Warum empört ausgerechnet dieser Fall so?
Das Jahr, die Meinung: Der Fall Dillinger
Was gab das ein Medienecho im April, als der Neffe eines Priesters aus Friedrichsthal eine Kiste mit jugendpornografischem Material entdeckt hat. Und schnell klar wurde: Der Mann ist der Kirche bereits wegen sexuellem Missbrauchs aktenkundig. Edmund Dillinger, der Name war im vergangenen Jahr zumindest im Saarland das Schlagwort, wenn es um den mangelhaften Umgang der Kirche mit Missbrauchspriestern ging. Viele konkrete Missbrauchstaten konnten bislang nicht nachgewiesen werden, dennoch hat der Fall Dillinger hohe Wellen geschlagen.
Warum empört der Fall Dillinger eigentlich so? Das habe ich mich in den letzten Monaten immer wieder gefragt, auch verbunden mit Selbstzweifeln, ob wir den Fall nicht zu sehr aufbauschen. Schließlich kenne ich durch jahrelange Recherchen und Reportagen über das Thema Missbrauch in der Kirche ganz andere Fälle.
Immerhin wurde Herrn Dillinger erstmal nur das Sammeln von Fotos nachgewiesen. Aktenkundig wurde auch „nur“ ein Fall. Andere Glaubensmänner hatten da deutlich mehr auf dem Kerbholz, aber deren Namen kennt kaum mehr jemand. Was also macht diesen Fall Dillinger so besonders?
Dillinger ein großer Fisch?
Natürlich die Tatsache, dass er seine Vorliebe unter anderem in Fotos gut dokumentiert hat. Natürlich auch die Tatsache, dass recht früh von einem möglichen „Pädophilenring“ die Rede war. Das hatte was von Mafia und dem ganz großen Fisch.
Als großen Fisch, so hatte sich Dillinger innerhalb der Kirche gern selbst gesehen, der Ehrendomherr, der Papstvertraute, der Ritter, der Wohltäter mit seiner Afrikahilfe.
Die ganze Bandbreite kirchlichen Versagens
Letztlich zeigt der Fall Dillinger aber noch einmal die ganze Bandbreite kirchlichen Versagens. Angefangen damit, dass der Zölibat vielleicht nicht für jeden Gesalbten das Sinnvollste ist. Über die Frage, wieso haben Verantwortliche im Bistum einen Priester, der zu der Zeit mindestens einmal übergriffig wurde, ausgerechnet in den Schuldienst versetzt? Wieso hat denn niemand den Mund aufgemacht, bis zur Fotoentdeckung durch den Neffen nach dem Tod Dillingers?
Berhördliches Versagen
Immerhin: Der große Aufschrei nach der Entdeckung der Fotokiste hat dazu geführt, dass dieser Fall wie kaum ein anderer deutschlandweit Aufarbeitung erfährt - durch zwei ehemalige Staatsanwälte, die - so unabhängig es eben geht - allen Spuren, Kontakten und Gerüchten nachgehen.
Das könnten die beiden natürlich deutlich besser, wenn hier nicht auch noch die Saarbrücker Staatsanwaltschaft ordentlich geschlafen, um nicht zu sagen, versagt und Unterlagen vernichtet hätte.
Abgründe über Abgründe
Apropos versagt: Das Bistum hat sich im Fall Dillinger gleich mehrfach schuldig gemacht: Die Vertuschung mit Versetzung in den Schuldienst nach Bekanntwerden eines Übergriffes 1971. Die weitere Vertuschung bis zum Jahr 2012. Dann die Tatsache, dass man trotz besseren Wissens keinen Einwand gegen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes erhoben hat.
Und noch ein Punkt kommt dazu, durch den das Bistum selbst vielleicht hätte früher die Gefahren, die von Dillinger ausgingen hätte erkennen könnte: die Aktenführung. „Schlampig“ wird sie von den Aufklärern betitelt. Wer weiß was noch alles in Teilakten, die irgendwo auf irgendeinem Flur in Trier rumstehen, schlummert, und wie viele Taten man hätte verhindern können, wenn alles was es über eine Personalie zu wissen gibt in einer einzigen Akte ersichtlich wäre.
Umso wichtiger und erstaunlicher, was eine ordentliche Aufarbeitung doch noch so alles ans Licht bringen kann. In dem Fall: Neun mutmaßliche Opfer. Der Fall Dillinger legt Abgründe offen, menschliche und organisatorische: Der Aufschrei kann gar nicht groß genug sein.
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Ein Thema in der "Region am Nachmittag" am 19.12.2023 auf SR 3 Saarlandwelle