Warum eine Krankenkasse im Saarland HNO-Ärzten jetzt mehr Geld für OPs bezahlt
Etwa sechs bis acht Monate warten Eltern mit Kindern derzeit auf bestimmte Operationen im Bereich Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Gerade bei sehr jungen Kindern kann das gravierende Folgen haben. Eine Krankenkasse im Saarland zahlt HNO-Ärzten deshalb jetzt mehr Geld für diese OPs. Was sie damit erreichen will.
Kleine Kinder leiden häufig unter wiederkehrenden Mittelohrentzündungen. Diese Entzündungen sind nicht nur schmerzhaft, sie sorgen auch dafür, dass das Kind in dieser Zeit schlechter hört.
Hat ein Kind immer wieder solche Probleme, raten Kinderärzte und Hals-Nasen-Ohren-Ärzte in der Regel zu einem kleinen operativen Eingriff: Häufig werden dabei vergrößerte Rachenmandeln (Polypen) entfernt, oft in Kombination mit dem Einsetzen von sogenannten "Paukenröhrchen".
Diese sorgen dafür, dass sich kein Sekret mehr hinter dem Trommelfell sammelt und das Mittelohr besser belüftet ist, was Entzündungen vorbeugt und das Kind wieder besser hören lässt.
Lange Wartezeiten auf HNO-OPs bei Kindern
Allerdings gibt es für diese HNO-Operationen aktuell lange Wartezeiten – auch im Saarland.
Beim Caritas-Klinikum Saarbrücken müssen Kinder derzeit etwa sechs Monate auf einen Termin warten, sagt Susanne Faas, Sprecherin der Klinik. Am Universitätsklinikum in Homburg beträgt die Wartezeit für Mandel- und Polypen-Operationen sechs bis acht Monate.
Ähnlich lange ist die Wartezeit auch bei niedergelassenen HNO-Ärzten im Saarland: zwischen sechs und neun Monaten laut Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte.
Gravierende Folgen für die Sprachentwicklung
Für die betroffenen Kinder können diese langen Wartezeiten drastische Folgen haben, warnt der Sprecher der Kinder- und Jugendärzte im Saarland, Benedikt Brixius. "Wenn Kinder in einer wichtigen Phase der Sprachentwicklung schlecht hören, hat das gravierende Folgen." Es wirke sich zum einen direkt auf die Sprachentwicklung und in der Folge auch auf die kognitive Entwicklung aus.
"Das kann hinterher eine Reihe von weiteren Therapien zur Sprachförderung nach sich ziehen, die man nicht gebraucht hätte, wenn das Kind schneller operiert worden wäre", so Brixius.
HNO-Verband: Immer weniger Operateure
Aber warum gibt es diese langen Wartezeiten?
"Wir haben eine stark steigende Nachfrage nach HNO-Operationen bei Kindern und Kleinkindern", sagt der Sprecher des Uniklinikums Homburg, Christian Schütz auf SR-Anfrage. "Hauptgrund dafür dürfte nach unserer Einschätzung sein, dass die genannten Eingriffe immer seltener von niedergelassenen HNO-Ärzten durchgeführt werden."
Das bestätigt auch der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte im Saarland. Matthias O. Heinze, Landesvorsitzender der HNO-Ärzte, schätzt, dass "in den vergangenen zehn Jahren circa 50 Prozent der Operateure im Bereich HNO aufgehört haben". Hauptgrund sei die schlechte Vergütung.
Kliniken: Eingriffe sind "defizitär"
Wie der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf SR-Anfrage mitteilte, gibt es deutschlandweit schon seit Jahren Streit um die Vergütung dieser vergleichsweise kleinen HNO-Eingriffe.
Sowohl der HNO-Ärzteverband im Saarland als auch das Caritas-Klinikum Saarbrücken sagen auf SR-Anfrage, diese Operationen seien momentan "nicht wirtschaftlich durchführbar".
"Aufgrund der hohen Sicherheitsstandards für Kinder sind während der OP mehr Fachkräfte im Einsatz, was insbesondere in Kliniken zu einem erhöhten finanziellen Aufwand führt", erklärt Faas vom Caritas-Klinikum. In Kliniken sowie bei niedergelassenen Praxen seien diese Eingriffe damit "defizitär".
Wie viel Geld es für die Eingriffe gibt
HNO-Ärzte fordern schon seit längerem mehr Geld für diese Eingriffe, um mehr Ärzte dazu zu bringen, diese OPs anzubieten. Laut Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) wurden die Sätze für diese OPs nach einer vorübergehenden Senkung aber wieder erhöht. Der Verband führt folgendes Rechenbeispiel an:
Im Jahr 2022 zahlte die gesetzliche Krankenversicherung für eine operative Entfernung der Rachenmandeln oder das Einsetzen von Paukenröhrchen unter Narkose bis zu 277 Euro für den kompletten Eingriff. Allerdings setzt sich diese Zahl zusammen aus dem Anteil für den operierenden HNO-Arzt und dem Anteil für den Anästhesisten, der für die Narkose zuständig ist.
