Eine Ernährungsberaterin hält während des Gesprächs den Plan für einen Patienten in der Hand. (Foto: picture alliance / Zoonar | Svyatoslav Lypynskyy)

"Ernährung kann nicht nur Krankheiten vorbeugen, sondern auch heilen"

Das Interview führte Sandra Schick   21.04.2024 | 19:08 Uhr

Dass gesunde Ernährung dabei hilft, Krankheiten vorzubeugen, ist allgemein bekannt. Doch was, wenn man bereits an einer schweren Krankheit leidet? Das richtige Essen kann bei vielen Erkrankungen entscheidend zur Heilung beitragen, sagt Ernährungsmedizinerin Verena Keller von der Uniklinik Homburg.

"Ihr Cholesterinspiegel ist zu hoch. Essen sie weniger Eier und lassen sie Butter weg." Diesen Klassiker haben viele schon von ihrem Hausarzt gehört. Die einen befolgen ihn, die anderen nicht.

Welche Auswirkungen kann eine Ernährungsumstellung auf unseren Körper und Krankheiten haben? Wir haben dazu mit Dr. Verena Keller von der Uniklinik in Homburg gesprochen. Sie ist Ernährungsmedizinerin und leitet dort den Studiengang für Ernährungsmedizin und Diätetik.

SR.de: Frau Keller, dass man mit gesunder Ernährung Krankheiten vorbeugen kann, ist inzwischen allgemein bekannt. Aber kann richtiges Essen auch Krankheiten heilen?

Verena Keller: Ernährung ist auf jeden Fall eine sehr wichtige unterstützende Therapie. Aber es gibt auch Ansätze bei bestimmten Erkrankungen, bei denen die Ernährung ähnlich starke Auswirkungen hat wie Medikamente - und damit eine Erkrankung eigentlich auch heilen kann.

SR.de: Bei welchen Krankheiten ganz konkret können Sie den Menschen Mut machen nach dem Motto: Wenn du deine Ernährung anpasst, dann wird es dir definitiv besser gehen?

Verena Keller: Das sind sehr viele. Zum Beispiel die Fettleber: Ein Viertel aller Menschen entwickeln in Deutschland eine Fettleber. Aber das Gute ist: Die Fettleber ist reversibel, also heilbar. Der Hauptbehandlungsansatz ist hierbei eine Ernährungsumstellung und der Verzicht auf Alkohol. Dadurch kann ich die Einlagerung von Fett in dem Organ rückgängig machen.

Oder Bluthochdruck: Wenn wir uns salzarm und gesund ernähren, hat das spürbare Effekte.

Dann hilft eine Ernährungsumstellung auch bei allen Erkrankungen, die mit einer unterschwelligen Entzündung einher gehen, wie verschiedene Hautkrankheiten - zum Beispiel Akne oder Neurodermitis. Sie hilft auch bei fast allen chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Rheuma oder Multiple Sklerose beispielsweise.

Neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz, Parkinson - wenn ich mich gesund ernähre, kann ich damit den Verlauf der Erkrankung herauszögern.

Wichtig ist, dass man sich gezielt die Ernährung mit einem Experten zusammen anschaut und auf die Krankheit anpasst. Und dann kann ich mit einer Ernährungsumstellung bei ganz vielen Erkrankungen sehr viel erreichen.

SR.de: Gilt das auch für eine so ernste Erkrankung wie Krebs? Im Netz gibt es ja eine Fülle von Ratschlägen und Ernährungskonzepten, die helfen sollen. Ist da was dran?

Dr. Verena Keller: Dafür hole ich jetzt etwas aus. Falsche Ernährung ist auf jeden Fall eine der Hauptursachen für Krebsentstehung. Wenn wir das Beispiel Darmkrebs nehmen: Alkohol, Übergewicht, ballaststoffarme Ernährung, zu viel Zucker, zu viel verarbeitetes Fleisch oder rotes Fleisch – all das fördert die Entstehung von Darmkrebs.

Darmkrebs und Krebs an sich ist neben anderen Prozessen immer eine Art Dauerentzündung im Körper. Das heißt, die Ernährungsstrategie besteht unter anderem darin, sich antientzündlich zu ernähren.

Das bedeutet zum Beispiel hochwertige Pflanzenöle mit viel Omega3-Fettsäuren zu sich zu nehmen. Das geht gut über Leinöl, Nussöle, Rapsöl und auf der anderen Seite über fetten Seefisch wie Lachs, Makrele, Hering oder auch Algen. Gleichzeitig braucht man Antioxidantien. Die sind vor allem in zuckerarmem Obst wie Erdbeeren oder Heidelbeeren, Himbeeren oder in bestimmten Kräutern und Gewürzen wie Kurkuma, Curry und Ingwer.

Dann braucht man viel Gemüse, möglichst drei Handvoll pro Tag.

Ganz wichtig: Das alles ist unterstützend. Es gibt laut der aktuellen Studienlage keine Ernährung, die einen Tumor heilen kann.

Dr. Verena Keller (Foto: privat)
Unsere Interviewpartnerin Dr. Verena Keller

SR.de: Wie ist das mit industriellem Zucker? Man hört ja häufig den Ratschlag, dass man durch den kompletten Verzicht auf Industriezucker vielen Krankheiten entgegensteuern kann. Zum Beispiel bei Krebs heißt es, den könne man "aushungern". Ist da was dran?

Verena Keller: Es ist definitiv so, dass industrieller Zucker stark entzündungsfördernd wirkt. Er geht schnell ins Blut, Insulin wird ausgeschüttet. Wenn unser Körper Insulin ausschüttet, geht er in einen Aufbaumodus. Dann fängt er an, Wachstumsprozesse anzuregen. Dadurch werden auch Wachstumsprozesse von Tumoren angeregt.

