Frank Schätzing: "Helden"

Frank Schätzing: "Helden"

Mario Scalla   16.10.2024 | 16:00 Uhr

Die Romane von Frank Schätzing sind umfangreich, nicht selten um die tausend Seiten, und sorgen regelmäßig für Aufsehen. "Helden" ist die Fortsetzung seines ersten Romans, „Tod und Teufel", der bereits 1995 erschien. Mario Scalla hat ihn gelesen.

„Helden“ ist die Fortsetzung seines ersten Romans, „Tod und Teufel“, der bereits 1995 erschien und für Frank Schätzings Verhältnisse mit gut 500 Seiten eher schmal war. Die Fortsetzung nun spielt in einer ganz anderen Liga, was den Umfang, aber vor allem was die Geschichte betrifft. Während „Tod und Teufel“ die spätmittelalterlichen Verhältnisse im Köln des 13. Jahrhunderts zum Thema hatte, wird in „Helden“ das Panorama geweitet. Jakob, der 'rote Fuchs', rothaarige Hauptfigur der beiden Romane, verlässt die Kölner Gefilde, besucht die großen Handelsmessen in der Champagne und fährt über den Ärmelkanal Richtung London. Er ist nicht mehr der geschickte Dieb des ersten Teils, er bildet sich, studiert die Philosophie, schließt sich Händlern an und träumt vom großen sozialen Aufstieg – ein Mann will nach oben, und das in einer Zeit, Mitte des 13. Jahrhunderts, als alles in Bewegung zu geraten schien und das Altbewährte in Gestalt von Klerus und König bereits erbitterte Verteidigungsschlachten gegen die Exponenten des Neuen, gegen die Händler und Kaufleute ausfocht. Einer der Kölner Handelsmänner bringt es auf den Punkt:

Epochales wird sich ändern, weil wir es ändern. Nicht länger werden wir uns von Adel und Klerus abhängig machen, sondern wir machen sie abhängig von uns. Werden nicht länger zittern, ob sie zu unseren Gunsten entscheiden, sondern ihnen unsere Wünsche in die Feder diktieren. Hier, im Reich, in der Welt. Mag sein, es wird uns Jahrzehnte kosten, doch wir werden siegen, denn wir kämpfen mit der mächtigsten Waffe, die uns jemals zur Verfügung gestanden hat.“ - Er zog einen Silberpfennig aus seiner Manteltasche.

„Helden“ ist ein Mittelalter-Roman, der unterhaltend und interessant ist – und das nicht, weil er Ritter aufmarschieren lässt und Burgen-Hokuspokus treibt, wie das in diesem Genre gerne mal geschieht. Der Autor hat ausgiebig recherchiert und kennt die ökonomischen Details. Eine der entscheidenden Neuerungen der Zeit war der Kreditbrief. Kaufleute konnten ihn ausstellen und er wurde hunderte Kilometer entfernt akzeptiert und eingelöst. Auf diese Weise wurden Grenzen überwunden, weit entfernte Regionen durch Handel und Austausch miteinander verbunden. Schätzing beschreibt, wie die Venezianer sich aufmachen, zur Handelsmacht werden; wie Händler und Zünfte in England gegen den König revoltieren, wie Handelsbürgertum, Adel und Klerus in Nord- und Westeuropa um die Macht ringen. Eines der Zentren war seinerzeit die Stadt Troyes in der Champagne. Als Jacob der Fuchs dort in die große Welt der Handelsgeschäfte eingeweiht wird, ist er überwältigt:

Sie überließen sich dem Menschenstrom und badeten in Farben: kunterbunt die Beinlinge der Handwerker und Ladenbesitzer, grell das Bürgertum in seiner Aneignung höfischer Kleidungsstile, mahnend das Schwarzbraun der Ordenstrachten. Schweine schossen im Zickzack durch die Menge, Esel schrien, es roch nach lebenden und gebratenen Tieren, aufgeschütteten Gewürzen, rosenschweren Ölen und Essenzen. Wo sonst bekam man so viel fremdes Volk geboten, so viele fremde Zungen zu hören - gehandelt wurde auf Französisch, geflucht in der Muttersprache.

Schätzing hat die historischen Quellen gründlich studiert, Leser und Leserin können mit großem Vergnügen eintauchen in die Welt der Schuldverschreibungen und der Wechsel, des Gewürzhandels, der Stoffe und der exotischen Früchte. Sie erfahren, dass es üblich war, billiges Mehl unter kostbaren Safran zu mischen, und sie lesen, was passiert, wenn man dabei erwischt wird. Etwas Geduld fordern hingegen längere Passagen, in denen der Autor sein Wissen über die dynastischen Beziehungen und die Intrigen vor allem innerhalb des englischen Königshauses ausbreitet; im Gegensatz zur bunten Welt des aufkommenden Welthandels langweilen royale Verwicklungen und Palastintrigen, doch wer sich durch die Seiten kämpft, wird entschädigt durch fesselnde Schlachtengemälde:

Mathias wählte einen Zweihänder und einen Sarazenendolch, zwängte sich in Brünne, Harnisch und Panzerhosen. Das Gewölbe füllte sich, Knechte und Gesellen waren an den Waffen geschult. Kölns Bürger hatten im Falle eines Angriffs die Mauer zu sichern, jeder besaß irgendwas, womit sich hauen und stechen ließ, Hellebarde, Armbrust, Axt, selbst Mistgabeln machten veritable Löcher.

Kann der Erzbischof seine Macht über die Handelsstadt wiederherstellen, oder kämpfen sich die belagerten Patrizier, mit den Zünften und dem Volk im Rücken, wieder frei? Frank Schätzing hat ein Grundgefühl dieser Epoche wiederbelebt. Die alte Welt ist aus den Fugen, die Kirche verliert langsam aber sicher ihre Macht, Rebellionen setzen der Königsherrschaft zu. Unruhe, Angst und Erwartung geben sich ein Stelldichein. Der Italiener Antonio Gramsci schrieb einmal: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht erwacht. Es ist die Zeit der Monster.“ - Ein paar monsterverdächtige Gestalten tauchen auch in diesem Roman auf, aber was dominiert sind Spannung und Erwartung. „Helden“ ist ein detailreicher Roman über eine Zeitenwende, die wirklich eine war.

Frank Schätzing
"Helden"

Kiepenheuer & Witch, 1040 Seiten, 36 Euro
ISBN: 978-3-462-00097-9

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 16.10.2024 auf SR kultur.

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