Martin Mosebach: "Die Richtige"

Martin Mosebach Die Richtige

Alexander Solloch   19.03.2025 | 15:47 Uhr

Der frankfurter Autor, Martin Mosebach, veröffentlicht mittlerweile im Zwei-Jahres-Takt Romane und wurde bereits mit dem Büchnerpreis ausgezeichnet. Sein neuestes Buch spielt im weiteren Sinne im Kunstbetrieb. Alexander Solloch hat es gelesen.

Gerade hat die Frau sich ausgezogen, sich mit dem Bauch auf die Matratze gelegt, ein Bein leicht angewinkelt, gerade so, wie der Maler es von ihr gefordert hat. Noch aber fängt er nicht an, den Pinsel zu schwingen; er redet, murmelt vielmehr, an wen richtet er seine Worte, an sie, das Modell, oder doch nur an sich selbst?

Dies könnte ein neuer Anfang werden … Eine neue Frische … Ich muss versuchen, wieder loszuwerden, dass meine Bilder ein Markenzeichen haben … Handschrift ja, aber aus der sich einschleichenden Masche herauszukommen… Ein Bild ohne Botschaft … ein stummes Bild … stumm wie du jetzt … a thing is what it is and nothing else …

Louis Creutz, Maler, genialischer Egomane, ein Einzelgänger, den gelegentlich die Menschengier überkommt: er hat „die Richtige“ zu sich ins Atelier gelockt, Astrid, Mitte 30, 15 Jahre jünger als er selbst. Seinen alten Sammlerfreunden Beate und Rudolf war sie zunächst als „die Richtige“ erschienen, als sie der Meinung waren, Rudolfs Bruder Dietrich müsse endlich heiraten. Nur um herauszufinden, wie weit seine Wirkmacht reicht, hat der Maler sich auf das schwierige Experiment eingelassen, die beiden zu verkuppeln, den wohlhabenden, in Fragen der Liebe sympathisch unbeholfenen Unternehmer und die selbstbewusste, zugleich unbekümmerte Deutschschwedin. Das klappt erstaunlicherweise, und nun sitzt sie in seinem Atelier, die „Richtige“ – und wie weit werden die beiden jetzt gehen? Creutz interessiert sich nicht für Landschaften, für Stillleben – einzig die Frau ist ihm ein gültiges Sujet der Ölmalerei, die Frau und ihr wichtigstes Organ:

Was sei es denn, was vom Menschen bleibe, wenn man seine Illusionen, seine Träume und phantastischen Auffassungen von sich selbst abziehe? Die Haut. Die Haut sei der Mensch, diese dünne Oberfläche enthalte ihn ganz. Wenn man den Menschen ansehe, dann sei es die Haut, die ihn repräsentiere, und man könne sogar sagen, die ihn vollständig repräsentiere, wenn er gemalt werden solle.

Nicht für den Leser, wohl aber für Creutz‘ Umgebung mag es bisweilen etwas anstrengend sein, das todernste Bramarbasieren des Künstlers, von dem man nicht annehmen mag, dass er durch irgendetwas froh zu machen wäre. Aber das trübt die Lesefreude überhaupt nicht, die ja sowieso nicht dadurch entsteht, dass man sich etwa Identifikation mit dem Protagonisten wünschte. Freude bereitet der Umstand, dass Martin Mosebach wieder einmal mit seinem ewigen Vorhaben gescheitert ist, so zu schreiben, dass man nicht merkt, dass da einer schreibt:

„Mein Schreiben besteht eigentlich vor allem darin – also, meine Bemühungen bestehen darin, die Sprache weitgehend unsichtbar zu machen und eigentlich nur Bilder zu erzeugen. Die Sprache soll gar nicht besonders anwesend sein, wie eine Brille, wie eine Glasscheibe, die ein Bild verdeutlicht. Man schaut da durch und sieht Bilder; das ist meine Idealvorstellung.“

Bilder ohne Botschaft, das schon, aber eben nicht ohne Markenzeichen. Mag Martin Mosebach auch darunter leiden, weil er sich Unsichtbarkeit wünscht: Seine federnde, aufgeladene, tänzelnde Sprache, seine fröhlich-lauernde Beobachtung der Seltsamkeiten des menschlichen Treibens bleiben unverwechselbar und unerreicht in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Nach zwei Dritteln wirft der Autor eine völlig überraschende Figur in die leicht wohlstandsverwahrloste Szenerie, eine Obdachlose, die einst auch von Creutz porträtiert worden ist. Jetzt wird sie als Schwarzfahrerin in der U-Bahn aufgegriffen. Die Kontrolleure aber dringen nicht zu ihr durch:

Also nochmal, woher kommen Sie? Do you speak English? Ausweis – passport.” Flora schwieg, ihr Blick ruhte in Trauer auf dem Fragenden, mit einem Ausdruck, als wolle sie sagen: „Du fragst und fragst. Aber du würdest meine Antwort nicht verstehen. Passport, ja, hatte ich, habe ich vielleicht sogar noch, müsste in meinen Sachen suchen – aber wo sind die? Ich bin frei, ich habe alles aufgegeben.

Frei ist auch er, Martin Mosebach, frei von allen Moden, allen Zwängen, am Ende gar von seinen Geschichten. Darum liest man ihn so gern.

Martin Mosebach
"Die Richtige"
dtv Verlag
350 Seiten, 26 Euro
ISBN: 978-3-423-28455-4


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 19.03.2025 auf SR kultur.

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