Die Ausstellung "Après la fin: Nach dem Ende - Karten für eine andere Zukunft"
Was wäre, wenn?
Was wäre, wenn unsere Gesellschaftsordnung zusammenbrechen würde? Das westliche Modell von einer liberalen Gesellschaft, das auf dem Kapitalismus beruht? Das ist die Frage, die derzeit in der Ausstellung "Après la fin: Nach dem Ende - Karten für eine andere Zukunft" gestellt wird.
"Nach dem Ende - Karten für eine andere Zukunft" ist der Titel einer Ausstellung, die mit Kunstwerken die provokante These stützt, dass wir im Westen uns - zum einen - mit der Kolonialgeschichte auseinandersetzen müssen und - zum anderen - die Kunst der kolonialisierten Länder und den Vertriebenen aus diesen Ländern, also die Kunst der Diaspora, zu entdecken haben. Daraus könnte eine neue Zukunft gedeihen.
Horden von Kunsthistorikern arbeiten sich zurzeit in den Museen an der Kolonialgeschichte und deren Folgen für den globalen Süden in diversen Kunst-Ausstellungen ab. Gezeigt wird normalerweise ein Ringelreihen aus exotisch anmutender Volkskunst und Kunstwerken, die diese vermeintlich primitiven Kunstformen aufgreifen. Alles schön bunt - irgendwie im musealen Raum rumstehend und zumeist auch nichtssagend.
Eigene Handschrift des berühmten Kurators
Dass die Ausstellung im Centre Pompidou in Metz eben nicht so ist, mag man dem Kurator zuschreiben. Der katalanische Kunsthistoriker Manuel J. Borja- Villel ist ein Star in seinem Heimatland. Er hat als Direktor in den großen Museen in Spanien gearbeitet. Ob in der Fundació Antoni Tàpies, dem Macba in Barcelona und, nicht zuletzt, hat er das berühmte Museo Reina Sofia in Madrid geleitet und radikal umgestaltet. Kurzum: der Mann weiss, was er tut.
Auch im Centre Pompidou Metz sind Kunstwerke der vermeintlich folkloristischen Art aus der Karibik, dem Mittelmeer und der anderen Seite des Atlantik versammelt. Ob es sich nun um Skulpturen, Malerei, Tanz oder Musik handelt. Sie sollen dem Besucher eine andere Art der Kultur vermitteln. Von Menschen, die ihre Kultur trotz aller Widrigkeiten wie Sklaverei, Vertreibung, Ausbeutung oder Unterdrückung weitergepflegt und entwickelt haben. Sozusagen eine Alternative für unseren westlichen Lebensstil. Weg vom Eurozentrismus, so Manuel Borja-Villel, dass sei ein wichtiger Schritt für die Entwicklung eines anderen Gesellschafts-Modell in der Zukunft: "Viele der Errungeschaften unserer westlichen Zivilisation haben etwas mit Wissenschaft, Menschenrechte oder Bildung zu tun. Errungenschaften, die, wie wir meinen, allen Menschen zugute kommen müssen. Wir vergessen dabei aber auch immer, dass, als in Europa beziehungsweise in Frankreich die zivilen Werte wie "Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit" erkämpft wurden, gleichzeitig andere Völker versklavt wurden".
Aufruf zu Toleranz, Respekt und Weltoffenheit
Folgerichtig werden zu Beginn dieser Ausstellung Werke aus dem 17. Jahrhundert gezeigt. Malerei der spanischen Eroberung, der Conquistadores. In den Räumen der Galerie 2 mischen sich Kunstwerke aller Stilrichtungen und Epochen in ein scheinbares Durcheinander, aber eben doch ästhetisch geordnet. Das ist so gewollt, denn Zeit soll keine Rolle mehr spielen, so der Kurator: "Nach unserem Verständnis läuft die Zeit linear ab. Also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber in anderen Kulturen, vor allem in denen des globalen Südens, herrscht ein anderes Zeitverständnis. Dort ist Zeit eine Spirale, also kreisförmig. Das heisst, dass etwas, was in der Vergangenheit passiert ist, auf einmal vor dir steht, also mit dem du in der Gegenwart konfrontiert wirst. Dieser anderer Umgang mit der Zeit ist etwas sehr wichtiges. Deshalb zeigen wir hier auch Kunstwerke aus verschiedenen Epochen gleichzeitig und nicht linear".
Neben zeitgenössischer und moderner Kunst aus diesen Ländern werden auch Werke aus der Kolonialzeit gezeigt. Die Kultur der Völker der Diaspora, die durch die Sklaverei und den Kolonialismus in die ganze Welt getragen wurde, neu zu entdecken. Ihr denselben Stellenwert wie der abendländischen Kultur beizumessen. Sie als eine Alternative zum westlichen Verständnis der Zivilisation zu sehen. Dazu will diese Ausstellung beitragen.
Und das ohne der sonst so verbreiteteten Multikulti-Romantik. Nach Ansicht von Manuel Bojar-Villel liegt eine bessere Zukunft unserer Welt in einer Anerkennung der verschiedenen Kulturen und Werte dieser Welt, in einem Miteinander, ohne aber eine globale Einheitskultur zu schaffen: "Gemeinschaftlich heisst in diesem Fall: sich auszutauschen mit Menschen, die ein anderes Verständnis für Kultur und Wissen haben. Was diese Ausstellung erreichen möchte, ist, dass wir darauf schauen, was die Menschen in der Diaspora, also beispielsweise in der Karibik, aber auch auf dem amerikanischen Kontinent an Kultur und Lebensweisheit geschaffen haben." Es gebe nur die Alternative für eine andere Weltordnung, wenn man bereit sei, das Wissen und die Werte anderer Kulturen zu teilen und sie auch zu respektieren.
Ein Aufruf zu Toleranz, Respekt und Weltoffenheit - und wem das alles zu viel ist, der geniesst einfach eine gut gemachte Ausstellung im Centre Pompidou in Metz.
Zu sehen ist die Ausstellung im Centre Pompidou Metz noch bis zum 01. September 2025.
Ein Thema in der Sendung "Der Morgen" am 27.01.2025 auf SR kultur.