Blick in die Wohnung des verstorbenen Pfarrers Edmund Dillinger, Akten und Beweismittel stapeln sich auf Boden und Möbeln (Foto: SR)

Ministerium räumt Fehler bei Dillinger-Asservaten ein

Thomas Gerber   31.07.2023 | 10:31 Uhr

Bei der Vernichtung der Asservate im Fall Dillinger hat es erhebliche Dokumentationsmängel beim Landespolizeipräsidium gegeben. Das Innenministerium hat inzwischen die Dienstanweisung verschärft und prüft dienstrechtliche Schritte gegen einen Ermittler.

Drei Telefonate soll der Kripobeamte mit dem Neffen des mutmaßlich pädophilen Priesters Edmund Dillinger aus Friedrichsthal geführt und dabei mit ihm die Vernichtung der Asservate besprochen haben. Nach Angaben des Innenministeriums fanden diese Gespräche am 25. und 26. Mai sowie am 4. Juli statt. Einen Tag danach, am 5. Juli, seien die Asservate dann der „Müllverbrennungsanlage Velsen zugeführt und damit vernichtet“ worden.

Keine Notizen zu Telefongesprächen

Das Ministerium hat nun auf SR-Anfrage bestätigt, dass es über diese drei Telefonate keinerlei Notizen oder Vermerke des Sachbearbeiters gibt. Die Telefonate mussten vielmehr „rekonstruiert“ werden. Sie ließen sich, so das Ministerium, anhand der Einzelverbindungsnachweise belegen.

Das jedoch bedeutet, dass man über die Telefonanlage lediglich feststellen konnte, dass der Beamte mit dem Dillinger-Neffen an diesen drei Tagen telefoniert hat. Was dabei besprochen wurde, ist nirgends vermerkt. So bleibt es dabei: Aussage steht gegen Aussage. Der Neffe bestreitet, der Vernichtung der Asservate – etwa der Terminkalender seines Onkels – zugestimmt zu haben.

Ministerium verweist auf Regelungslücken

Über diese mutmaßliche Zustimmung wurde dann erst im Nachhinein, nach erfolgter Verbrennung, der erste schriftliche Vermerk gefertigt. Die Asservate seien auf Anordnung des Staatsanwalts und in „Abstimmung mit dem Berechtigten (Neffe)“ verbrannt worden. Aber auch dieser Vermerk vom 5. Juli ist juristisch vermutlich nicht das Papier wert, auf das er geschrieben wurde. Es gibt nämlich einen gravierenden Mangel: Es fehlt die Unterschrift des Neffen. Das sei ein Fehler, räumt das Innenministerium erneut ein.

Es ist nicht der einzige Fehler im Asservatenskandal beim Landespolizeipräsidium (LPP) und der Staatsanwaltschaft. Denn grundsätzlich ist laut Innenministerium „der Gang von Asservaten lückenlos zu dokumentieren“. Das sei in einer Dienstanweisung aus dem Jahr 2003 so geregelt. Allerdings weise diese „DA Asservate“ Regelungslücken auf. Welche genau, teilte das Innenministerium nicht mit.

Prüfung dienstrechtlicher Schritte

Aber man habe diese geschlossen und nach Bekanntwerden der Vorgänge am 14. Juli die Dienstanweisung ergänzt. Zudem wurden Verwaltungsermittlungen eingeleitet. Dabei soll nun geprüft werden, ob der Kripobeamte des LPP Dezernats 213 (Straftaten gegen das Leben und die sexuelle Selbstbestimmung) gegen Dienstpflichten verstoßen hat und ob gegen ihn dienstrechtliche Schritte eingeleitet werden.

Ein Verstoß scheint aber offensichtlich: Der Vermerk zur Vernichtung der Asservate hätte vor der Verbrennung verfasst und von dem Neffen unterschrieben werden müssen. Selbst über die Anordnung des Staatsanwalts, nicht mehr benötigte Beweismittel zu beseitigen, gibt es nichts Schriftliches in den Akten. Sie erfolgte am 25. Mai „mündlich“. Offenbar unmittelbar danach griff der Sachbearbeiter zum Telefonhörer und rief den Neffen ein erstes Mal an. 

Ermittlungen bleiben im Saarland

Was die Rolle des zuständigen Staatsanwalts angeht, bleibt die Behörde bei ihrer Linie. Nachdem ein Dillinger Bürger Strafanzeige wegen „Rechtsbeugung“ und „Vernichtung fremden Eigentums“ erstattet hat, gibt es zwischenzeitlich zwar ein Aktenzeichen (AZ 303 Js 148/23). Aber, so die Staatsanwaltschaft, ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen den zuständigen Kollegen sei noch nicht eingeleitet worden. Es werde noch geprüft, ob es denn überhaupt einen Anfangsverdacht für strafbares Verhalten gebe.

Nachdem der Anzeigeerstatter die Generalbundesanwaltschaft eingeschaltet hat, da er Befangenheit bei Ermittlungen in den eigenen staatsanwaltschaftlichen Reihen fürchtet, bleibt es allerdings bei den gesetzlich geregelten Zuständigkeiten. Für Ermittlungen gegen Richter oder Staatsanwälte im Saarland sei „regelmäßig“ die Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken zuständig. Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft, so die Staatsanwaltschaft auf SR-Anfrage, seien „jeweils eigene Behörden. Eine Besorgnis der Befangenheit lasse sich nicht begründen.“ Der Karlsruher Generalbundesanwalt sieht das nach SR-Informationen genauso.

Ministerium um Aufklärung bemüht

Fazit: Bei der Asservatenvernichtung im Fall Dillinger wurde ganz offenbar mehr als schlampig gearbeitet. Auch wenn es „Regelungslücken“ gegeben haben mag - von Ermittlern aus dem Bereich „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ muss man trotz vermutlich hoher Arbeitsbelastung mehr Sensibilität im Umgang mit Beweismitteln erwarten können, insbesondere wenn es um sexuellen Missbrauch in der Kirche geht.

Immerhin: Die beteiligten Ministerien räumen Fehler ein, scheinen um Aufklärung bemüht. So bestätigte das Justizministerium SR-Informationen, wonach der ermittelnde Staatsanwalt Schüler des Gymnasiums war, an dem Missbrauchspfarrer Dillinger unterrichtet hatte. Darauf habe man ihn auch angesprochen. Direkter Schüler Dillingers sei er der eigenen Erinnerung nach jedoch nie gewesen. Dem Ministerium scheint also klar, dass die Umstände und das Tempo der Asservatenvernichtung nicht nur für Verblüffung, sondern auch für Spekulationen über den „langen Arm der Kirche“ sorgen.

Über dieses Thema berichten die SR-Hörfunknachrichten am 31.07.2023.


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