Aber, was noch wichtiger ist: Durch die Wachstumsprozesse werden auch Hormone ausgeschüttet, die ebenfalls entzündlich wirken. Das heißt durch regelmäßigen Konsum von Zucker halten wir unseren Körper in einem permanenten Entzündungszustand, der Krebswachstum begünstigen kann.

Wir sollten also alle Industriezucker möglichst reduzieren. Das ist nicht nur bei Krebs sinnvoll. Auch bei allen anderen Erkrankungen, die mit Entzündungsgeschehen einhergehen, wie beispielsweise auch entzündliche Hauterkrankungen, Darmerkrankungen oder auch Rheuma.

SR.de: Sie haben gerade angesprochen, dass der Zuckerverzicht auch bei entzündlichen Hauterkrankungen helfen kann. Wie ist es denn zum Beispiel mit Neurodermitis? 

Verena Keller: Neurodermitis ist eine schubförmige Erkrankung. Hier spielen Einfachzucker und Zusatzstoffe durchaus eine Rolle. Es gibt aber auch individuelle Trigger. Um herauszufinden, was bei Betroffenen einen Schub auslöst, ist es sinnvoll ein Ernährungs- und Symptomtagebuch zu führen, um Zusammenhänge festzustellen.

Dann stellt man vielleicht fest: Ich war unterwegs, habe Rotwein getrunken und Erbeeren gegessen und am nächsten Tag blüht meine Neurodermitis auf.

Es gibt Nahrungsmittel, die Entzündungen triggern können. Die kennt man auch zum Beispiel vom Reizdarmsyndrom. Das sind Nahrungsmittel, die bestimmte Inhaltsstoffe haben, auf die Personen, die eine allergische Veranlagung haben, eher reagieren.

Das wären beispielsweise Tomaten, Kiwi, Erdbeeren, Zitrusfrüchte. Manchmal auch Fisch, Nüsse, Ei, scharfe Gewürze, Kuhmilch. Um so etwas herauszufinden, ist ein Ernährungstagebuch in Kombination mit einer Auslassdiät sinnvoll.

Alleingänge und unselektives Weglassen von Lebensmitteln ohne handfesten Grund können allerdings gefährlich sein und schnell in einer Mangelernährung oder bestimmten Nährstoffmängeln enden. Daher ist eine Zusammenarbeit mit einer Ernährungsfachkraft unerlässlich.

Leider wird das gerade bei Neurodermitis noch zu wenig gemacht, obwohl es Betroffenen helfen kann.

SR.de: Jetzt haben wir viel darüber gesprochen, was wir essen. Spielt es auch eine Rolle wann und wie wir essen? Stichwort Intervallfasten?

Verena Keller: Ja, das spielt eine Rolle, weil unser Körper in den Fastenperioden eine Autophagie macht, das heißt er schickt eine Art Müllabfuhr einmal durch die Zellen und schaut, wo ist etwas kaputt und das wird dann abgebaut. Es ist wichtig, dass man dem Körper die Möglichkeit gibt, auch zu regenerieren.

Hier kann Intervallfasten helfen, etwa nach dem Prinzip 16 Stunden Pause und acht Stunden Zeit, in der man isst. Das hat positive Auswirkungen nicht nur auf die Leber, sondern auch auf den ganzen Körper.

Bei Intervallfasten ist aber auch ganz wichtig: Das muss für die Menschen auch im Tagesablauf umsetzbar sein.

SR.de: Stichwort "umsetzbar". Die eigene Ernährung umzustellen, das fällt vielen Menschen richtig schwer - selbst wenn sie sehr krank sind. Oft glauben sie nicht daran, dass es wirklich etwas bringt oder es fällt ihnen schwer, den "inneren Schweinehund" zu überwinden. Scheitert es daran bei den meisten?

Verena Keller: Das ist der mit Abstand schwierigste Punkt in einer Ernährungstherapie. Wenn wir jetzt bei entzündlichen Erkrankungen sind und die Leute sehen eine schnelle Besserung ihrer Symptome, dann schaffen sie es auch im Regelfall an dieser Ernährung dranzubleiben - auch über Jahre.

Eine der wichtigsten Prämissen ist: Die Dosis macht das Gift. Gelegentlich auch mal ein Stück Kuchen auf einer Feier - das ist wichtig. Das soziale Gefüge ist ein ganz wichtiger Punkt in unserer Ernährung. Und wir Ernährungsfachkräfte sind eigentlich auch davon weg, dass Dinge grundlos komplett verboten werden. 

Bei vielen Krankheiten ist auch eine Verhaltenstherapie begleitend sinnvoll. Gewohnte Verhaltensmuster müssten vielleicht durchbrochen werden, um etwas zu erreichen. Und eine Ernährungsumstellung kostet auch sehr viel Selbstdisziplin. Daran scheitert es leider oft.

SR.de: Vielen Dank für das Gespräch Frau Keller.

Wie findet man einen seriösen Ernährungsberater?

Die Bezeichnung Ernährungsberater ist nicht geschützt. Folgende Verbände empfiehlt unsere Expertin, wenn man Hilfe sucht:
- Verband der Diätassistenten (VDD)
- Verband für Ernährung und Diätetik (VFED)
- Verband der Oecotrophologen (VDOE)
- Bund deutscher Ernährungsmediziner (BDEM)
- Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM)
- Dt. Gesellschaft der qualifizierten Ernährungstherapeuten und Ernährungsberater (QUETHEB)


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