Julia Schoch: "Wild nach einem wilden Traum"

Julia Schoch: "Wild nach einem wilden Traum"

Tilla Fuchs   10.01.2025 | 09:32 Uhr

Die Bestseller-Autorin und Übersetzerin Julia Schoch beendet ihre dreibändige „Biographie einer Frau“, die aus den Romanen " Das Vorkommnis“ und „Das Liebespaar des Jahrhunderts" besteht. Tilla Fuchs hat den dritten Band der Reihe gelesen.

Julia Schoch ist bekannt für spektakuläre Romananfänge: „Wir haben übrigens denselben Vater“ oder „Im Grunde ist es ganz einfach, ich verlasse dich,“ lauten solche ersten Sätze, die für die Autorin zentrale Bedeutung haben:   

„Die sind der Anfangsimpuls. Wenn ich die gefunden hab, dann bin ich ganz froh, dann weiß ich, wie ich loslaufen muss. Dann lauf ich sozusagen schreibend in die Ebene und such mir die Teile zusammen, die dazugehören“

Und wohin läuft sie in „Wild nach einem wilden Traum“, dem Abschluss ihrer Romantrilogie?

Ich setze noch einmal an. An einem anderen Punkt.

Ein scheinbar lapidarer, zweiter Einstieg also, der gleichzeitig einen Hallraum öffnet, der bei der Romanistin und Übersetzerin Julia Schoch immer mitklingt: „Angefangen hat das so“, lautet der ebenso lapidare, aber entschiedene Romananfang von Louis-Ferdinand Célines „Reise ans Ende der Nacht“. Schochs Erzählerin dagegen tastet, ist unsicher. Sie schildert die Affäre mit einem Mann, der „Der Katalane“ genannt wird. Kennengelernt haben sich die beiden während eines Schreibstipendiums in einer Künstlerkolonie in den USA.

Obwohl es doch schon einen Mann in meinem Leben gab. Genauer gesagt, meinen Mann

Die Erinnerung an die Affäre mit dem „Katalanen“ hallt Jahre nach und bildet dennoch nur die Rahmenhandlung, die Außenhaut des Romans. Zwischen den Erzählsträngen windet sich eine weitere Geschichte heraus: darin geht es um einen anderen Mann, genannt „der Soldat“. Begegnet ist ihm die Erzählerin als Zwölfjährige in einem Wäldchen nahe der Garnisonsstadt E. am Stettiner Haff, in der sie mit ihren Eltern – der Vater ist Offizier in der nahen Kaserne – zu DDR-Zeiten lebt. Es ist weniger ein erotisches als vielmehr intellektuelles Erweckungserlebnis: Was macht eine künstlerische Existenz aus? Wie werde ich Schriftstellerin? Dass die Erinnerung an diese Begegnung wieder an die Oberfläche kommt, verdankt sie dem Katalanen, seine Geschichte wird zum Vehikel für die Geschichte des Soldaten, zum „Zeitfahrzeug“, wie es im Roman heißt.

Kehrt man denn so leichtfüßig ins Reich der eigenen Kindheit zurück? Handelt es sich um ein klar umrissenes, abgezäuntes Gelände, in das man jederzeit hineinspazieren kann? Wir bewohnen unsere Vergangenheit, wie man Träume bewohnt.

Und „wilde Träume“ wuchern bis in die Realität hinein, werden zu Auslösern für die Erzählerin – oder für die Erzählerinnen? Denn wie sind die Frauenfiguren in Schochs Trilogie miteinander verbunden? Erzählt die Biographie einer Frau trotz variierender Settings letztlich immer von ein und derselben Person?

" Ich hatte über mehrere Jahre in meinen Notizbüchern verschiedene Notizen zu Frauen, und habe gemerkt, dass es immer dieselbe Ich-Erzählerin ist und hab dann immer nur drüber notiert Frau 1, Frau 2, und gemerkt, dass es besser ist, das auseinanderzunehmen und ganz in Ruhe jede Perspektive zu ihrem Recht kommen zu lassen, und damit auch zu zeigen, dass wir in verschiedenen Stadien anders auf dieselben Dinge schauen. Mit 20, mit 30, mit 40. Es ist einfach wieder ein anderer Blick in das Gelände desselben Lebens“

So verrät „Wild nach einem wilden Traum“ auch einiges über Schochs Poetik, etwa wenn ihre Erzählerin ein „Gefühl von Scharlatanerie“ beschleicht, wie es im Roman heißt; Denn wie kann sie Autorin sein, wenn doch Lesen und Schreiben „heilige Handlungen“ sind? Julia Schoch jedenfalls kann es, beschwört auf spielerische, leichte Art sperrige Erinnerungen - amouröser wie politischer Natur - etwa wenn es um die wieder aufgeflammte Bedrohung durch den Krieg geht:

Lange Zeit ist der Soldat meiner Kindheit für mich etwas Übriggebliebenes gewesen, das Relikt einer untergegangenen Epoche, fast schon eine Phantasiegestalt. Inzwischen sehe ich in ihm einen Vorboten, durch den alles Gekannte von Neuem beginnt. Auf die Zerstörung folgt die Veränderung, folgen Phasen eines zittrigen, bedeutungslosen Friedens, der nur wieder die Zerstörung nach sich zieht.

Fast glauben wir Walter Benjamins Engel der Geschichte zu hören, bevor dem vieldeutigen Anfangssatz doch ein augenzwinkernder, hoffnungsvoller Schluss folgt.

Julia Schoch
„Wild nach einem wilden Traum“

dtv Verlag, 176 Seiten, 23 Euro
ISBN: 978-3-423-28425-7

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 10.01.2025 auf SR kultur.

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