Eindrücke aus der armenischen Literaturszene

Eindrücke aus der armenischen Literaturszene

Jana Bohlmann   23.12.2024 | 10:33 Uhr

Die ehemalige Sowjetrepublik Armenien ist flächenmäßig nur so groß wie Brandenburg. Geschichtlich und literarisch hat das Land im Kaukasus jedoch einiges zu bieten. SR kultur-Reporterin Jana Bohlmann hat sich die Literaturszene des Landes angeschaut.

Die Autorin Anush Kocharayan sitzt auf der Veranda der Myrozyan Bücherei mitten im trubeligen Zentrum von Armeniens Hauptstadt Jerewan. Aus einer Tasse, bemalt mit orangenen und türkisen Blumen, die noch aus der Sowjet-Zeit stammt, trinkt sie behutsam heißen, schwarzen Kaffee. Geschrieben hat sie schon immer, erzählt sie – als Journalistin oder auch fürs Theater. Ihr erster Lyrik-Band ist vor zwei Jahren erschienen. Momentan arbeitet sie an ihrem Debütroman.

As a writer from the independent generation of Armenia, it is essential for me to reflect on the stories that I have about my country as a post-Soviet one. In 2020, the new war, the Second Nagorno-Karabakh War, turned everything upside down and into absurdity as I became a direct witness to the war, which woke me up from a 30-year dream. I think it happened with everyone in Armenia, but especially as a writer, I was very sensitive at that time because I was just a witness, not a child, because I was a child when the first Nagorno-Karabakh was. Als Schriftstellerin der Generation eines von der Sowjetunion unabhängigen Armeniens ist es für mich unglaublich wichtig die Geschichten zu reflektieren, die ich über mein Land als ein post-sowjetisches habe. 2020 hat der zweite Bergkarabach-Krieg alles auf den Kopf gestellt und ich wurde plötzlich Augenzeugin eines Krieges, der mich aus einem 30 Jahre langen Traum hat aufwachen lassen. Ich glaube, so ging es allen in Armenien, aber besonders als Schriftstellerin war ich sehr empfindsam. Bei dem ersten Krieg in Bergkarabach, war ich noch ein Kind.

Die gewaltvolle Besetzung von Bergkarabach im vergangenen Jahr durch Aserbaidschan und der über dreißigjährige Krieg mit dem Nachbarland hat ein tiefes, emotionales Trauma in der armenischen Gesellschaft zurückgelassen. Das spiegelt sich auch in der zeitgenössischen Literatur des Landes wider – und auch in der Arbeit von Anush Kocharayan. Mit einem ernsten und zugleich traurigen Blick erzählt die 34-Jährige weiter:

But it's you know, it's not about war. It's about how to deal with this peace and war agenda. How to exist with all these issues and dangerous and worries. How to not only exist and not only think about daily life, but also create in this situation. So it's not about war, but it comes from war. Es geht aber nicht um den Krieg an sich, es geht darum, wie man mit dieser Krieg- und Frieden-Agenda umgeht. Wie man mit all diesen Problemen, Gefahren und Sorgen lebt. Aber nicht nur wie man im Alltag weiterlebt, sondern auch wie man in dieser Situation etwas erschafft. Es geht also nicht um den Krieg, aber er ist der Hintergrund, aus dem meine Arbeit entsteht.

Für die Autorin ist das Schreiben über dieses Thema zwar schmerzhaft, aber auch essenziell. Denn diese Erlebnisse prägen sie und ihre armenische Identität. Das Land im südlichen Kaukasus musste in seiner Geschichte immer wieder um genau diese Identität kämpfen: in den unzähligen Kriegen über Jahrhunderte hinweg, aber auch während der Sowjetunion. Trotz allem schaffte die armenische Gesellschaft es ihr kulturelles Erbe zu bewahren. Literatur spielt bis heute eine große Rolle im Land, sagt der PEN-Präsident Armeniens und Autor Armen Ohanyan. Dennoch ist es nicht ganz einfach Autor oder Autorin in Armenien zu sein:

