Serhij Zhadans "Keiner wird um etwas bitten"

Serhij Zhadans "Keiner wird um etwas bitten

Katrin Krämer   08.04.2025 | 14:25 Uhr

Der Schriftsteller und Musiker Serhij Zhadans gilt als ukrainische Stimme des Widerstands. Inzwischen kämpft er selbst als Soldat und berichtet von der Front. Das neue Buch des Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels 2022 ist nun auch auf Deutsch erschienen. Katrin Krämer hat "Keiner wird um etwas bitten" gelesen.

Als Serhij Zhadan im Oktober 2022 in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennimmt, stellt er in seiner Dankesrede auch die Frage, wie man überhaupt in Sprache fassen könne, was dieser Krieg anrichtet.

"Inwieweit reicht unser Vokabular - also unser Vokabular, mit dem wir gestern noch die Welt beschrieben haben - , inwieweit reicht es jetzt aus, um über das zu sprechen, was uns schmerzt oder stark macht?"

Vielleicht reicht vorhandenes Vokabular wirklich nicht aus, um für uns, die wir nicht von Bomben bedroht werden, die angemessenen Worte zu finden. Dafür zB, was Todesangst bedeutet. Aber das, was Serhij Zhadan auch in seinem neuen Buch an Vokabular verwendet, erreicht dennoch viel, sein Vokabular erreicht uns, weil es beim Lesen starke emotionale Erschütterungen auslöst. Vor allem vermittelt durch Zhadans leise und eindringliche Erzählerstimme:

Wir alle taten so, als wäre uns nicht kalt, als hätten wir keine Angst, als wären wir nicht einsam, als würde uns die nahe und überwältigende Gegenwart des Todes nichts ausmachen. Es war noch nicht lange her, da war das Leben zerbrochen, war die Zeit zerbrochen, hatte sich das Gefühl des Atmens verändert, sein Rhythmus und seine Regelmäßigkeit.

In den zwölf in sich geschlossenen Geschichten hallt aber auch das Echo der realen Erschütterungen wider, verursacht von einschlagenden Raketen oder Todesnachrichten. Selbst wenn Zhadan die Kriegsgeräusche oft gar nicht explizit erwähnt: Sie sind ständig präsent. Das kann sich in einer Perspektivlosigkeit spiegeln, die die Protagonisten erfahren, in ihren Gefühlen, ausweglosen Situationen ausgeliefert zu sein.

Man wünschte sich eine andere Luft, ein anderes Gedächtnis - unbeschwert vom Rauch ausgebrannter Fenster und dampfenden Eisens, ein Gedächtnis ohne betäubende schwarze Stille, ein Gedächtnis ohne zerbrochenes Glas, das unter Winterstiefeln knirscht.

Aber Zhadan macht die Zerstörungen in vielen Geschichten auch sichtbar. Das Kapitel "Tiere" beginnt gleich nach den ersten Angriffen im März 2022. Eine Schule steht nach einem Granatenhagel leer; Schüler und Lehrer bleiben zu Hause, ein trostloser Anblick. Der Lehrer Pal Iwanytsch, der keinen Onlineunterricht bieten kann, weil er keinen Computer hat, bewacht das verlassene Gebäude stattdessen. Wie nebenbei wird klar, dass Kultur in Kriegszeiten keinen Wert mehr hat. Zwei beschädigte Flügel wieder so herzustellen, dass wieder darauf gespielt werden kann? Nicht denkbar. Pal Iwanytsch ist fassungslos.

Und was weiter? Das ist doch Volksgut!" - "Volksgut", sagte der Dicke, "sind ihre Schüler

Zhadan lässt viele Geschichten mit unerwarteten Wendungen enden. Zum Bsp wenn er beschreibt, wie die 25jährige Nadia einen ehemaligen Klassenkameraden wiedertrifft und wie unbeholfen diese Begegnung verläuft. Ein hilfloser Versuch zweier Menschen, nach langer Zeit wieder ins Gespräch zu kommen. Bis man merkt, dass Nadia den alten Schulfreund als versehrten Soldaten im Krankenhaus besucht. Zhadans Sprache ist selten drastisch. Desto nachdrücklicher prägen sich dann genau solche Momente ein. Darüberhinaus schafft Zhadan immer wieder Raum für Poesie:

Doch wenn man ganz genau hinschaut, kann man den Wind sehen, der das Gras berührt, wieder aufsteigt, sich über den Baumkronen verfängt, über den Häusern wirbelt, die gesamte Stadt einhüllt, die voller Wärme und Licht ist, bedeckt vom Himmel, umgeben von Sonne und Mond.

Die Sonne strahlt übrigens in nahezu jeder Geschichte. Sie tut es frühlingsmild, sommerwarm, herbstgelb. Sie scheint für die Figuren, von denen Zhadan erzählt, aus jeder Ecke, erleuchtet, völlig unpassend eigentlich, die kriegserschütterten Szenerien. So, als wolle er mit allen Mitteln seiner Sprachmacht unnachgiebig den Spot auf das richten, was wir am liebsten ausblenden würden. Wer diese Erzählungen gelesen hat, dem wird das Verdrängen allerdings nicht mehr so einfach gelingen. Denn Zhadans Vokabular reicht allemal aus, um über das zu sprechen, was so schmerzt.


Serhij Zhadan
"Keiner wird um etwas bitten"
Übersetzt aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr und Juri Durkot
Suhrkamp Verlag
165 Seiten, 24 Euro
ISBN: 978-3-518-43238-9


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 08.04.2025 auf SR kultur.

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