Harte Kritik am Landesamt für Soziales im Saarland

Harte Kritik am Landesamt für Soziales im Saarland

Caroline Uhl   07.12.2023 | 09:30 Uhr

Im Saarland gibt es massive Beschwerden über das Landesamt für Soziales. Es geht um lange Wartezeiten, schlechte Beratung und unnötige juristische Auseinandersetzungen. Das zuständige Sozialministerium verspricht Verbesserungen.

Lucie Vogelsang leidet unter einer selbst unter Medizinern noch unbekannten Erkrankung. Ihre Muskelkraft schwindet immer weiter. Für sämtliche Handgriffe ist die studierte Sozialarbeiterin auf Hilfe angewiesen. Sie kann selbst nur noch ihre rechte Hand benutzen.

Reaktionen auf Kritik am Landesamt für Soziales
Audio [SR 3, Moderation: Dorothee Scharner / im Gespräch: Caroline Uhl, 07.12.2023, Länge: 03:37 Min.]
Reaktionen auf Kritik am Landesamt für Soziales

Assistenz im Alltag

Eine Pflegekraft, 24 Stunden an ihrer Seite, überwacht die Atmung, kümmert sich ums Medizinische und Pflegerische. Für andere Alltagsdinge hatte sie lange eine sogenannte Assistenz – eine Person, die stundenweise dazu da war, Vogelgesang so zu unterstützen, dass sie möglichst selbstbestimmt leben kann.

Finanziert werden diese Maßnahmen der sogenannten Eingliederungshilfe vom Land, nach Genehmigung durch das Landesamt für Soziales (LAS). Pro Jahr fallen im Saarland für die Eingliederungshilfe Kosten in Höhe von 300 Millionen Euro an.

„Damit gar nicht gerechnet“

Für Vogelgesang ist diese Unterstützung jetzt weg. Im vergangenen Jahr war sie von Saarbrücken nach Ensheim umgezogen. Das LAS bewertete daraufhin ihre Lage neu – mit dem Ergebnis: Sie hat keinerlei Anspruch mehr auf Assistenz.

„Damit habe ich gar nicht gerechnet, weil sich im Grunde an meiner Lage nichts verändert hat. Es ist nur der Wohnort, der sich verändert hat“, sagt sie. Mittlerweile hat Vogelgesang Klage beim saarländischen Sozialgericht eingereicht. Die Arbeiten, die in den Jahren zuvor ihre Assistenz übernahm, müssen nun die Eltern schultern.

Lucie Vogelgesang mit Bruder und Mutter in den Bergen (Foto: privat)
Lucie Vogelgesang mit Bruder und Mutter in den Bergen

Taub in der hörenden Welt

Auch Nisrine Darkaoui hat Ärger mit dem Landesamt für Soziales – schon zum wiederholten Male. Darkaoui ist seit zwölf Jahren taub. „Ich war es nur gewohnt, in einer hörenden Welt groß zu werden. Und dann war es auf einmal so.“

Die Taubheit ist eine Folge ihrer Krankheit Neurofibrimatose Typ 2. Am Nervensystem, vor allem im Bereich des Gehirns und entlang der Wirbelsäule, bilden sich immer wieder Tumore, die wegoperiert werden müssen. Über 50 Eingriffe hat sie schon hinter sich.

„Man nimmt mir Zeit“

Dieses Mal geht es bei dem Ärger mit dem LAS um einen Kurs für Gebärdensprache, den sie gerne zuhause machen möchte statt in der Volkshochschule (VHS). Immer wieder müsse sie auch kurzfristig ins Krankenhaus oder habe schlechte Tage mit vielen Schmerzen, an denen sie nur zuhause bleiben könne. Kurstermine würde sie verpassen, so ihre Befürchtung.

Das LAS lehnte den Hauslehrer aber ab, bewilligte nur den VHS-Kurs. Gegen diese Entscheidung hat Darkaoui Widerspruch eingelegt. Auf eine Rückmeldung darauf wartet sie seit einem halben Jahr – doppelt so lange, wie das Sozialgerichtsgesetz als angemessen vorsieht.

