Zwei Personen halten sich die Hände bei einem tiefen Gesrpäch (Foto: unsplash / Priscilla Du Preez)

Warum im Frühjahr die Suizidrate steigt – und wie das Umfeld suizidalen Personen helfen kann

Tabea Prünte   12.04.2025 | 17:56 Uhr

Im Frühjahr werden die Tage wieder länger, bei vielen Menschen hellt sich die Stimmung nach dem Winter auf. Trotzdem zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes, dass in den Frühjahrsmonaten mehr Menschen Suizid begehen. Entgegen erster Vermutungen widerspricht sich das nicht. Damit das Umfeld helfen kann, braucht es vor allem ein Brechen mit dem Tabu.

In den vergangenen zehn Jahren waren die Monate, in denen sich die meisten Menschen das Leben genommen haben, häufig März, April oder Mai. Im Saarland haben sich im Jahr 2023 insgesamt über 100 Menschen selbst getötet. Dass die Zahlen in den Frühjahrsmonaten oft etwas höher sind als in anderen Monaten, zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Dabei würde man vielleicht meinen, dass gerade dann, wenn der Winter und damit die dunkle Jahreszeit vorbei ist, sich die Stimmung bei den meisten Menschen wieder hebt.

Dieser Gedanke sei prinzipiell auch nicht falsch, sagt Ulrich Monzel von der Telefonseelsorge Saar. Es gebe Studien, die zeigen, dass die Stimmung bei vielen Menschen im Winter gedrückt ist und auch suizidale Gedanken zunehmen. Bis Betroffene aber diesen Gedanken in die Tat umsetzen, könnten einige Monate vergehen. Wenn im Frühjahr dann die Stimmung steigt, steige oft auch das Aktivitätslevel, wodurch dann suizidale Gedanken eher in die Tat umgesetzt werden – dies könne den Anstieg der Zahlen in den Frühjahrsmonaten begründen.

Motive für Todeswunsch unterschiedlich

Dr. Ulrich Seidl, Ärztlicher Direktor und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie der SHG Kliniken Sonnenberg, nennt noch einen weiteren möglichen Grund: "Im Frühling blüht das Leben wortwörtlich auf. Dann ist der Kontrast zu meinem eigenen Elend umso spürbarer und wird viel bewusster", sagt er.

Zudem betont er, dass es ganz unterschiedliche Motive für einen Suizid gebe. Depressionen spielen eine große Rolle, damit einher gehe das Gefühl, keine Freude mehr zu empfinden und in tiefer und stetiger Traurigkeit gefangen zu sein. Grundsätzlich gehe es häufig um eine große Hoffnungslosigkeit und das Gefühl der Ausweglosigkeit, das Gefühl, nicht mehr den eigenen Anforderungen zu entsprechen oder den Anforderungen der Welt, nicht mehr genug zu sein.

Anzeichen für suizidale Gedanken erkennen und ernst nehmen

Doch wie können Angehörige Anzeichen erkennen und Betroffenen helfen, bevor es zum Suizid kommt? Dazu sei zunächst einmal wichtig zu wissen, dass suizidale Gedanken nicht konstant sind, sagt Monzel von der Telefonseelsorge Saar. Bei den meisten Betroffenen herrscht eine gewisse Ambivalenz, bevor sie eine endgültige Entscheidung treffen. In dieser Phase der Ambivalenz könne das Umfeld am besten zum Umstimmen beitragen.

Ein Anzeichen könne demnach sein, wenn sich Personen drastisch in ihrem Charakter oder ihren Einstellungen verändern. Wenn jemand zum Beispiel immer eine sehr extrovertierte Person war und sich plötzlich immer weiter zurückzieht, könne das ein Warnsignal sein – genauso auch umgekehrt. Ähnlich beschreibt es auch Dr. Seidl und spricht von einem Rückzugsverhalten, das ein Anzeichen sein kann und eine spürbare Stimmungsveränderung.

Suizid als Tabu-Thema

Gesellschaftlich sei das Thema Suizid mit vielen Vorurteilen und viel Scham behaftet – und das sei ein Problem, sagt Monzel. Denn das führe auch dazu, dass es als Tabu gelte, darüber zu sprechen. Dabei sei genau das entscheidend, um Menschen zu helfen. "Wichtig ist, mit den Menschen in Kontakt zu bleiben und aktiv die Scheu zu verlieren, das Thema anzusprechen. Viel passiert im Geheimen, viel im Dunkelfeld. Es gibt aber durchaus einen Rahmen, sich darüber auszutauschen", sagt er.

Monzel möchte Angehörigen von depressiven oder gar suizidalen Personen damit die Angst nehmen, das Thema Suizid anzusprechen. Ist dieser Gedanke bereits da, so helfe das Thematisieren, sich weniger allein mit dieser existentiellen Entscheidung zu fühlen. "Nur so kann man das Thema aus der Dunkelheit herausholen und auf Hilfsangebote hinweisen", so Monzel.

Auch Dr. Seidl erklärt, dass man Betroffenen durch das Ansprechen allein noch lange nicht die Idee oder den Impuls dazu gebe – wenn jemand einen solchen Todeswunsch-Gedanken hegt, dann nicht, weil die Person von jemand anderem darauf gebracht wurde.

Lösungsansätze suchen und Blickwinkel ändern

Als Tipp gibt er mit, Betroffene zunächst möglichst offen auf ihr Befinden anzusprechen und ihnen zugewandt zuzuhören. So könne man ihnen zeigen, dass man verstehen will, was in ihnen vor sich geht. In der psychiatrischen Behandlung sei es ein Ansatz, Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Wenn sie ihre Situation als ausweglos empfinden, gehe es darum, gemeinsame Lösungsansätze zu suchen. "Aus Gesprächen wissen wir, dass die Allermeisten hinterher froh sind, es nicht getan zu haben", sagt Dr. Seidl.

Monzel rät außerdem dazu, Betroffene auf der Beziehungsebene "zu verankern - das gelingt am besten über das direkte Umfeld". Sprich: Menschen, die mit dem Gedanken Suizid zu tun haben, daran erinnern, dass es Menschen gibt, denen man etwas bedeutet. Mitgeben könne man den Gedanken 'Wenn ich das tue, trifft das auch immer mein Umfeld' - dieser Perspektivwechsel könnte zum Umdenken bewegen.


Hilfe bei Suizid-Gedanken

Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe:

  • Telefonseelsorge und Beratungsstelle Saar: (0800) 111 0 111
  • Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche: (0800) 116 111 oder 111 0 333
  • Saarländisches Bündnis gegen Depression: (0681) 40310-67/42
  • Kontakt und Informationsstelle für Selbsthilfe im Saarland: (0681) 960 2130

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