Landtag will Corona-Maßnahmen bewerten

Experten üben teils deutliche Kritik an Corona-Maßnahmen

Christian Leistenschneider / Janek Böffel   06.09.2023 | 15:19 Uhr

Der Gesundheitsausschuss im saarländischen Landtag hat seine zweitägige Corona-Anhörung beendet. Die Stellungnahmen von Experten sollen ausgewertet und Lehren für den Umgang Pandemien gezogen werden. Die Stellungnahmen fielen teilweise deutlich aus.

Der saarländische Landtag hat mit der Aufarbeitung des Corona-Managements von Land und Bund begonnen. Am Dienstag und Mittwoch hörte dazu der Gesundheitsausschuss Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Die sollten Stellung beziehen, was aus ihrer Sicht gut lief im Umgang mit der Pandemie, und was schlecht.

Video [aktueller bericht, 06.09.2023, Länge: 2:13 Min]
Kritik an mangelnder Forschung zu Long Covid im Saarland

Ein Tenor vieler Aussagen: Insgesamt haben die Maßnahmen, die die Politik ergriffen hat, dazu beigetragen, dass das Land vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen ist; diese Maßnahmen seien allerdings oft zu breitflächig angelegt gewesen, was viele negative Konsequenzen gehabt habe.

Corona-Auswirkungen auf Kinder "fatal"

Insbesondere die Last, die Kindern und Jugendlichen durch Maßnahmen zur Kontaktreduzierung wie Schulschließungen auferlegt wurden, seien unfair und nicht gerechtfertigt gewesen, kritisierten unisono der saarländische Berufsverbandsvorsitzender der Kinder- und Jugendärzte, Werner Meier, und der bundesweit bekannte Virologe Hendrik Streeck.

Video [aktueller bericht, 05.09.2023, Länge: 04:26 Min]
Gesundheitsminister Magnus Jung zur Pandemiebewältigung

Die Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uni-Klinik, Eva Möhler, nannte die Folgen, die sich für viele junge Menschen ergeben hätten, "fatal". Ihr Vorschlag darum: Für Lockdowns müsse es eine Altersgrenze von 25 Jahren geben.

"Es ist zu viel passiert in diesen drei Jahren, um zu schweigen"
Audio [SR 3, Janek Böffel, 06.09.2023, Länge: 02:45 Min.]
"Es ist zu viel passiert in diesen drei Jahren, um zu schweigen"

Ärger um Daten

Kritik gab es auch am Informationsmanagement der Politik. So sei die Datenbasis, mit der gearbeitet wurde, oft unzureichend gewesen, kritisierte etwa der Pharmazie-Professor Thorsten Lehr von der Saar-Uni, der als Modellierer des Covid-Simulator bekannt geworden war. Deswegen habe man beispielsweise nicht feststellen können, wie genau und warum Lockdowns wirken. Dabei habe der Datenaustausch im Saarland noch gut funktioniert, auf Bundesebene allerdings oft nicht.

Der Chefarzt der Intensivmedizin des Saarbrücker Winterbergkrankenhauses, Konrad Schwarzkopf, beklagte hingegen, dass den Krankenhäusern zu viele Dokumentationspflichten aufgebürdet wurden. Es habe eine "Datensammelwut" mit einem hohen Arbeitsaufwand und oft fragwürdigem Nutzen geben. Auch die Leiterin der Klinikhygiene an der Uniklinik Homburg, Barbara Gärtner, mahnte, dass es nicht viele Daten brauche, die aber konsequent und nachvollziehbar erhoben werden müssten.

Mehr Klarheit gefordert

Stichwort Nachvollziehbarkeit: Die sei bei vielen Einzelregelung der zahlreichen Coronaverordnungen nicht geben gewesen, kritisierten etwa der Saarländische Städte- und Gemeindetag und der Landesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Das habe mit dazu geführt, dass die Akzeptanz in der Öffentlichkeit im Laufe der Pandemie nach unten gegangen ist. Die mehrfach wiederholte Forderung an die Politik darum: mehr Klarheit in der Kommunikation und weniger verwirrende Bürokratie.

Außerdem wurde der Vorschlag nach einer engeren Verzahnung der Kliniken im Saarland laut. Die ärztliche Direktorin und Vorstandsvorsitzende der Uniklinik in Homburg, Jennifer Diedler, forderte ein landesweites Bettenmanagement. So ließen sich in Fällen wie einer Pandemie die Kapazitäten besser bündeln. Das gelte auch für die Ausbildung beispielsweise an Beatmungsgeräten.

Der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes, Thomas Schlechtriemen, sprach sich für eine zentrale Beschaffung und Lagerhaltung von Schutzausrüstung gegen Infektionen aus. Dadurch würde die Erpressbarkeit des Landes im Ernstfall sinken. Frank Becker von der Betroffenen-Organisation Long Covid Deutschland mahnte eine Förderung von Studien zu gesundheitlichen Corona-Langzeitfolgen und eine breiter aufgestellte Versorgung von betroffenen Patienten an.

"Viel Kritik geäußert"
Audio [SR 3, Studiogespräch: Nadine Thielen / Janek Böffel, 06.09.2023, Länge: 02:48 Min.]
"Viel Kritik geäußert"

Auswertung und Weißbuch geplant

Am Ende der zweitägigen Sitzung zeigte sich der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Hermann-Josef Scharf (CDU), zufrieden mit der Anhörung. Die gesammelten Stellungnahmen sollen ausgewertet und die Ergebnisse auch zur Debatte ins Plenum des saarländischen Landtags eingebracht werden.

Daneben plant die Landesregierung eine Fachtagung zum Thema. Es würden bereits Daten zusammengetragen, die in einem Weißbuch veröffentlicht werden sollen, kündigte Gesundheitsminister Magnus Jung (SPD) an.

Kommentar

Über dieses Thema haben auch die SR-Hörfunknachrichten am 05.09.2023 berichtet.


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