Ein grimmig schauender Gartenzwerg (Foto: IMAGO / Shotshop)

Wenn zwei sich streiten, muss einer schlichten – bevor das Gericht urteilt

Martina Kind   14.11.2024 | 06:00 Uhr

Bevor zerstrittene Nachbarn vors Gericht ziehen können, müssen sie sich erst in einem Schiedsverfahren um eine einvernehmliche Lösung bemühen. Knapp 240 Ehrenamtliche setzen sich im Saarland mit Streithähnen auseinander. Worum es bei Nachbarschaftsstreits meistens geht.

Wenn des Nachbarn Hahn wieder zu laut kräht, der fremde Ast den freien Blick auf den eigenen Garten behindert, der Kater sein Geschäft verrichtet hat, wo es nicht sein darf und noch jedes mahnende Wort ins Leere gelaufen ist, dann sollen sie es richten, bevor die Sache vor Gericht landet: Schiedspersonen.

Im Saarland schlichten knapp 240 Schiedspersonen und ihre Vertreter ehrenamtlich Streitigkeiten vor allem zwischen Nachbarn – beziehungsweise sie versuchen es. "Fast jeden Tag ist irgendwo im Saarland ein Gespräch über einen großen oder kleinen Konflikt im Gange", sagt Klaus W. Schneider, der Vorsitzende im Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen (BDS) Landesvereinigung Saarland.

Von überhängenden Ästen bis nächtlichen Gesangseinlagen

Die Liste der Dinge, die Nachbarn zur Weißglut treiben, sei lang: wuchernde Hecken oder Sträucher, überhängende Äste, herunterfallendes Laub oder Obst – "gerade, wenn es fault" –, umherstreunende Haustiere und deren Hinterlassenschaften, tobende Kinder, die den Fußball aus Versehen auf fremdes Gebiet schicken und das Blumenbeet bei ihrer Rückholaktion zertrampeln, zu laute und geruchsintensive Grillpartys. Das seien die Klassiker auf dem Land, erzählt Schneider.

Denn es gebe durchaus Unterschiede zwischen den Konflikten, die in der Stadt und auf dem Land ausgetragen werden. "In Mehrfamilienhäusern streiten sich die Nachbarn vor allem, wenn die Hausordnung nicht eingehalten wird", sagt Schneider. Da gehe es zum Beispiel um vollgestellte Hausflure, trampelnde Hausbewohner, nächtliche Gesangseinlagen oder zu lautes Gelächter außerhalb der Ruhezeiten auf dem Balkon.

Schiedsverfahren: "Jedes Thema ist ernstzunehmen"

Klingt nach Lappalien? "Für Außenstehende wahrscheinlich schon", sagt Schneider. "Aber wir Schiedspersonen bewerten nicht, wir nehmen jeden Konflikt ernst. Letztendlich geht es am Ende um die Gefühle derer, die sich nicht gehört oder gesehen fühlen. Das ernstzunehmen ist wichtig."

Das bestätigt Schneiders Kollegin Gabriele Missy-Kallenbach. Sie hat gerade ihre erste Amtszeit als Schiedsfrau in Rilchingen-Hanweiler hinter sich gebracht, die zweite soll nun folgen. "Das Einzige, das ich mich manchmal frage, ist: Wieso suchen die Menschen nicht zuerst das Gespräch miteinander, anstatt gleich eine dritte Person hinzuziehen?" Sie sei zwar dafür da, eine einvernehmliche Lösung zu finden. "Aber man sollte sich vorher schon selbst darum bemüht haben."

Das Ziel: die außergerichtliche Einigung

Vor einem Schlichtungsverfahren werden beide Parteien zunächst offiziell von der zuständigen Schiedsperson eingeladen. Dabei gibt es einen Antragsteller und einen Antraggegner. Der Antragsteller setzt das Verfahren in Gang, er muss dann auch einen Vorschuss zahlen. "Die Verfahrenskosten selbst belaufen sich in der Regel auf 50 bis 100 Euro", sagt Schneider.

In Abstimmung mit dem Antragsteller, nach Möglichkeit auch mit dem Gegner, werde ein Termin vereinbart. Dieser sei verbindlich für beide Parteien. "Nur in Ausnahmefällen, etwa bei kurzfristiger Erkrankung oder beruflicher Verhinderung, ist eine Terminverschiebung möglich", so Schneider. Wer einfach nicht erscheint, muss mit Sanktionen rechnen – insbesondere, wenn beispielsweise im Zusammenhang mit einem Hecken- oder Lärmkonflikt auch Beleidigungen ausgesprochen wurden. Das könne ein Ordnungsgeld von bis zu 50 Euro sein.

