. Allein im Haus der Diakonie in Saarbrücken hat sich die Zahl der Menschen ohne Meldeadresse seit 2020 mehr als verdoppelt.

Video [aktueller bericht, 11.11.2024, Länge: 3:53 Min.]
Sozialmediziner Gerhard Trabert: „Armut macht krank und Krankheit macht Armut“

Verbindung zwischen Armut und Krankheit

Auch Armut und Krankheit stehen oft in Verbindung und bedingen sich sogar gegenseitig. Wer zum Beispiel krank wird und seinen Job nicht mehr ausüben kann, erlebt oft einen sozialen Abstieg. Wer sich aufgrund seiner Armut keinen gesunden Lebensstil leisten kann, wird oft krank.

Gerhard Trabert ist Arzt für Allgemein- und Notfallmedizin sowie Buchautor und engagiert sich seit Jahrzehnten für arme und wohnungslose Menschen. Unter anderem hat er das sogenannte "Mainzer Modell" entwickelt. Einer der Bestandteile ist eine bessere medizinische Versorgung von Wohnungslosen.

"Politiker sind weit weg von der Lebensrealität"

Trabert engagiert sich auch politisch, hat beispielsweise für die Linke bei der Europawahl kandidiert. Die etablierten Parteien unternähmen zu wenig gegen Armut, sagt er im Interview mit dem SR. Stattdessen würden beispielsweise Bürgergeldempfänger stigmatisiert.

"Ich glaube, dass sehr viele Entscheidungsträger sehr weit weg von der Lebensrealität der Menschen in unserem Land sind. Die können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, von Bürgergeld zu leben."

Dabei gebe es zahlreiche Stellschrauben, mit denen man Armut bekämpfen könne: Angefangen von höherem Bürgergeld, über die Abschaffung der dualen Krankenversicherung bis hin zu Investitionen im Bildungssektor.

Über dieses Thema hat auch der "aktuelle bericht" im SR Fernsehen am 11.11.2024 berichtet.


Armut im Saarland

Bericht der Wohlfahrt
Armut im Saarland nimmt weiter zu
Knapp ein Fünftel der Saarländerinnen und Saarländer leben offiziell in Armut – und das manchmal auch trotz Arbeit. Damit rutscht das Saarland im Ländervergleich vom siebten auf den zwölften Platz ab.

Working poor
Viele Menschen im Saarland sind trotz Arbeit arm
Laut EU-Definition ist man arm, wenn man weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung hat. Und das kann auch Menschen treffen, die arbeiten gehen. Dabei gibt es im Saarland besonders viele Betroffene.

Tag der Wohnungslosen
Immer mehr Wohnungslose im Saarland
Wohnungslosigkeit ist ein zunehmendes Problem im Saarland. Allein im Haus der Diakonie in Saarbrücken hat sich die Zahl der Menschen ohne Meldeadresse seit 2020 mehr als verdoppelt. Zum Tag der wohnungslosen Menschen machen Hilfsorganisationen heute auf das Thema aufmerksam. Dabei soll auch die Perspektive der Betroffenen selbst eine Rolle spielen.

Zu Besuch im Kinderhaus "Falke" in Saarbrücken
Armut zeigt sich vor allem auch bei der Ernährung
Rund drei Millionen Kinder in Deutschland wachsen in Armut auf. Und die Situation wird in vielen Familien immer schwieriger. Das spüren auch soziale Einrichtungen wie Kinderhäuser. So zum Beispiel das Kinderhaus "Falke“ in Alt-Saarbrücken.
2000 mehr als im Jahr 2022
Zahl der Wohnungslosen im Saarland stark angestiegen
Im Saarland sind immer mehr Menschen von Wohnungslosigkeit betroffen. Bei einer Fachtagung im Sozialministerium ging es um verschiedene Lösungsansätze, etwa das Projekt "Housing First". Das Land will außerdem künftig mehr Geld in die Hand nehmen, um gegen Wohnungslosigkeit vorzugehen.
Fehlender Wohnraum, schlechter ÖPNV
Menschen auf dem Land sind auch oft von Armut betroffen
Armut auf dem Land ist ein Thema, über das nicht viel gesprochen wird. Das möchte die Saarländische Armutskonferenz ändern. Der Verein hat deshalb am Dienstag den ersten Bericht über Armut im ländlichen Raum vorgestellt.

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