Karl Ove Knausgård: "Die Schule der Nacht"
Ein narzisstischer und rücksichtsloser Norweger zieht nach London, um Fotografie zu studieren. Er erfährt den großen Erfolg als Künstler und den noch größeren Absturz als Mensch. „Die Schule der Nacht“ ist der faszinierende vierte Band von Karl Ove Knausgårds Morgenstern-Serie. Eine Rezension von Tobias Wenzel.
"Es ist ein sehr finsteres und unangenehmes Buch.“
Sagt Karl Ove Knausgård über seinen neuen Roman „Die Schule der Nacht“. Es die Geschichte eines tiefen Falls. Die des fiktiven Norwegers Kristian Hadeland, der durch das Thema Tod und Vergänglichkeit zu einem international gefeierten Fotografen wird und sogar eine Retrospektive im New Yorker MoMA bekommt. Aber dann fällt sein Leben in sich zusammen. Und Hadeland bricht jeglichen Kontakt ab, um auf einer norwegischen Insel über sein Leben zu schreiben und sich danach umzubringen:
Ich will nicht darüber schreiben, was mir widerfahren ist. Aber ich will auch nicht sterben, bevor ich es getan habe.
Mitte der 80er, mit knapp zwanzig, beginnt Kristian ein Fotografie-Studium an einer Kunsthochschule in London. Seine Empathie ist merklich reduziert. Was für ihn zählt, ist er selbst und seine Kunst. Ein blattloser Baum inspiriert ihn zur Fotoserie „Das Gerüst des Lebens“. Wunderbar tragikomisch schildert Knausgård, wie seine Hauptfigur dafür das Skelett einer Katze fotografieren will, dann eine tote Katze stiehlt und schließlich vergeblich versucht, das Fleisch von den Knochen abzukochen. Den bestialischen Gestank versucht er mit Duftspray zu übertünchen. Aber sein Nachbar wird misstrauisch:
»Was riecht hier?«, sagte er. »Besser gesagt, was stinkt hier so?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Aber du hast recht. Irgendetwas riecht hier. Vielleicht die da oben?«
»Du glaubst doch nicht etwa, dass sie …«
»Nein, nein, ich habe sie vorhin noch gesehen. Aber sie ist alt, vielleicht kocht sie verdorbenes Fleisch oder so etwas, ohne es zu merken?« [...]
Es roch schon etwas besser. Ich versprühte überall im Raum Wiesenduft und setzte mich auf die Couch, um mich ein wenig zu beruhigen.
An keiner Stelle in „Die Schule der Nacht“ merkt man, dass es sich um eine Übersetzung handelt. Paul Berf hat da wieder Großes geleistet. Das Buch wirkt wie ein Solitär in der Morgenstern-Romanreihe, in der die Menschen nicht mehr zu sterben scheinen. Im neuen Roman ist der Tod noch allgegenwärtig. Auch, weil Kristians orientierungslose Schwester Liv versucht, sich durch eine Überdosis das Leben zu nehmen, was ihn allerdings relativ kalt lässt. Er sei halt ein Narzisst, hört Kristian seinen Vater sagen.
„Kristian Hadeland ist mit Sicherheit eine Trumpsche Figur. Als ich den Film 'The Apprentice' gesehen habe, ist mir das klar geworden. Trump ist unglaublich ehrgeizig, unglaublich rücksichtslos und unglaublich narzisstisch. Das sind genau Kristians Charakterzüge. Deshalb geht Kristian unter. Trump geht nicht unter, er steigt immer weiter auf und ist nun Präsident und der mächtigste Mann der Welt. Aber sein Niedergang besteht darin, dass er innerlich gestorben ist. Dazu hat sein Pakt mit dem Teufel geführt.“
Raffiniert verbindet der Autor Kristians Lebenswelt als Student in London mit der des Renaissance-Schriftstellers Christopher Marlowe und dessen Stück „Die tragische Historie vom Doktor Faustus“. Marlowe starb infolge eines gewalttätigen Streits im Londoner Stadtteil Deptford, in dem Kristian wohnt. Dem entspricht Kristians handgreifliche Auseinandersetzung mit einem Obdachlosen, der daraufhin stirbt. Eine Geschichte, die ihn über zwanzig Jahre später einholt. Vollends zerbricht Kristian allerdings an einem persönlichen Schicksalsschlag, den der Autor erst gegen Ende enthüllt.
Einmal mehr stellt Karl Ove Knausgård anregend, aber natürlich aus der Geschichte heraus die großen existenziellen Fragen zu Leben und Tod und Teufel und Gott.
„Heute hat mich mein Sohn gefragt, ob ich an Gott glaube. Und ich weiß nicht, was ich ihm antworten soll. Jeden Tag kommt mir alles noch seltsamer vor: zu leben und hier auf der Erde zu sein, umgeben von diesem weiten Weltall. Darüber denke ich mindestens einige Male pro Tag nach.“
"Die Schule der Nacht“ ist ein grandioser Roman über das rücksichtslose Streben eines Mannes nach großer Kunst und über seinen tiefen Fall.
Karl Ove Knausgård
"Die Schule der Nacht"
Übersetzt aus dem Norwegischen von Paul Berf
Luchterhand Verlag
672 Seiten, 28 Euro
ISBN: 978-3-630-87793-8
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 26.03.2025 auf SR kultur.