Die Auseinandersetzungen, das lange Warten: „Ich werde psychisch und körperlich krank dadurch. Man nimmt mir Zeit.“

Dauerthema Wartezeit

Lange Bearbeitungszeiten – darüber können alle etwas erzählen, die mit dem LAS zu tun haben. Die Mutter eines Mädchens mit Behinderung schildert eine aktuelle Episode: Sie beantragte für ihre Tochter eine bestimmte Therapie. Trotz Nachfrage kam über Monate kein Bescheid. Nach 13 Monaten dann das Schreiben vom LAS: Sie möge bestimmte Unterlagen noch einmal neu einreichen, denn die vorliegenden seien jetzt älter als ein Jahr.

Erste Neuerung in Sicht

Der SR hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Gespräche geführt – mit Betroffenen, mit Leistungserbringern, die etwa Assistenzen anbieten, mit Verbänden, Organisationen und mit Vertretern anderer Behörden. Die Liste der Beanstandungen ist lang.

Nach Angaben des zuständigen Sozialministeriums dauert die Bearbeitung neuer Anträge im Bereich der Eingliederungshilfe aktuell im Schnitt drei Monate – ein Wert knapp unter Bundesschnitt, wie man im Amt betont.

Dennoch zu lang für die Betroffenen, sagt der Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Daniel Bieber. „Sie warten und der Bescheid kommt nicht. Und sie wissen in der Zwischenzeit nicht, ob sie irgendwelche Therapien bekommen oder irgendwelche Unterstützungsleistungen, um am öffentlichen Leben teilhaben zu können.“

Sozialminister Magnus Jung (SPD) stellt in dem Zusammenhang jetzt eine Neuerung in Aussicht für Leute, die etwa wegen einer Behinderung dauerhaft oder über einen sehr langen Zeitraum Hilfen brauchen: Sie sollen diese Hilfen nicht mehr so oft neu beantragen müssen.

Personal aufgestockt

Begründet wurden die Wartezeiten lange unter anderem mit akutem Personalmangel im Amt – eine Begründung, die Darkaoui nicht gelten lassen will, weil das Problem so auf sie abgewälzt werde. Zeit sei „das Wichtigste, was wir haben, und man nimmt in diesem Moment auch den Menschen Lebenszeit“.

Tatsächlich hat das Amt zuletzt beim Personal gegengesteuert: Von 2019 bis 2022 stieg die Zahl der Beschäftigten beim LAS um gut ein Fünftel auf 291 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an – es ist damit mittlerweile das größte aller saarländischen Landesämter. Und im kommenden Jahr sollen noch einmal mehr neue Kräfte hinzukommen.

Diese Neueinstellungen sind eine Reaktion auf eine externe Untersuchung der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PWC). Die hatte dem LAS vor drei Jahren nicht nur zu wenig Mitarbeiter und zu lange Bearbeitungszeigen bescheinigt, sondern auch schlecht organisierte interne Abläufe.

B wie Beratung?

Um auch die Abläufe zu verbessern, hatte das Landesamt 2021 die sogenannte „Antrags-Beratungsstelle“ (ABS) eingeführt. Hier gehen Anträge ein und werden erst dann zu den Sachbearbeiterinnen weitergeleitet, wenn alle Unterlagen vorliegen. Neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten aktuell bei der ABS.  

Eine Beratung, wie der Name suggeriert und wie es das Gesetz vorschreibt, findet nach der Auffassung vieler an dieser Stelle allerdings nicht statt. Ein Anbieter von Eingliederungshilfe, der anonym bleibt, nennt die Stelle sogar „Antrags-Behinderungsstelle“.

