Thomas Brasch: "Du mußt gegen den Wind laufen"

Thomas Brasch: "Du mußt gegen den Wind laufen"

Beate Meierfrankenfeld   20.02.2025 | 11:48 Uhr

Thomas Brasch, eine prägende Stimme der DDR-Literatur, wäre am 19. Februar 80 Jahre alt geworden. Er fühlte sich weder in der DDR noch im Westen wirklich zuhause. Anlässlich seines Geburtstags erscheint nun „Du mußt gegen den Wind laufen“ – seine gesammelte Prosa.

Warum, das wird Thomas Brasch 1982 im Radio-Interview gefragt, schreibt er so oft über die Gescheiterten? Die Außenseiter?

Das ist einfach zuerst einmal etwas, was im Grunde jeden Schriftsteller bewegt – seit Aischylos – nämlich: dass an Außenseitern oder an Leuten, die in einem Konflikt mit der Gesellschaft stehen, die sich an ihrem Rand bewegen, die Gesellschaft am deutlichsten zu erzählen ist.

„Die Gesellschaft erzählen“ – über ihre Konflikte und Widersprüche: Das ist schon fast das Kunstprogramm von Thomas Brasch. Er war Dichter, Theaterautor und Filmemacher.

Sein Prosawerk liegt nun in einem gewichtigen Band vor: 700 Seiten Fiktion und Essay, ausgefeilte Erzählungen und Skizzen, Filmexposés, Tagebucheinträge, Veröffentlichtes und Texte aus dem Nachlass. Gerade in dieser Zusammenschau ganz unterschiedlicher Formate ein imposantes Buch, das Einblick gibt in die Produktion eines Rastlosen.

„meine akte. sie sehen alle zu mir. auf dem foto bin ich 16. höchstens acht seiten. warum klappt er sie zu. von hier kann ich sowieso nichts lesen. sie sollen endlich anfangen. meine schuhe drücken. ich habe ihr gesagt, dass ich neue schuhe brauche, aber sie muss immer das letzte wort haben.“

„Vor den Vätern sterben die Söhne“, die bekannteste Veröffentlichung von Thomas Brasch, steht am Anfang des Buches. Erzählungen über die sozialistische Arbeitswelt, motorradfahrende Rebellen, Fluchtpläne, Sex – zu widerständig für die DDR.

Die jüdischen Eltern von Thomas Brasch waren nach Kriegsende aus dem englischen Exil nach Ost-Berlin zurückgekehrt, der Vater machte Karriere bis zum stellvertretenden Kulturminister. Sein Sohn verteilte 1968 Flugblätter gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings, wurde verhaftet, später als Fräser in die Produktion versetzt.

1976 ging er in den Westen. Dort konnte er publizieren, wurde befragt, gefeiert, zweimal mit einem Film nach Cannes eingeladen. Ein Künstler in Lederjacke und mit Zigarette, schön, traurig, wütend – der Vorzeige-Dissident von „drüben“ aber wollte Brasch nicht sein.

Als Franz Josef Strauß ihm den Bayerischen Filmpreis überreichte, kam es bei seiner Dankesrede, die im Buch nachzulesen ist, zum Tumult.

Im Bayerischen Rundfunk sollte Brasch Stellung beziehen: Geht das – einen staatlichen Scheck entgegennehmen und zugleich Fundamentalkritik üben?

Ich halte die Fragestellung für eine auf eine falsche Weise moralische. Ich glaube, so egoistisch wie der Staat ist, der ja auch nicht a priori gut oder schlecht ist, sondern aus Widersprüchen besteht, so ist es auch der Einzelne.

Die Utopie eines guten Sozialismus hat Thomas Brasch nie aufgegeben, sozialistischen Realismus aber hat er nicht geschrieben: keine Thesenerzählungen, kein Personal, mit dem man sich identifizieren könnte. Stattdessen übersetzt er die gut marxistische Kategorie der Entfremdung in Literatur – mit Anleihen beim Mythos oder der Verbindung von Wirklichkeit und Surrealem.

Und das in kraftvoller, schlackenloser Sprache – Adjektive seien am besten zu „killen“, hält er fest. Der Lyriker und Theaterautor Brasch wird oft mit Brecht oder Heiner Müller verglichen, wer seine Prosa liest, denkt auch an Kafka.

„Das Messer hatte die gleiche Größe wie er, die Gabel reichte ihm bis zum Hals. Beide waren aus glänzend geschliffenem Stahl gearbeitet, und er hatte starke Mühe, sie nacheinander zum Tisch zu schleppen. […] ‚Ich sollte ihnen dankbar sein‘, sagte er für sich, ‚sie haben mir das Beste gegeben, das sie besitzen. Wenn sie damit umgehen können, was ich nicht mit Sicherheit weiß, sollte ich es lernen.‘“

In ihrer Energie haben die Texte von Thomas Brasch etwas sehr Gegenwärtiges. Dass sie aus einer anderen Zeit stammen, zeigt sich etwa an Geschlechterbildern: Der erotische Existenzialismus bei Brasch liebt Männlichkeitsgesten.

Lesen sollte man diesen Autor unbedingt – und der von Martina Hanf herausgegebene, sorgfältig kommentierte Band ist eine großartige Einladung dazu.


Thomas Brasch: "Du mußt gegen den Wind laufen"

Gesammelte Prosa
Verlag: Suhrkamp
Herausgegeben von Martina Hanf
877 Seiten, 42 Euro
ISBN: 978-3-518-43194-8


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 20.02.2025 auf SR kultur.

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