"Stalking ist auch im Saarland Alltag"
Sich beobachtet fühlen, verfolgt, bedroht durch den eigenen Partner oder Ex-Partner: Stalking ist kein seltenes Phänomen. Im letzten Jahr gab es deutlich mehr Fälle im Saarland als noch im Vorjahr – der Weiße Ring fordert daher mehr Schutz für Betroffene.
Juli 2017: Eine junge Frau ist mit ihrem vierjährigen Sohn im Auto unterwegs, als ein anderer Wagen sie stoppt. Ein Mann steigt aus, er hatte der Frau und dem Kind aufgelauert. Er ist der Vater des Kindes, und er hat ein Messer dabei. Der Mann verschafft sich Zugang ins Auto und sticht zuerst auf die 29-jährige Frau ein, danach tötet er das Kind.
Es ist der Fall von Anne und Noah M. aus Baden-Württemberg, der vor einigen Jahren in Deutschland Schlagzeilen gemacht hat. Dem Femizid vorangegangen waren Bedrohungen durch den späteren Täter und sogar ein gerichtlich angeordnetes Kontaktverbot. Der Weiße Ring nennt dieses Beispiel als klares Zeichen, dass mehr zum Schutz von Betroffenen getan werden müsse. Denn ein Fall wie dieser sei kein Einzelfall, berichtet die Opferschutzorganisation.
Anstieg der Stalking-Fälle im Saarland
Die Polizei hat im Saarland im vergangenen Jahr 37 Fälle von Nachstellung registriert. Das sind mehr Stalking-Fälle als noch in den Jahren davor: Im Vergleich zu 2022 gab es etwa einen Anstieg von gut 60 Prozent.
Nach Angaben des Landespolizeipräsidiums sind die meisten Stalking-Fälle damit verbunden, dass die Opfer auch körperlich verletzt werden. Das trifft auf etwa 90 Prozent der Fälle zu. In vier der Stalking-Fälle im vergangenen Jahr ging es außerdem um besonders schwere Form der Nachstellung, das heißt durch die Tat war das Opfer selbst, Angehörige oder andere Nahestehende in Lebensgefahr oder ihnen wurde eine Gesundheitsschädigung zugefügt.
Stalking als Straftatbestand
Stalking bedeutet übersetzt „sich anschleichen“ oder „sich anpirschen“. Im strafrechtlichen Kontext ist die Rede von „Nachstellung“. Dabei geht es laut §238 Strafgesetzbuch (StGB) darum, dass ein Täter oder eine Täterin „einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen“ – zum Beispiel, indem die Person die räumliche Nähe der anderen Person aufsucht, immer wieder versucht, Kontakt zu der betroffenen Person aufzunehmen, diese bedroht oder sogar tätlich angreift. Einem Täter können dafür bis zu drei Jahre Haft drohen. Besonders schwere Fälle von Nachstellung können auch zum Tod führen.
Vor allem Frauen betroffen
Das schlägt sich auch bei der Opferschutzorganisation Weißer Ring nieder. Jährlich beraten sie im Saarland viele Betroffene, zumeist Frauen. "Stalking an sich, auch wenn dies in physische Gewalt oder sogar in Tötungsdelikte übergeht, ist Alltag – auch im Saarland", sagt der Landesvorsitzende Roland Theis. Es seien nicht nur, aber in einem großen Anteil Frauen betroffen (laut polizeilicher Kriminalstatistik macht der Anteil der weiblichen Opfer in den vergangenen Jahren 80 Prozent aus).
Die Folgen von Nachstellung seien gravierend: "Wir erleben, wie erheblich die Beeinträchtigungen von Stalking sind – das zerstört den gesamten Alltag. Das soziale Leben liegt völlig danieder, weil die Betroffenen nur noch auf der Flucht sind", so Theis.
Weitere Bedrohung Cyberstalking
Häufige Muster seien, dass die nachstellende Person das Opfer ausspäht, es immerzu mit Nachrichten bombardiert und ungewollt die Nähe der Person aufsucht. "Die Betroffenen sind dann permanent dieser Belastung ausgesetzt. Das ist eine irre Freiheitseinschränkung, wenn man Orte meiden muss, wo man der nachstellenden Person begegnen könnte."
Das gelte ebenso für den digitalen Bereich. Dort gebe es letztlich noch mehr Möglichkeiten, kontaktiert oder beobachtet zu werden. "Im Grunde ist das eine neue Front, an der Menschen, die unter Stalking leiden, sich verteidigen müssen", erklärt Theis. Die digitale Welt habe die Eingriffsintensität erhöht.
Weißer Ring fordert mehr staatlichen Schutz
Der Weiße Ring ist der Meinung, dass der Staat mehr tun könnte, um Betroffene zu schützen. Eine Tötung etwa komme bei Stalking-Fällen in der Regel nicht aus dem Nichts, sondern sei vielmehr ein trauriger Höhepunkt nach einem langen Leidensweg. Meist gebe es Anzeichen, von denen auch Behörden mitbekommen. Viele Frauen würden sich bemühen, Hilfe zu bekommen, etwa, indem sie ein Kontaktverbot für den Täter beantragen.
Solche Kontaktverbote müssen aber auch durchgesetzt werden – hier sieht Theis eine große Herausforderung. Die Organisation fordert daher die Einführung von elektronischen Fußfesseln oder Armbändern.
Theis verweist dafür auf Spanien, wo dies schon erfolgreich umgesetzt werde: Hält sich ein Täter nicht an das Kontaktverbot und nähert sich dem Opfer, dann wird automatisch ein Alarm an die Betroffene und an die Polizei gesendet. "Wir glauben, dass das auch in Abwägung der Freiheitsrechte des Straftäters verhältnismäßig ist", so Theis. Schließlich sei Abwägungsgegenstand auf der anderen Seite nichts geringeres als das Leben der verfolgten Person. "Wir sehen das als ein gutes Instrument an, um Leben zu retten."
CDU mit Antrag zu Fußfesseln gescheitert
Die CDU-Fraktion hatte zuletzt ebenfalls gefordert, dass für Gewalttäter, die bereits gegenüber Frauen straffällig geworden sind, eine Fußfessel zur Überwachung angeordnet werden soll. Mit ihrem Antrag hat sich die Fraktion allerdings nicht durchsetzen können.
Für die kommende Landtagssitzung im Dezember will die CDU einen erneuten Antrag einbringen, um die elektronische Aufenthaltsüberwachung von Frauenschlägern durch Landesrecht zu ermöglichen. "Auf Bundesebene fordern wir eine schnelle Umsetzung der Initiative zur Ergänzung des Strafgesetzbuches und des Gewaltschutzgesetzes, um Fußfesseln für Frauenschläger nach spanischem Vorbild zu ermöglichen", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anja Wagner-Scheid.
"Dafür muss sich die saarländische Landesregierung stärker einsetzen. Zusätzlich fordern wir, die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Landesrecht auf Fälle häuslicher Gewalt auszuweiten."
Wo von Gewalt betroffene Frauen Hilfe bekommen
Frauen, die Gewalt erleiden, können sich an verschiedene Stellen wenden. Unter anderem bietet der Frauennotruf Saarland Unterstützung für betroffene Frauen an. Die Beratungsstelle ist sowohl per Telefon unter der Nummer 0681 36767 erreichbar, es gibt aber auch eine anonyme Online-Beratung.
Unterstützung speziell für Migrantinnen gibt es beim Verein Aldona.
Eine Übersicht über Hilfsangebote im Saarland gibt es auch beim Sozialministerium.