Über den Mount Everest

Beratung gebe es erst, nachdem ein Antrag vorliege, sagt Bieber. „Dann haben die ihren Antrag eingereicht und wissen nicht, dass sie bestimmte Sachen, wenn sie die so begründen, nicht bekommen können. Die Beratung erfolgt dann sozusagen in Form eines Ablehnungsbescheids.“ Und das dürfe nicht sein. „Das Landesamt ist verpflichtet, einen Bürger, der ein Problem hat, das gelöst werden muss, zu beraten, bevor der Antrag eingereicht wird.“

Ein Vertreter einer anderen Behörde, der regelmäßig Kontakt mit dem LAS hat, beschreibt es bildlich: „Die Leute haben schon Barrieren zu überwinden, und dann gehen sie zu der Behörde, die Ausgleich schaffen soll, und dort sollen sie den Mount Everest überwinden, um zu bekommen, was ihnen zusteht.“

Sozialminister Jung widerspricht: „Natürlich“ sei die ABS eine Stelle, „die mit guter Qualität berät“. Man stelle sich aber auch der Kritik und lege „weiterhin eine gewisse Lernfähigkeit an den Tag“, verspricht Jung.

„Haben keine Kraft-Tankstelle“

Immer wieder bekommen Betroffene das, was ihnen zusteht, erst vor Gericht. Keine gute Entwicklung, sagt Bieber. Jemand bekomme einen finalen Ablehnungsbescheid, dann könne er vor Gericht dagegen vorgehen. "Alle sagen, ich würde da gewinnen", beschreibt Bieber die Gedanken der Betroffenen. "Aber ich habe die Kraft nicht. Das ist wirklich schlimm mit anzuhören.“

Landet eine Auseinandersetzung zwischen einem Antragsteller und dem LAS vor dem Sozialgericht, gewinnt bei Urteil oder Gerichtsbescheid überdurchschnittlich oft der Bürger; im Jahr 2021 in fast zwei Drittel aller Fälle. Überdurchschnittlich oft gibt das Landesamt auch schon vor Prozessbeginn klein bei.

Hoher Spardruck

Im Amt selbst verweist man darauf, dass speziell im komplizierten Bereich der Eingliederungshilfe im vergangenen Jahr nur 22 Klagen gegen das LAS eingereicht worden seien.

Auch unter Sozialpolitikern heißt es aber, dass die Zahl der Gerichtsverfahren zu hoch sei. Der politische Druck zum Geldsparen, der über Jahre hinweg auf dem Amt gelastet habe, sei falsch. Zur Erinnerung: Allein im Bereich Eingliederungshilfe geht es um 300 Millionen Euro im Jahr.

Das LAS verzeichne seit Jahren „Ausgabensteigerungen, die deutlich über dem Wachstum des Landeshaushalts liegen“, ordnet Jung ein. „Insofern haben auch das Finanzministerium und die Politik insgesamt in der Vergangenheit auch immer wieder kritisch nachgeschaut, ob das alles auch notwendig ist.“

Kaum Ressourcen für Digitalisierung

Große Hoffnung setzen alle Beteiligten nun auf den im Amt angestoßenen Prozess der Digitalisierung. Das könne Anträge und deren Bearbeitung beschleunigen und auch vermeiden, dass etwa immer gleiche Dokumente mehrfach angefordert würden - und so am Ende Zeit und Geld sparen.

Doch bis es in allen Bereichen des Amts so weit ist, werden noch viele Jahre vergehen. Auf dem freien Markt sind Ministeriumsangaben zufolge sowohl IT-Fachkräfte wie auch passende Computer-Programme kaum bis gar nicht verfügbar. Im Amt selbst stehen für die Digitalisierung 1,4 Vollzeitstellen bereit.

„Für andere mitkämpfen“

Lucie Vogelgesang und Nisrine Darkaoui hilft die Aussicht auf ein digitales Landesamt im Moment nicht. Beide sehen für sich nur den Ausweg einer juristischen Auseinandersetzung. Dieser Weg sei nichts, was sie sich gewünscht habe, sagte Vogelgesang. Aber: „Es ist eigentlich auch eine gute Sache, sich zur Wehr zu setzen, weil, ich glaube, man muss auch für andere mitkämpfen.“

 Über dieses Thema berichten die SR-Hörfunknachrichten am 06.12.2023.


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