Tove Ditlevsen: "Vilhelms Zimmer“

Tove Ditlevsen: "Vilhems Zimmer"

Peter Henning   06.01.2025 | 15:45 Uhr

Die hervorragenden Übersetzungen von Ursel Allenstein machten die 1917 in Kopenhagen geborene und eben dort 1976 verstorbene dänische Schriftstellerin Tove Ditlevsen hierzulande bekannt. Im Rahmen ihrer sogenannten „Kopenhagen-Trilogie“ zeichnete Ditlevsen ihren Weg vom Mädchen aus der Arbeiterklasse zur rebellischen Künstlerin nach. Nun hat der Berliner Aufbau-Verlag ihren letzten Roman „Vilhelms Zimmer“ vorgelegt, in welchem die Schriftstellerin noch einmal sämtliche Themen ihres Lebens zu einem bitteren Eheroman verband. Peter Henning hat ihn gelesen.

In einem im Spätsommer 1972 an ihren Ex-Mann Victor Andreasen geschriebenen Brief bezeichnete Tove Ditlevsen ihren nun erstmals auf Deutsch vorliegenden Roman „Vilhelms Zimmer“ als „das Buch meines Lebens“; denn tatsächlich versammelt ihr knapp 200-seitiger Text noch einmal sämtliche zuvor in ihrer berühmten „Kopenhagener Trilogie“ ausgebreiteten Themen. Er tut es ausgehend von Ditlevsens Aufstieg aus der Arbeiterklasse zur später für ihre von radikaler Offenheit gekennzeichneten Werke gefeierten Schriftstellerin.

Schonungsloser Einblick in das Leben der Autorin

So liest sich „Vilhelms Zimmer“ wie eine Art Zusammenschnitt der Höhe- und Tiefpunkte ihres Lebens - angefangen bei der furchtlosen Zurschaustellung ihrer lange unter kriegsähnlichen Bedingungen ablaufenden Ehe. Bis hin zu ihren wiederkehrenden, von Depressionen begleiteten Selbstverlusten, die mehrfach zu längeren Aufenthalten in der Psychiatrie führten.

„Mit leicht zitternder Hand schenkt sie ihm seinen Tee ein, und Vilhelm denkt, dass ihr großes, verlässliches Gesicht dem eines Pferdes gleicht, wenn sie beleidigt ist. Dann nimmt es einen Ausdruck melancholischer Nachsicht an, und man bekommt geradezu Lust, ihr das Maul zu tätscheln und ihr einen Eimer Hafer vorzusetzen.“

Es ist eine von großer Ambivalenz gekennzeichnete Ehe, die im Zentrum von Ditlevsens letztem Roman steht. Ironie, Liebe und Hass wechseln sich dabei ebenso regelmäßig ab wie Gewalt und Zärtlichkeit. Dass Tove Ditlevsen sich ein Jahr nach Erscheinen ihres Romans im März 1976 mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben nahm, verleiht „Vilhelms Zimmer“ den Charakter eines Vermächtnisses: als dunkler Schlussstein ihres auto-fiktionalen Gesamtwerks liegt er nun vor.

Ditlevsen schildert darin Szenen einer Mann-Frau-Beziehung, in der es für ihre Protagonistin nicht selten um nichts weniger als ihr physisches und psychisches Überleben ging. Ungeschönt lässt sie ihre eigenen Kämpfe mit ihrem Ex-Mann Viktor Andreasen in Form ihrer Stellvertretergeschichte um Luise und Vilhelm noch einmal in ihrer ganzen Drastik und Komplexität an uns vorüberziehen. In seiner 2023 auf Deutsch unter dem Titel „Tove Ditlevsen - Ihr Leben“ erschienenen Monographie schreibt deren Verfasser Jens Andersen dazu:

„Tove Ditlevsen hatte niemals Angst, sich zu entblößen, weder in ihrem Werk noch in ihrem Leben. Aber sie bezahlte für die Auslieferung ihrer eigenen Person den höchsten Preis… Ich denke dabei an ihre Dekonstruktionen von Zweierbeziehungen, Mutterschaft und dem bürgerlichen Familienleben.“

Tatsächlich findet sich all das in „Vilhelms Zimmer“ noch einmal wie in einer Nussschale zusammengedrängt: ihre verzweifelte Suche nach Liebe und Zugehörigkeit, ihre Schlachten mit ihrem Ex-Mann - und nicht zuletzt Ditlevsens lange Zeit wiederkehrende Erfahrung der Ablehnung ihrer Literatur.

Dabei gelang es ihr ein letztes Mal, das Persönliche in eine literarische Form zu überführen, die es allgemein erfahrbar macht. So sieht man dem Scheitern ihrer Beziehung mit angehaltenem Atem zu.

Physisch überleben sowohl Tove als auch Luise die heftigen Auseinandersetzungen – abschließend erklären aber kann Luise, die im Roman für ihre Schöpferin spricht, sich die Gründe für all das entstandene Leid nicht.

„Es fällt ziemlich schwer, eine bestimmte Begebenheit auszumachen, die für Vilhelm und mich zur endgültigen Katastrophe führte.“

Erschöpft vom Schreiben und Kämpfen wählte Tove Ditlevsen 1976 den Freitod. Ihr vitales, in seiner furiosen poetischen Kühnheit und beeindruckenden Kompromisslosigkeit solitäres Werk aber bleibt davon unberührt. Vom dänischen Literaturbetrieb lange als Verfasserin sogenannter „Bekenntnisliteratur“ abgetan, wird sie inzwischen als eine der wichtigsten und einzigartigsten Stimmen der dänischen Literatur des 20. Jahrhunderts gefeiert: Ihr letzter nun vorliegender Roman demonstriert noch einmal eindrucksvoll, weshalb.


Mehr Infos

Tove Ditlevsen
„Vilhelms Zimmer“

Aus dem Dänischen von Ursel Allenstein
Aufbau Verlag, 206 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3-351-03937-0


Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 06.01.2025 auf SR kultur.

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