Seit dem 1. Januar 2025 zahlt die GKV nach eigenen Angaben für den kompletten Eingriff 363 Euro, davon entfielen aber nur rund 115 Euro auf den Anteil des HNO-Arztes.
Laut HNO-Ärzteverband ist diese Vergütung zu gering. Wenn man Abgaben, unter anderem für Verbrauchsmaterialien, Personalkosten und OP-Miete berücksichtige, zahle man am Ende als Arzt dabei drauf, so Heinze.
Kurze OPs
Laut Caritas-Klinikum und UKS dauert ein Eingriff wie die Entfernung der Rachenmandeln etwa 20 Minuten, das Setzen von Paukenröhrchen etwa 15 bis 20 Minuten. Werden Eingriffe zusammen in einer OP durchgeführt, also etwa die Rachenmandeln entfernt und Paukenröhrchen gesetzt, darf laut GKV-Spitzenverband jeweils der teuerste Eingriff abgerechnet werden und für den weiteren ein Zuschlag erhoben werden, der sich nach dem Zeitaufwand richtet.
Krankenkasse IKK bezahlt mehr Geld für gleiche OPs
Bei der Krankenkasse IKK Südwest hat man sich deshalb einen besonderen Weg überlegt: Die Kasse hat mit dem Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte einen eigenen Vertrag abgeschlossen. Darin wurde vereinbart, dass die HNO-Ärzte für bestimmte ambulante Eingriffe an Kindern zusätzlich zu der normalen Vergütung noch einen Zuschlag bekommen.
Dies betrifft nach Angaben der IKK unter anderem das Setzen von Paukenröhrchen sowie die Vor- und Nachsorge im Zusammenhang mit der Operation.
Das heißt: Für die gleiche OP bekommen HNO-Ärzte nun bei Kindern, die bei der IKK versichert sind, mehr Geld. Als Gegenleistung sollen die Kinder innerhalb von vier Wochen einen OP-Termin bekommen. Außerdem muss der Arzt beispielsweise bis zu sieben Tage nach der Operation für eventuelle Rückfragen und Nachsorge zur Verfügung stehen.
OP-Termin innerhalb von vier Wochen
Mathias Gessner, Sprecher der IKK Südwest sagte auf SR-Anfrage, man wolle damit erreichen, dass Kinder, die bei der IKK versichert sind, weniger lange Wartezeiten für die OPs haben, also schneller Termine bekommen. Damit wolle man den Leidensdruck betroffener Kinder und ihrer Familien mindern. Eine schnellere OP helfe zudem, Folgeerkrankungen zu vermeiden.
Die genaue Höhe des Zuschlags möchte die IKK aus Gründen der Wettbewerbssituation nicht veröffentlichen.
Man sei saarlandweit die erste Krankenkasse, die eine solche Vereinbarung mit den HNO-Ärzten geschlossen habe. Es gebe aber auch schon in anderen Bundesländern, wie etwa Berlin, andere Krankenkassen, die ähnliche Vereinbarungen geschlossen hätten.
Werden IKK-Kinder jetzt bevorzugt?
Knappe OP-Kapazitäten und eine Krankenkasse, die mehr Geld zahlt – führt das nicht am Ende weiter in eine Zwei-Klassen-Medizin, in der die Kinder der "richtigen" Krankenkasse schneller operiert werden und andere das Nachsehen haben?
Der Sprecher der HNO-Ärzte im Saarland, Heinze, betont auf SR-Anfrage, es komme nicht zu einer Bevorzugung von IKK-Patienten. Stattdessen würden zusätzliche OP-Kapazitäten geschaffen.
Das bezweifelt allerdings der Spitzenverband der GKV. "Wir fragen uns, woher die freien Kapazitäten plötzlich kommen, die vor der Honorarerhöhung angeblich nicht da waren?", so Janka Hegemeister, Sprecherin des Verbandes.
Kritik von der GKV
Der GKV-Spitzenverband sieht dieses Vorgehen insgesamt kritisch: "Die gemeinsame Selbstverwaltung funktioniert nicht, wenn einzelne Akteure die Entscheidungen ihrer legitimen Vertretungen, in diesem Fall die der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hintertreiben", sagt Hegemeister.
"Selbstverständlich ist es das gute Recht der HNO-Verbände, für ihre Honorarinteressen zu kämpfen. Unser Verständnis für derlei Aktivitäten hört aber in dem Moment auf, wo der Kampf auf dem Rücken der Patienten und Patientinnen ausgetragen wird."
Über dieses Thema berichtet auch SR 3 Saarlandwelle im Radio am 29.03.2025.