Rückblick auf eine ganz große Hilfsaktion und was daraus geworden ist
Am zweiten Weihnachtsfeiertag vor 20 Jahren zerstörte ein gewaltiger Tsunami breite Küstenstreifen am Indischen Ozean. Mehr als 230.000 Menschen verloren ihr Leben. Das unbeschreibliche Leid löste eine unglaubliche Hilfsbereitschaft aus - auch im Saarland.
Der Tsunami vom zweiten Weihnachtstag 2004 gilt als eine Jahrhundertkatastrophe. Mehr als 230.000 Menschen rund um den Indischen Ozean konnten den tödlichen Fluten nicht entkommen.
Fast zehn Minuten dauerte das verheerende Seebeben vor der Küste der indonesischen Provinz Aceh auf Sumatra. Das Beben war selbst in Thailands Hauptstadt Bangkok zu spüren war und löste die zerstörerischen Tsunami-Wellen aus. Die wiederum hatten Auswirkungen bis nach Afrika.
Es gibt Ereignisse, da weißt Du Jahrzehnte später noch genau, was Du damals gemacht hast. Der Tsunami von 2004 ist für mich ein solches. Am 26.Dezember war ich im Büro, weil ich noch am Jahresrückblick arbeiten musste. Am 27.12.2004 standen die ersten Angehörigen hier bei uns auf dem Flur und baten händeringend darum, ihnen und vor allem ihren Verwandten in den verwüsteten Küstenstrichen in Indonesien, Thailand, Sri Lanka und Indien zu helfen. Und es gab auch viele Anrufe von Hörerinnen und Hörern, die wissen wollten, wie sie helfen könnten.
So entstand die SR-Flutopferaktion
Der Saarländische Rundfunk entschied sich damals kurzerhand, die SR-Flutopferaktion ins Leben zu rufen. Zum Auftakt gab es einen Wunschmusik-Marathon aller SR-Hörfunkprogramme, bei dem 150.000 Euro zusammen kamen. Auch überall im Land gab es Unterstützung für die SR-Flutopferaktion
von den Landfrauen über Musikvereine, Jugendzentren, Schulen und Kindergärten. Wir waren absolut überwältig von der Resonanz. Den ganzen Januar über hatten wir ein fixes Abendprogramm: zu Veranstaltungen von Wadern bis Blieskastel, von Saarlouis bis St. Wendel - Große und Kleine sammelten Geld für die Flutopfer und für die SR-Flutopferaktion, die längst zu der Hilfs-Aktion des gesamten Landes geworden war. Unglaublich, was sich die Menschen haben einfallen lassen, um Spenden einzusammeln. Unglaublich auch, mit welcher Empathie selbst die Kleinen bei der Sache waren - weil Gleichaltrige doch alles verloren hatten - manches davon ist mir bis heute in Erinnerung geblieben.
Dann gab es ja auch noch Spenden von Unternehmen - einem großen aus der Pfalz beispielsweise. Und auch da weiß ich noch genau, wo ich stand, als der Anruf von Wasgau mit der Frage kam, ob sie sich an unserer Aktion beteiligen dürften und wie ich in Tränen ausgebrochen bin, als uns dann ein 5-stelliger Betrag angekündigt wurde. Das wurde nur noch getoppt von der Belegschaft und dem Vorstand der Dillinger Hütte - der Betrag war 6-stellig und da war dann auch der Ministerpräsident dabei, als der symbolische Scheck überreicht wurde. Insgesamt kamen so fast zwei Millionen Euro an Hilfsgeldern für die Opfer der Flutkatastrophe zusammen.
Eine große Verantwortung
Überwältigend war auch das Vertrauen, das die Menschen im Land damals in uns gesetzt haben. Dass wir das nicht enttäuschen durften, das war mir durchaus von Beginn an klar. Aber was das genau bedeutet, das habe ich erst im Lauf der Monate im wahrsten Sinne des Wortes begriffen.
Von Anfang an war klar, dass wir für den Einsatz der Spendengelder natürlich kompetente Partner an der Seite des SR brauchen. Die haben wir im THW, der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), wie sie damals noch hieß, in einem Projekt aus dem Raum St. Wendel um Peter Adams und
Father Britto in der Schönstadtschwester Gisela Häring und im Kiwanis Club Saarbrücken gefunden.
Die unterstützten Projekte in Indien
Im indischen Bundesstaat Tamil Nadu konnte der SR mit den Spendengeldern Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Wir organisierten Computerkurse für Frauen
Wir übernahmen Schulgeld für Waisenkinder
Wir statteten eine Nähschule aus und organisierten Nähkurse.
Und wir finanzierten eine Ziegelsteinbrennerei - ein Projekt, das auch Dalit-Frauen einschließt, also die Unberührbaren.
