Das Reden gibt Halt
Das „Einsamkeitsbarometer“ ist eine Langzeitstudie, die über 30 Jahre geht. Sie zeigt auf, dass immer mehr Menschen in Deutschland sich einsam fühlen und darunter leiden. Was Einsamkeit mit Menschen macht – SR-Reporterin Lena Schmidtke hat einen Betroffen besucht.
„Es ist jeden Tag - von morgens bis abends ein Kampf", sagt Jürgen. Er sitzt nachdenklich auf seiner Couch in der kleinen Wohnung in Alt-Saarbrücken. Er wirkt entspannt, seine Augen wach. Im Aschenbecher vor ihm liegt eine ausgedrückte Zigarette. Da Rauchen gebe ihm ein Gefühl, als wenn die Zigarette ihm für den Moment einen gewissen Halt gebe, sagt er. Quasi eine kurze Ablenkung von der Einsamkeit.
Die bunten Bilder hinter Jürgen passen scheinbar nicht zu dem, was der 75-Jährige erzählt. Auch nicht die blau gestrichenen Wände, die orangene Decke auf der Couch oder die farbenfrohen Pflanzen am Fenster. Wenn er in einem düsteren Raum leben müsste, dann würde ihn das noch tiefer rein reißen, sagt er. "Deswegen schaue ich, dass alles bei mir bunt ist. Die Farben geben Kraft, neue Energie."
"Einsamkeit ist keine Krankheit, es ist ein Gefühl"
Seit etwa zweieinhalb Jahren fühlt Jürgen sich fast durchgängig einsam. Damals sind zwei ihm nahestehende Menschen kurz hintereinander verstorben.
Einsamkeit sei keine Krankheit, sagt Jürgen. "Einsamkeit ist ein Gefühl der inneren Leere." Er habe noch nicht mal ein richtiges Hungergefühl. "Warum soll ich mir was kochen? Für wen? Für mich? Ist doch egal."
Das Reden gibt Halt
Nach seinem Verlust hat Jürgen Trauergruppen besucht und eine Therapie gemacht. Das Reden gebe ihm Halt, sagt er. Und deshalb hat er auch die Selbsthilfegruppe „Gemeinsamkeit gegen Depression und Einsamkeit“ gegründet.
Immer donnerstags treffen sich derzeit acht Betroffene und tauschen sich aus. "Hier kann ich reden. Hier verurteilt mich niemand. Hier werde ich verstanden - vielleicht. Und hier werde ich auch angenommen."
Weitere Infos
Selbsthilfegruppe Einsamkeit
www.selbsthilfe-saar.de
Einsamkeit - auch ein großes Thema bei jungen Menschen
Einsamkeit ist bei der Telefonseelsorge Saar bei den rund 12.000 Kontakten im Jahr eines der Top Themen - auch bei vielen jungen Menschen. Sehr viel Kontakt würde in dieser Gruppe über Mail und Chat laufen, so der evangelische Leiter der Telefonseelsorge Saar Volker Bier "Bis zu 90 Prozent, die sich bei uns im Chat melden, sind zwischen 14 und 29 Jahren.“
Einer der Hauptgründe für die Kontaktaufnahme der jungen Leute sei Überforderung. In unserer Gesellschaft spiele der gegenseitige Vergleich und die Leistung eine sehr große Rolle. "Wer diese Form nicht mitlebt, hat im Gesamtkontext, im Anerkennungsmuster kaum eine Chance und wird einsam." Deshalb werden Hilfsangebote wie die Telefonseelsorge immer wichtiger.
Schon kleine Gesten können helfen
Das weiß auch der saarländische Sozialminister Magnus Jung. Er sieht aber auch uns alle in der Pflicht. Einfach auch mal über den Gartenzaun blicken und den Nachbarn auf eine Tasse Kaffee einladen, so sein Credo.
Das sieht auch Jürgen so. Die größte Gefahr für einen einsamen Menschen sei Isolation. Wenn man selbst keine Einsamkeit empfinde, sei es zwar schwer, Einsamkeit bei einem anderen nachzuvollziehen, "aber ich kann nachfragen", sagt er. Allein, dass man sich einem einsamen Menschen zuwende, würde schon helfen.
Die Langzeitstudie
Ein Thema in der "Region am Mittag" am 17.06.2024 auf SR 3 Saarlandwelle