Thomas Meinecke, „Odenwald“

Thomas Meinecke, „Odenwald“

Beate Meierfrankenfeld   30.10.2024 | 18:00 Uhr

Thomas Meinecke ist Schriftsteller, Musiker und DJ. Seine Romane sind keine klassisch psychologischen Erzählungen, sondern eher Textmontagen. In Meineckes Bücher fließen viele Lektüren ein, Theorie, Literatur, Historie. Bekannt wurde der Autor Ende der 90er mit „Tomboy“, es folgten „Hellblau“ oder „Selbst“. Nun ist ein neuer Roman erschienen, „Odenwald“. Beate Meierfrankenfeld hat ihn gelesen und mit Thomas Meinecke gesprochen.

"Plastik“ sei ein fantastisches Wort, sagt der Fabrikant auf Seite 40

und Thomas kann ihm nur hellauf zustimmen.

Thomas Meinecke, der Autor des Romans, der zugleich eine seiner Figuren ist.

Siehe auch Kunststoff, das weltberühmte Album des Heidelbergers David Moufang alias Move D aus dem Jahr 1995

„Siehe auch“, Assoziation und Verweis also, als Bauprinzip von Literatur. Ein paar Zeilen, und wir sind mittendrin im Meinecke-Kosmos: Popkultur und Provinz, Zitat, Selbstzitat und emphatische Künstlichkeit. Die Koziol-Werke in Erbach im Odenwald sind es, von deren Kunststoff hier die Rede ist, der Odenwald ist Nibelungenlied-Land, Erbach nicht weit von Amorbach, wo Adorno seine Kindheitssommer verbrachte. Der einzige Ort „auf diesem fragwürdigen Planeten“, an dem er sich immer zu Hause gefühlt habe, wie der Philosoph später schrieb. Dort beginnt der Roman.

Das spielt eine Rolle, dass ich praktisch da diesen Zirkel einsteche, und dann landet man ja immer im Laufe des Buches auch ganz woanders, aber über den Odenwald gebürstet quasi. Irgendwie habe ich da so eine Affinität, in abgelegene Orte zu gehen, auch nicht unbedingt total urbane. Also, den Berlin-Roman wird es von mir wahrscheinlich nie geben.

Orte sind wichtig bei Thomas Meinecke, echte Schauplätze von Handlung aber sind sie nicht. Denn dieser Autor schreibt keine Handlungsromane. Doch was dann? Diskursliteratur vielleicht, würde das nicht zu thesenfroh klingen, denn um Thesen geht es auch wieder nicht. Es geht, so könnte man etwas hochtrabend sagen, um eine Grunderfahrung der Moderne: Alles ist mit fast allem verbunden, unsere Welt ist das, was uns über Bild und Text von ihr erreicht, einen festen Punkt der Beobachtung gibt es nicht mehr. Was auch das Bücherschreiben verändert:

Ich bin ja nicht sehr interessiert daran, so einen souveränen Autor abzugeben, der alles weiß, wie es gemacht wird, sondern ich suche ja auch. Und bei diesem Suchprozessen sind dann die Lesenden mit dabei.

Die „Suchprozesse“ sind wörtlich zu verstehen: Man liest das Buch zusammen mit Google, prüft Wikipedia-Zitate und Zeitungsartikel, schaut bei Maps nach. Zieht Roland Barthes aus dem Regal, die Brüder Grimm oder Judith Butler, die für Thomas Meinecke noch immer ein wichtiger Bezugspunkt ist

Butler geht nie ganz weg, glaube ich, bei mir

...auch wenn er ihre politischen Positionen zu Israel nicht teilt.

Dieses männliche „Know it all“-Schreibsubjekt, das will ich zerlegen beziehungsweise unter die Lupe legen. Und darüber eine gewisse Klarheit zu erlangen: Was machen wir da? Was denken wir da? Wie reden wir denn? Das ist eigentlich mein Thema: Von welchem Ort wird hier eigentlich gesprochen?

Wir sind, was wir lesen: Hätte der Roman eine Botschaft, dann wäre es diese. Natürlich ist es schon ein bisschen eitel, wenn Meinecke sich selbst in sein Buch hineinschreibt als den Schriftsteller, über dessen frühen Roman „Tomboy“ eine Tagung in Austin, Texas stattfindet. Und natürlich kann man streckenweise ratlos sein, auch genervt mit dieser ausfransenden Lektüre. Doch genau das kalkuliert der Roman. Er ist kein geschlossener Raum, den man andächtig betritt, sondern ein poröses Gebilde. Ebenso porös wie die erstaunliche Lese-Erfahrung, die man mit ihm machen kann.

Apropos Texas: Im 19. Jahrhundert organisierte ein hessischer Adelsverein Auswanderungen in die USA, mit dabei: das Odenwälder Fürstenhaus zu Leiningen. Auch das ist Stoff für die „Fundstück-Ästhetik“ des Romans. Die neuen Siedlungen – eine davon „Bettina“ getauft nach der Dichterin Bettina von Arnim – zogen Utopiker und Sozialisten an. Und Pioniere der Abenteuerliteratur.

Manche hielten den Western sogar für eine deutsche Erfindung.

Lautet der letzte Satz des Romans. Kein Schlusspunkt sagt der Autor Meinecke, nicht der im Buch, sondern der im Interview:

Ich bin noch gar nicht da, wo ich eigentlich hin will. Ich habe diesen Plastik-Fabrikanten, ich habe diverse Figuren im Odenwald und natürlich dieses ominöse Fürstenhaus der Leininger, die eben mit diesen deutschen Auswanderern zu tun haben. Meine Bücher sind alle eigentlich im gewissen Sinne so inzwischen, dass sie Motive immer wieder aufgreifen, es macht mir einfach Spaß – ich will mir ja nichts ausdenken.

Wenn Meineckes Schreibweise immer noch Avantgarde ist, dann eine ziemlich bodenständige, ganz ohne programmatische Geste. Hier wird nicht behauptet, Literatur auf der Höhe der Zeit gehe nur so, hier probiert einer einfach aus, was passiert, wenn man einen Roman in die lässige Obsession verkehrt, mit allen möglichen Textsorten allen möglichen Motiven zu folgen. Ohne Anfang und Ende, Konflikt oder Erlösung. Fast wie im richtigen Leben.

Thomas Meinecke
„Odenwald“

Suhrkamp Verlag, 440 Seiten, 26 Euro
ISBN: 978-3-518-43191-7

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 30.10.2024 auf SR kultur.

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