You are an Armenian writer, which means that you probably are writing in Armenian, for Armenians, because the country is homogeneous and we don't have other people around. So, it's like a cycle. So, you are like in a cage, you know, in a way. So, you know full well from the beginning that you should write something that is only interesting to Armenians. Wer in Armenien als Schriftsteller arbeitet, schreibt höchstwahrscheinlich auf armenisch für Armenier, weil unsere Gesellschaft sehr homogen ist. Hier leben kaum Menschen aus anderen Ländern. Man fühlt sich dabei ein bisschen wie in einem Käfig. Die Autoren wissen, dass sie am besten über Dinge schreiben, die nur die Armenier interessieren. Dabei sind armenische Autorinnen und Autoren zwar frei in ihrem Schreiben, aber Themen wie gleichgeschlechtliche Liebe oder Transsexualität sind in großen Teilen tabu.

You can be denied or you can be punished, let's say, by general public and public opinion, which is very strong and still very conservative. Man kann abgelehnt oder, sagen wir, von einem breiten Publikum und der öffentlichen Meinung bestraft werden, weil die immer noch sehr konservativ eingestellt sind.

Für Armen Ohanyan ist vor allem die Sichtbarkeit der armenischen Literatur über die armenischen Grenzen hinaus ein Problem. Ins Deutsche wird zurzeit immer noch sehr wenig übersetzt – gerade mal eine Handvoll armenischer Autorinnen und Autoren sind auf dem deutschen Buchmarkt zu finden. Ähnlich sieht es mit Übersetzungen ins Französische aus. Ins Englische wurden immerhin bereits etwas mehr als zehn armenische Werke übersetzt.

It's underrepresented, and now we are trying hard to be heard also, to bring to other corners of the world our voices, our stories, because we've got a lot of stories, not untold, they are told. Many stories are told and published, and there is a vivid book market in Armenia, and we've got a lot of new names, new generation of authors, but they are not presented. Armenische Literatur ist unterrepräsentiert. Wir bemühen uns sehr, gehört zu werden und unsere Stimmen und unsere Geschichten auch in andere Ecken der Welt zu bringen, denn wir haben viele Geschichten, die hier bei uns erzählt und veröffentlicht werden. Es gibt einen lebendigen Buchmarkt im Land und wir haben viele neue Namen, eine neue Generation von Autoren, aber sie sind international nicht sichtbar.

Auch für die Autorin Anush Koacharayn ist diese Repräsentation über die Grenzen Armeniens hinaus und das Gehört werden von der internationalen Gemeinschaft ein großer Wunsch. Und motiviert sie weiterhin ihre Geschichten zu erzählen. Ein Leben ohne das Schreiben – schlicht unvorstellbar.

When I say I can't imagine my life without writing, I mean that everything that I do, or even some talks here inside of our country, somehow my final result is how to impress all this, or how to put, not only in a novel, but in a text, which I can present or represent in other country also. Maybe it's again somehow connects with identity, and I'm acting as an Armenian girl, working on my novel, but I think it's really there are some interesting things that world should know about Armenia, because we are part of that world. Bei allem was ich tue, ist es immer mein Ziel, dass ich alles einfange und dann verarbeite. Nicht nur in einem Roman, sondern auch in Texten, die ich in anderen Ländern vorstellen kann. Vielleicht hängt das auch wieder mit meiner armenischen Identität zusammen, aber da sind wirklich viele interessante Dinge, die die Welt über Armenien wissen sollte, weil wir ja auch Teil dieser Welt sind.

Doch um das zu erreichen, werden händeringend Übersetzerinnen und Übersetzer gesucht. Deutsche Bücher werden immer noch eher ins armenische übersetzt als umgekehrt. Bis die armenische Literatur ihren festen Platz auf dem deutschen Buchmarkt findet, wird es mit Sicherheit noch eine Weile dauern, aber wenn, dann werden den Leserinnen und Lesern ganz neue Welten eröffnet.

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 23.12.2024 auf SR kultur.

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