Saarland beschließt neue Regeln für Gemeinschaftsschulen
Mit mehr Flexibilität, mehr Berufsorientierung und mehr Sprach- und Demokratieförderung will die Landesregierung die Gemeinschaftsschulen im Land modernisieren. Die Opposition beklagt eine Absage an das Leistungsprinzip.
Zwölf Jahre nach der Einführung der Gemeinschaftsschulen im Saarland hat die Landesregierung erstmalig die Verordnung, die die wesentlichen Ziele und Leitplanken dieser Schulform regelt, überarbeitet. Man wolle damit „den Bedürfnissen junger Menschen Rechnung“ tragen, ihre Lebenswirklichkeiten abbilden und die pädagogischen Handlungsmöglichkeiten der Lehrkräfte im Sinne individueller Förderung stärken, sagte Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) bei der Vorstellung der neuen Verordnung, die zum Schuljahr 2025/26 in Kraft tritt.
Die wichtigsten Änderungen
Die Abschlussprüfungen für den Haupt- und den Realschulabschluss sollen entzerrt werden. Anstelle eines einmaligen Prüfungstermins am Ende der Schulzeit werden die Prüfungen über das letzte Schuljahr gestreckt. Dabei soll der neue Leistungsbewertungserlass zum Tragen kommen. Nur einer von insgesamt vier Prüfungsteilen soll dabei landesweit vergleichbar sein und das auch nur in Mathe, Deutsch sowie beim mittleren Bildungsabschluss zusätzlich in der ersten Fremdsprache.
Die Stundentafel soll flexibler gestaltet werden. Zwar wird für jedes Fach eine Gesamtstundenzahl festgelegt; aber nicht mehr für jedes einzelnen Schuljahr, sondern für den Gesamtzeitraum der Schulzeit. Die Schulen sollen dadurch selbst entscheiden können, wann sie welche Schwerpunkte setzen, um so den Bedürfnissen ihrer Schülerschaft besser gerecht zu werden.
Die Fremdsprachenkompetenz der Schüler soll mehr gefördert werden. Dafür soll ein größeres Angebot an Schulplätzen mit Französisch als 1. Fremdsprache bereitgestellt und in den Klassenstufen 5 und 6 die jeweils andere Fremdsprache zweistündig als grundständiges Fach unterrichtet und im Zeugnis mit einer Note ausgewiesen werden.
Die berufliche Orientierung soll gestärkt werden. Bereits ab Klasse 5 sollen Schüler gezielte Einblicke in unterschiedliche Berufswelten erhalten, ab Klasse 7 sollen sie ein "persönliches Portfolio" anlegen. Ab Klasse 8 soll die Berufsplanung durch Firmenbesuche, Praktika und Projekte weiter intensiviert werden.
Darüber hinaus sollen in der neuen Gemeinschaftsschulverordnung unter anderem die digitale und die Demokratiebildung fester verankert werden, etwa durch Informatik-Unterricht in den Klassenstufen 7 bis 10 und eine Stunde mehr Unterricht in einem gesellschaftswissenschaftlichen Fach.
GEW und Arbeitskammer begrüßen Flexibilisierung
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Arbeitskammer befürworten die neue Verordnung grundsätzlich. Der GEW-Landesvorsitzende Max Hewer sagte, die flexible Stundentafel ermögliche den Schulen eine stärkere Fokussierung auf die Hauptfächer in der Orientierungsphase, um die Kernkompetenzen zu stärken. Die Lehrkräfte bräuchten bei der konkreten Umsetzung der neuen Verordnung aber Begleitung.
Die Arbeitskammer sieht auch die Ausweitung der beruflichen Orientierung positiv. Diese gewinne in der neuen Verordnung an Bedeutung und erhalte mehr Kontinuität über die Jahrgangsstufen hinweg. Dabei sei eine Einbindung externer Partner entscheidend, um die Lehrkräfte zu entlasten und multiprofessionelle Expertise zu nutzen.
Saarländische Gemeinschaftschüler mit Leistungsproblemen
Ganz anders bewertet die politische Opposition im Saarland die neue Verordnung. Vor allem sei nicht zu erkennen, dass die Leistungsprobleme an den saarländischen Gemeinschaftsschulen damit angegangen würden, sagen sowohl die CDU als auch die Grünen.
So hat der IQB-Bildungstrend, ein zentrales Instrument der Kultusministerkonferenz zur Qualitätssicherung an Schulen, ergeben, dass überdurchschnittlich viele saarländische Gemeinschaftsschüler in der 9. Klasse die Regel- und Mindeststandards in Mathematik, Englisch und Französisch verfehlen.
CDU sieht Leistung und Durchlässigkeit in Gefahr
Die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Landtag, Jutta Schmitt-Lang, wirft der SPD vor, dass für sie der diagnostizierte "dringende Handlungsbedarf zur Verbesserung der Leistungen" offenbar keine Rolle spiele: "Wir bräuchten eigentlich dringend mehr leistungsfördernde und leistungssichernde Maßnahmen, um eine optimale Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf ihren jeweiligen Schulabschluss zu gewährleisten. Doch mit dieser Verordnung senkt die Bildungsministerin das Leistungsniveau weiter ab."
Durch die angekündigte Flexibilisierung werde zudem die Durchlässigkeit des Schulsystems leiden, so Schmitt-Lang: "Wenn Lerninhalte über mehrere Schuljahre beliebig verteilt werden können, wird ein Schulwechsel sogar von einer zur anderen Gemeinschaftsschule, aber erst recht in andere Schulformen, zur kaum überwindbaren Hürde."
Grüne fordern landeszentrale Abschlussprüfungen
Die Vorsitzenden der Saar-Grünen, Volker Morbe und Jeanne Dillschneider, kritisieren, die Neuausrichtung der Abschlussprüfungen an den Gemeinschaftsschulen seien "in keiner Weise geeignet, die Qualität zu verbessern und die mangelnde Akzeptanz der Noten auf den Abschlusszeugnissen bei den abnehmenden Institutionen zu erhöhen".
Sie fordern die Wiedereinführung der "bewährten landeszentralen Abschlussprüfungen", wie es sie vor der Pandemie gegeben habe, eine bessere Ausstattung der Schulen sowie ein "leistungsfähiges Bildungsmonitoring" mit regelmäßigen Lernstandserhebungen in allen Klassenstufen und darauf aufbauenden Fördermaßnahmen.
Über dieses Thema hat auch die SR 3-Sendung "Region am Nachmittag" im Radio am 19.11.2024 berichtet.