Eine klassische Anschubfinanzierung, denn Ziegelsteine wurden dringend gebraucht in den Jahren nach dem Tsunami. Wir finanzierten die Ausbildung von Mädchen, deren Familien durch das Salzwasser des Tsunamis ihr Land verloren hatten.
Und im südlichen Tamil Nadu haben wir mit den Nordsaarländern zusammen dabei geholfen, das Fischerdorf Idinthakarai wieder aufzubauen. Als wir dort ankamen, spielten die Kinder noch in den Trümmern, die der Tsunami hinterlassen hatte.
Der Küstenort war stark zerstört, aber es hatte vergleichsweise nur wenige Tote gegeben. Weil ein Fischer, als er sah, dass das Meer verschwand, sofort zu Father Britto gelaufen ist. Der hat geistesgegenwärtig sofort die Glocken läuten lassen und rannte dann mit "seinen Schäfchen" den Hügel hoch und brachte die Gemeinde so in Sicherheit.
Die unterstützten Projekte auf Sri Lanka
Auf Sri Lanka haben wir ebenfalls mehrere Projekte unterstützt. Im Südwesten beispielsweise, genauer gesagt im Küstenort Weligama, wurde mit den Spendengeldern eine Schule neu gebaut - auf Vorschlag und in Kooperation mit Kiwanis Saarbrücken. Klaus Kiefer hatte den Tsunami selbst vor Ort erlebt und war hier bei uns vorstellig geworden mit dem Vorschlag, die Schule an einem sicheren Ort neu aufzubauen.
Vor Ort legte der Architekt immer wieder auch selbst Hand an. Aber es war vor allem der Jung-Architektin Maren Nolte zu verdanken, dass das Projekt so gut und fast im Zeitplan umgesetzt werden konnte. Die hatte all ihren Urlaub gesammelt und war als Bauleiterin vor Ort geblieben.
Die Räume dienen auch heute noch als Klassenräume, wie wir hörten, bloß die sanitären Einrichtungen haben nicht lange überlebt. Der Direktor soll sie bei sich zuhause eingesetzt haben - aber das wissen wir nur vom Hörensagen, denn wir haben später kein Arbeitsvisum mehr für Sri Lanka bekommen. Das mag daran gelegen haben, das wir uns zusammen mit der GTZ auch in der damaligen Bürgerkriegsregion im Nordosten engagiert haben. Dort kam nämlich kaum etwas an Spenden an - es war auch nicht ganz ungefährlich, daher möchte ich mich mit Kritik lieber zurück halten. Aber wir haben es mit Hilfe der GTZ und einem speziellen UN-Fahrzeug geschafft, uns die Lage vor Ort genau anzuschauen und dann gemeinsam mit den Ortskräften zu entscheiden, was mit dem Geld aus der SR-Flutopferaktion geschehen soll.
Im Bezirk Baticaloa im Nordosten Sri Lankas ging es vorranig darum, Nothilfe für Waisenkinder zu leisten. Angefangen von Kleidern, Schuhen, Taschen.
In der zweiten Stufe haben wir mit der GTZ Fahrräder organisiert, weil viele Kinder nun woanders lebten und einen verdammt weiten Schulweg hatten. Aber wo immer es ging, haben die Behörden die Waisenkinder wenigstens im gewohnten Umfeld lernen lassen. Das war für viele auch eine große Freude und die Räder waren der Hit.
Waisenkinder wie dieses kleine Mädchen, mit der wir zurück an die Küste gefahren sind, dorthin, wo früher mal ihr Elternhaus gestanden hatte. Nishantini hatte durch den Tsunami Eltern und Großeltern verloren, aber nach Tagen des Umherirrens ihren Bruder und auch eine Tante gefunden, die beide bei sich aufgenommen hat, obwohl sie selbst auch vieles verloren hatte. Auf Sri Lanka haben wir mit der GTZ auch dabei geholfen, einem Dorf Strukturen zum Wiederaufbau und zur Selbsthilfe zu verschaffen. Anders als beim größten Projekt der SR-Flutopfer-Aktion konnten wir uns vom gelungenen Ausgang aber leider nicht selbst überzeugen - wir bekamen ja kein Arbeitsvisum mehr.
Das größte Projekt der SR-Flutopferaktion
Unser größtes Projekt, an das mehr als die Hälfte der Spenden aus der SR-/Saarland-Flutopferaktion flossen, ist dort entstanden, wo die meisten Menschen ums Leben gekommen waren und der größte Schaden entstanden war: in der indonesischen Provinz Aceh.
Unglaublich, was wir dort, auch Monate nach dem Tsunami noch an Zerstörung gesehen haben. Und wie tief die Panik saß, das haben wir 2006 erlebt, als es ein kleineres Beben gab, alle fluchtartig die Häuser verlassen haben und mit Rädern, Mofas und Autos verzweifelt versucht haben, Richtung Berge zu kommen. Obwohl das Beben für Sumatra-Verhältnisse mit knapp unter 7 ein eher kleines war. Auch das ist eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde ... und Angst hatte ich da auch, keine Frage.