Die antragstellende Partei erhält in dem Fall außerdem eine Bescheinigung über den gescheiterten Einigungsversuch, oder wie Schneider es nennt: "die Eintrittskarte für eine Gerichtsverhandlung". Also das, was mit dem Verfahren eigentlich vermieden werden sollte.


Rechtliche Lage

Gesetz zur Ausführung bundesrechtlicher Justizgesetze
§ 37a Einführung eines Schlichtungsverfahrens
(1) Wohnen die Parteien im Saarland oder haben sie hier ihren Sitz oder eine Niederlassung, ist die Erhebung einer Klage erst zulässig, nachdem von einer in § 37b genannten Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen (Schlichtungsverfahren),
1. in Streitigkeiten über Ansprüche wegen
(...)
e) der im Saarländischen Nachbarrechtsgesetz geregelten Nachbarrechte, sofern es sich nicht um Einwirkungen von einem gewerblichen Betrieb handelt


"In Schiedsverfahren geht es darum, ein friedliches nachbarschaftliches Verhältnis auf Dauer hinzubekommen, indem man eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung findet", erklärt Schneider. Doch wenn der Eine den Anderen erst vor Gericht zerre, sei das kaum noch zu erreichen. "Dann ist das Band meist komplett zerrissen."

Ein Schiedsverfahren erspare zudem Zeit und Geld – nicht nur den Streitenden, sondern auch dem Staat. Im Saarland ist es deshalb obligatorisch.

Relativ hohe Erfolgsquote

Wer sich auf das Verfahren einlässt, sollte alles, was ihn stört, auf den Tisch packen, "damit es ein für allemal geklärt werden kann", rät Schneider. Die Schiedsperson lässt beide Parteien gleichermaßen zu Wort kommen, sie moderiert das Streitgespräch lediglich, greift ein, wenn es ungemütlich wird, und zeigt Lösungsoptionen auf, die beiden Seiten gerecht werden können.

Am Ende des Gesprächs steht bestenfalls ein von beiden Parteien unterzeichneter Vergleich, der rechtlich bindend ist und 30 Jahre lang vollstreckbar ist. Darin verpflichtet sich Nachbar X zum Beispiel, es nicht mehr auf überhängende Äste ankommen zu lassen. Hält er sich nicht daran, kann Nachbar Y eine Zwangsvollstreckung einleiten.

"Die Erfolgsquote bei Schlichtungsverfahren zu Nachbarschaftsstreits liegt im Saarland bei etwa 60 Prozent", sagt Schneider. "Daran sieht man, dass das Bestreben, eine Lösung zu finden, meist gegeben ist." Anders sei es, wenn ein Konflikt schon längere Zeit schwele oder er historisch bedingt sei. "Wenn die Großeltern mit den Nachbarn schon im Clinch lagen und der Konflikt über die Generationen weitergegeben wurde, dann ist es schwierig, den gordischen Knoten zu zerschlagen."

Meist geht es um was anderes

Dann sind der Ast, die Hecke oder das faule Obst nur die Spitze des Eisbergs. In Wirklichkeit gehe es um weit mehr: verletzte Gefühle, Missverständnisse, die nie aufgeklärt wurden oder eine tiefe Kränkung.

"Ich hatte einmal einen Fall, da hieß es, dass die Nachbarsfamilie immer falsch parken würde. So, dass man selbst Probleme beim Ein- und Ausparken bekomme. Am Ende stellte sich heraus, dass ein Streit der Kinder, der Jahre zurücklag, eigentliche Ursache der Zerrüttung war und die Eltern nur Gründe suchten, sich gegenseitig hochzuschaukeln. Da konnte ich dann ansetzen", erzählt Missy-Kallenbach.

Damit es erst gar nicht zum Konflikt kommt, rät sie dazu, immer offen und respektvoll miteinander zu kommunizieren. "Was stört mich eigentlich genau? Wie kann ich das vermitteln, ohne dem Anderen auf den Schlips zu treten?"

Wer gerade frisch in ein Haus oder eine Wohnung gezogen ist, sollte sich zudem früh um ein harmonisches Verhältnis bemühen. "Ohne aufdringlich zu sein. Wenn man sich regelmäßig grüßt, an Feiertagen gratuliert, immer freundlich ist und Anteil nimmt, dann ist schon viel gewonnen."

Über dieses Thema hat auch der SAARTEXT am 14.11.2024 berichtet.


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