Filmfest Mannheim-Heidelberg: Einblicke in Georgiens Konflikte

Filmfest Mannheim-Heidelberg: Einblicke in Georgiens Konflikte

Hendrik Warnke   12.11.2024 | 13:56 Uhr

In Mannheim und Heidelberg läuft aktuell die 73. Ausgabe des internationalen Filmfestivals. Insgesamt 71 Langfilme aus über 40 Ländern gibt es dort zu sehen. Besonders oft filmisch vertreten ist dabei ein Land, in dem schon länger um die Demokratie und Meinungsfreiheit gekämpft wird: Georgien.

Insgesamt drei georgische Filme laufen dieses Jahr auf dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg. Einer von ihnen ist "Panopticon". Darin folgen wir Sandro, einem Jugendlichen in Tiflis, der sich im Konflikt zwischen seiner erwachenden Sexualität und der streng religiösen Gesellschaft befindet.

Furcht vor ständiger Überwachung

Der Titel "Panopticon" bezieht sich auf das Panoptismus-Modell des französischen Philosophen Michel Foucault. Es beschreibt eine Gesellschaft, die sich in Furcht vor ständiger Überwachung sämtlichen Verhaltensnormen unterwirft. Bei Verstoß gegen diese Normen bestraft sich die Gesellschaft selbst, egal, ob eine Überwachung tatsächlich stattfindet oder nicht.

Modell für die georgische Gesellschaft

Für Regisseur George Sikharulidze ein passendes Modell für Georgien: "Das Christentum hat den Alltag von uns Bürgern völlig durchdrungen und unser Denken, unser Verhalten usw. geprägt. Als Sandros Vater ihm erzählt, dass er ihn verlässt, lässt er ihm eine andere Art von Vater, wenn man so will: der heilige Vater. Und der beobachtet alles, weiß alles, was man tut. Das beeinflusst Sandros Verhalten und sein Verhältnis zu seiner Sexualität."

Damit beginnen viele der Probleme. Ein innerer Konflikt, der Sandro, wie so viele junge Männer, in die neu-rechte Ecke treibt. Ein Versuch, Macht und Kontrolle über das eigene Leben zurückzubekommen. Vom Beobachteten zum Beobachtenden zu werden. Eine gewisse Geborgenheit und Struktur für diejenigen, die sich geächtet und verlassen fühlen.

Zwischen Glauben und Körperlichkeit

Und damit ist Sandro nur einer von vielen, so Sikharulidze: "Schauen Sie sich diese Generation von Jungs an. Wir hätten über jeden von ihnen eine Geschichte erzählen können und haben einfach einen ausgewählt. Ihr Glaube diktiert ihnen eine bestimmte Art von strengem Verhalten, während ihr Körper etwas anderes verlangt. Diese beiden Dinge prallen aufeinander und sorgen für einen Konflikt zwischen Körper und Seele."

Filmstill "April" (Foto: IFFMH - Filmfestival Mannheim gGmbH)
Filmstill "April"

Dea Kulumbegashvilis Film "April"

Quasi eine weibliche Gegenperspektive zu "Panopticon" bietet der Film "April" von Dea Kulumbegashvili. Er erzählt die Geschichte von Nina, einer Hebamme und Gynäkologin, die neben ihrem Job im Krankenhaus auf dem Land heimlich Abtreibungen durchführt. "April" zeichnet dabei das Bild einer stark patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen keinen Wert und noch weniger Rechte haben und gerade auf dem Land nahezu vollkommen ihren Männern unterworfen sind.

Strukturelle Gewalt und Hoffnungslosigkeit

Begründet irgendwo in vermeintlich religiösen Werten und durch staatliche Strukturen gefestigt: ein System der strukturellen Gewalt, ohne Hoffnung, ohne Gerechtigkeit und ohne Aussicht. "April" schlägt schwer aufs Gemüt und quält mit schonungslosen, teilweise minutenlangen Einstellungen, aus denen es schlicht kein Entkommen gibt.

Der Film will nicht unterhalten, will unbequem, will konfrontativ sein, wie Regisseurin Dea Kulumbegashvili betont: "Wenn Leute in Westeuropa sich lieber Filme zum Entspannen angucken wollen, können sie das mit so vielen anderen Filmen machen. Ich möchte Filme über das machen, was tatsächlich in Georgien passiert, über das, was wahr ist. Und die Ereignisse in 'April' sind wahr."

Weltweite Relevanz der Themen in "April"

Zwar bezieht sich "April" sehr konkret auf die georgische Realität, ähnliche Strukturen lassen sich aber weltweit finden. "Ich denke, dass das Georgische an diesem Film gleichzeitig auch sehr universell ist. So etwas wie lokales Kino gibt es nicht. Und ich denke, die Welt muss... wir müssen einfach aufwachen und erkennen, dass viele Länder auf der ganzen Welt die gleichen Probleme haben wie Georgien. Schauen Sie in die USA. Schauen Sie sich Abtreibungsrechte und Reproduktionsrechte dort an. Ich glaube, ich hätte "April" in den USA machen können, ohne etwas zu ändern."

Sowohl "April" als auch "Panopticon" gehen hart mit der Gesellschaft ins Gericht – etwas, das angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen in Georgien zukünftig deutlich schwieriger werden dürfte. Gerade deshalb gebührt den beiden Respekt.

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 12.11.2024 auf SR kultur.

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