Sozialmediziner: Politik unternimmt zu wenig gegen Armut
Rund jeder fünfte Saarländer lebt offiziellen Zahlen zufolge in Armut. Schon seit Jahren nehmen Armut und Wohnungslosigkeit im Saarland immer weiter zu. Das liege auch daran, dass die Politik zu wenig dagegen unternehme, kritisiert Sozialmediziner Gerhard Trabert im SR-Interview.
Fast 20 Prozent der Bevölkerung im Saarland gelten als arm oder armutsgefährdet. Schon seit Jahren liegt die Armutsquote hierzulande im Bundesvergleich besonders hoch.
Auch die Einkommensarmut ist im Saarland größer als im Bundesdurchschnitt. Besonders stark ausgeprägt ist sie bei Geringqualifizierten und Ausländern beziehungsweise Menschen mit Migrationshintergrund.
Frauen häufiger arm als Männer
Armut trifft zudem nicht nur Menschen, die arbeitslos sind. Immer mehr Menschen fallen unter die Armutsgrenze, obwohl sie erwerbstätig oder in Rente sind.
Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Während die Armutsrisikoquote bei Männern im Jahr 2020 bei 14,8 Prozent lag, betrug sie bei Frauen 17,6 Prozent. Besonders gefährdet sind dabei Alleinerziehende. Auch Pflegebedürftigkeit stellt ein verstärktes Armutsrisiko dar.
Ab wann gilt man als arm?
Als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet gelten Menschen, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügen.
Immer mehr Wohnungslose
Auch Wohnungslosigkeit ist im Saarland seit Jahren ein zunehmendes Problem. Allein im Haus der Diakonie in Saarbrücken hat sich die Zahl der Menschen ohne Meldeadresse seit 2020 mehr als verdoppelt.
Verbindung zwischen Armut und Krankheit
Auch Armut und Krankheit stehen oft in Verbindung und bedingen sich sogar gegenseitig. Wer zum Beispiel krank wird und seinen Job nicht mehr ausüben kann, erlebt oft einen sozialen Abstieg. Wer sich aufgrund seiner Armut keinen gesunden Lebensstil leisten kann, wird oft krank.
Gerhard Trabert ist Arzt für Allgemein- und Notfallmedizin sowie Buchautor und engagiert sich seit Jahrzehnten für arme und wohnungslose Menschen. Unter anderem hat er das sogenannte "Mainzer Modell" entwickelt. Einer der Bestandteile ist eine bessere medizinische Versorgung von Wohnungslosen.
"Politiker sind weit weg von der Lebensrealität"
Trabert engagiert sich auch politisch, hat beispielsweise für die Linke bei der Europawahl kandidiert. Die etablierten Parteien unternähmen zu wenig gegen Armut, sagt er im Interview mit dem SR. Stattdessen würden beispielsweise Bürgergeldempfänger stigmatisiert.
"Ich glaube, dass sehr viele Entscheidungsträger sehr weit weg von der Lebensrealität der Menschen in unserem Land sind. Die können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, von Bürgergeld zu leben."
Dabei gebe es zahlreiche Stellschrauben, mit denen man Armut bekämpfen könne: Angefangen von höherem Bürgergeld, über die Abschaffung der dualen Krankenversicherung bis hin zu Investitionen im Bildungssektor.
Über dieses Thema hat auch der "aktuelle bericht" im SR Fernsehen am 11.11.2024 berichtet.