Meunasah Bak Ue - ein Fischerdorf mit Geschichte
Meunasah Bak Ue - so heißt ein Fischerdorf direkt am Meer. Es wurde durch den Tsunami vollständig zerstört. Von den rund 3000 Einwohnern überlebten nur 400. Manche davon hoch oben auf Palmen, wo die Welle sie hingespült hatte - wir sind beim ersten Besuch einer alten Frau begegnet, der genau das passiert war und die Tage dort oben auf Rettung gewartet hatte - alle hatten nur am Boden gesucht, aber nicht in der Höhe und schon gar nicht so weit vom Dorf weg. Seither begegneten ihr die Menschen mit besonderer Ehrfurcht.
Gemeinsam mit den Überlebenden entstand die Idee, ein neues Dorf aufzubauen - eines, das den nächsten Tsunami überleben kann. Über das THW wurden schnell Kontakte geknüpft. Bis mit den Arbeiten begonnen werden konnte, sollte es aber eine ganze Weile dauern.
Auch wir wurden manchmal ungeduldig. Vor allem, als wir bei unserer ersten Reise nach Aceh überall sehen konnten, wie neue Siedlungen entstanden. Bloß bei uns ging es nicht richtig voran - dachten wir. Aber die Profis vom THW blieben hart: kein Schnellschuss, keine Entscheidung über die Köpfe der Betroffenen hinweg.
Und dafür, liebe THW-ler und THW-lerinnen, bin ich euch bis heute dankbar. Und zwar genauso dankbar wie für das wunderbare Dorf, das ihr mit den Spendengeldern aus dem Saarland am Rand des Dschungels aufgebaut habt - Hut ab!!!
Die exakte Vorplanung, die Absprache mit den Fischern und der alten Dorfgemeinschaft waren aber schlussendlich der Garant dafür, dass das neue Dorf von den Menschen damals sofort angenommen wurde.
Dieses Dorf am Rand des Dschungels hat eine eigene Trinkwasserversorgung, es hat eine biologische Kläranlage und es hat ein Hebammenhaus, das sich die Bewohner gewünscht haben, als klar war, dass aus einer anderen Großspende noch etwas Zusätzliches finanziert werden konnte.
Vieles bleibt für immer - im Herzen
Auch nach fast zwanzig Jahren kann ich mich noch gut an das Entsetzen und die Sprachlosigkeit erinnern, die uns ergriff, als wir auf Sri Lanka zum ersten Mal unmittelbar mit den Folgen des Tsunamis konfrontiert wurden. Wir, das kleine SR-Team: Anfangs Marie-Elisabeth Denzer, Martin Brinkmann und ich, später nur noch Martin und ich. Und wie erstaunt wir waren, mit welchem Tatendran und welchem Lebensmut die Menschen sich daran gemacht haben, wieder etwas aufzubauen - nicht alle, aber doch sehr viele. So wie die Zerstörung Klaus Kiefer etwa an die Bombardierung Dresdens erinnerte, so kam uns schon im Februar 2005 vieles vor wie wir es aus Erzählungen und Geschichtsbüchern von den Trümmerfrauen kennen.
Mein Lieblings-Projekt ist ganz klar das Dorf am Rand des Dschungels, weil es so aufwendig war, weil es so lange gedauert hat und weil es in Gemeinschaft entstanden ist und weil das THW dort einmal mehr gezeigt hat, was es zu leisten im Stande ist.
Meine Herzens-Projekte sind viel viel kleiner: Das Kind, das sich auf den Finger spuckt und mit dem dann meinen Arm reibt, mich immer schön anlächelnd dabei, um herauszufinden, wieviel Schminke ich da drauf habe ... wie könnte ich sonst so helle Haut haben. Das gemeinsame Singen im Auffanglager an der Südküste Sri Lankas - Bruder Jakob / Frère Jaques kennen alle und es wurde ein wunderbarer Kanon, den ich immer noch in den Ohren habe. Als wir weiterfuhren flüsterte mir ein kleiner Junge ins Ohr, er hätte so gerne einen deutschen Fußball. Schaun wir mal, wir kommen wieder. Gesagt, getan. Wir haben uns tatsächlich wiedergefunden, Monate später. Noch nie habe ich mit so viel Freude und über so viele Kilometer einen Fußball transportiert.
Und dann die kleine Waise aus dem Bezirk Batticaloa. Nishantini, die in aller Trauer um Eltern und Großeltern nie ihre Zuversicht und ihre Lebensfreude verloren hat und ihr Vertrauen in Menschen - auch in uns, die sie nur so kurz erlebt hat und die so anders aussehen als sie selbst. Das Lachen der kleinen Nishantini ist rückblickend der größte Dank.
Ein Thema in "Guten Morgen" und der "Region am Mittag" am 27.12.2024 auf SR 3 Saarlandwelle