Colum McCann: "Twist"
In einem Interview mit der „Irish Times“ gab der kürzlich 60 Jahre alt gewordene Autor, Colum McCann, zu, dass er sich selbst und seine Leserschaft gerne überrascht. Ob ihm das mit seinem neuen Roman auch wieder gelingt? Maren Ahring hat "Twist" gelesen.
Der Schriftsteller Colum McCann lebt seit 1996 in den USA, seine inzwischen 97-jährige Mutter in Dublin. Als die Corona-Pandemie ihren Höhepunkt erreichte, versuchte McCann mit ihr in Verbindung zu bleiben und dachte zum ersten Mal über Tiefsee-Datenkabel nach.
Am Meeresboden geht Liebe verloren und pulsiert Hass. Es ist ein Ort, wo Sehnsucht, Verzweiflung, Eifersucht, Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit aufeinandertreffen. Tatsächlich könnte der dunkle Grund des Ozeans der geschäftigste Ort der Welt sein.
So formulierte er es in einem vor zwei Jahren erschienenen Essay für eine Audio-App. Denn durch die Kabel, die tief am Meeresgrund liegen, fließt ein großer Teil der weltweiten Kommunikation. Was passiert, wenn sie reißen oder mutwillig zerstört werden, konnte man in den letzten Monaten im Ostseeraum erleben. Genau das weckte Colum McCanns Neugier.
Das erste Rätsel jeder Reise ist nicht so sehr, wo sie enden wird, sondern wie du überhaupt an den Ausgangspunkt gekommen bist.
Anthony Fennell heißt der Erzähler dieser Geschichte: mäßig erfolgreicher Autor von Romanen und Theaterstücken, Alkoholiker, Vater eines Sohns, zu dem er kaum Kontakt pflegt. Im Auftrag eines Online-Magazins soll Fennell an Bord eines Reparaturschiffs für Tiefseekabel gehen und eine Reportage über den Alltag an Bord schreiben.
Ich interessierte mich nicht für Kabel. Jedenfalls anfangs nicht. In dem (…) Artikel hieß es, ein Kabel bleibe so lange ein Kabel, bis es gebrochen sei, danach verwandle es sich, wie wir alle, in etwas anderes.
In Südafrika besteigt Fennell die „George Lecointe“. Die Crew soll mehrere Kabel reparieren, die vor der Küste Kongos nach einer Naturkatastrophe gerissen sind. 53 Männer auf See, einer von ihnen ist John Conway.
Ein wortkarger Ire, Freitaucher, liiert mit einer Schauspielerin, wirkt er von Beginn an etwas zwielichtig. Conway ist an Bord dafür zuständig, das gebrochene Kabel mit Hilfe eines Greifhakens aufzuspüren. Eine langsame, langwierige und nervenaufreibende Angelegenheit.
Alles wird geflickt, und wir alle bleiben gebrochen.“ (…) Conway war an eine Grenze gekommen. Er war da draußen auf der Jagd. Doch vielleicht jagte er nur sich selbst.
Colum McCann beschreibt den Alltag an Bord des Schiffs und die Arbeit der Crew minutiös, ohne zu langweilen. Das liegt vor allem an seinem literarischen Können: Mal mutet die Handlung wie ein Krimi an, mal nimmt er Anleihen bei Joseph Conrad oder mal beim Film „Apocalypse now“.
Kurz vor Ende der Mission – ein „Twist“, eine Wende: Conway verschwindet spurlos. Damit endet für Fennell die Reise in Ghana, wo er seinen Artikel schreibt und schließlich auf einer Müllhalde eine Art Schlüsselerlebnis hat. Das Ende des Romans ist das allerdings noch nicht: Einen „Twist“ hat Colum McCann noch in petto, der aber nicht verraten werden kann. In einem Interview mit der „Irish Times“ Anfang März sagte er:
„Es ist ein trügerisch einfaches Buch für mich. Ich versuche es immer noch zu ergründen. Es handelt von zwei Charakteren, ist chronologisch erzählt, hat nur eine Erzählstimme und ist nicht außerhalb meines Erfahrungshorizonts, wie bei „Apeirogon“ oder „American Mother“. Ich geniere mich fast ein bisschen, wie scheinbar einfach es ist.“
Oberflächlich geht es in „Twist“ um die Reparatur von Tiefseekabeln. Wie das Reparaturboot auf den Wellen des Atlantiks schaukelt und die eigentliche Handlung in der Tiefe stattfindet, so ist das auch in diesem Roman. Es geht um das Wieder-Herstellen von Verbindungen, auch von menschlichen.
Colum McCann unternimmt eine Expedition in die Tiefe der menschlichen Psyche. Und die ist ebenso unergründlich wie die Tiefsee.
Wieder einmal hat Colum McCann mit „Twist“ literarisches Neuland betreten, herausgekommen ist wieder einmal ein richtig guter Roman!
Colum McCann
"Twist"
Übersetzt von: Thomas Überhoff
Rowohlt Verlag
416 Seiten, 28 Euro
ISBN: 978-3-498-00385-2
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 20.03.2025 auf SR kultur.