Femizid – Getötet, weil sie sich trennen wollte
Wenn Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet werden, dann sind das keine Einzelfälle. Das zeigen polizeiliche Statistiken. Jedes Jahr sterben mehr als 100 Frauen, weil sie sich von ihrem Partner getrennt haben oder trennen wollten. Dieses Phänomen hat einen Namen: Femizid.
Ende September überfährt ein Mann in Saarwellingen absichtlich seine von ihm getrennt lebende Ehefrau, nur knapp eine Woche später erschlägt ein 43-Jähriger seine Lebensgefährtin in Schmelz. Eine versuchte und eine vollendete Tötung binnen weniger Tage. Was wie ein Zufall anmutet, ist in Wirklichkeit keiner.
Der gefährlichste Ort für Frauen ist das eigene Zuhause. Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland, seine Partnerin oder seine Ex-Partnerin zu töten. An jedem dritten Tag gelingt es ihm. 109 Frauen sind im vergangenen Jahr durch die Hand eines Mannes gestorben, der vorgab, sie zu lieben.
Das ist das Ergebnis einer kriminalstatistischen Auswertung zur Partnerschaftsgewalt, die das Bundeskriminalamt anlässlich des "Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen" veröffentlicht hat.
Für das Saarland teilt das Landespolizeipräsidium auf SR-Anfrage folgende Zahlen mit:
- 2017: 2 vollendete Tötungsdelikte
- 2018: 6 Tötungsdelikte insgesamt, davon 4 Vollendungen, zwei Versuche
- 2019: 2 Versuche und 1 vollendetes Tötungsdelikt
- 2020: 8 Tötungsdelikte insgesamt, davon 3 Vollendungen
- 2021: 5 versuchte Tötungsdelikte
Zu den Motiven könne zwar keine eindeutige Aussage getroffen werden, sagt Polizeihauptkommissar Falk Hasenberg, dazu müssten die jeweiligen Fälle einzeln geprüft werden. "Dennoch lässt sich in einigen der hier bekannten, zurückliegenden Fällen feststellen, dass gerade Trennungssituationen im Bereich der häuslichen Gewalt die Gefahrenmomente für weibliche Opfer erheblich erhöhten."
"Es handelt sich um äußerst brutale Verbrechen"
Die Autorinnen Julia Cruschwitz und Carolin Haentjes wollten wissen, warum das so ist – warum durften sich die getöteten Frauen nicht von ihren Partnern lösen und ein eigenständiges Leben führen? Was trieb die Männer dazu, das Leben der Person auszulöschen, deren Verlust sie doch scheinbar so fürchteten? Und warum muss die Tat klar als solche benannt werden: als Femizid?
Um Antworten zu finden, haben sie mit Wissenschaftlerinnen, Kriminologen, Polizistinnen, Sozialarbeiter, Anwältinnen, Überlebenden, Zeugen und Angehörigen gesprochen und wissenschaftliche Studien analysiert.
Der SR hat mit Cruschwitz, die am kommenden Dienstag im Rahmen des Frauenthemenmonats "FEM*Total" im Saarbrücker Rathaus aus ihrem Buch "Femizide. Frauenmorde in Deutschland" lesen wird, über tödliche Gewalt gegen Frauen gesprochen.
SR.de: Frau Cruschwitz, was genau versteht man unter einem Femizid?
Julia Cruschwitz: Ein Femizid ist ein Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. Es handelt sich also um geschlechtsspezifische Tötungsdelikte, denen patriarchale Strukturen zugrunde liegen. In den allermeisten Fällen treten Femizide in Deutschland nach einer angekündigten oder vollzogenen Trennung der derzeitigen bzw. ehemaligen Partnerin auf.
Den Verlust des vermeintlichen Besitzes kann der von patriarchalem Dominanzdenken geprägte Mann nicht akzeptieren. Die Tötung der Frau ist letzten Endes der Versuch, die absolute Kontrolle über diese zu erhalten.
SR.de: Es geht den Tätern also immer um Dominanz und Kontrolle. Was weiß man noch über sie?
Cruschwitz: Sie kommen in allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten vor. Es lassen sich, wie es häufig angenommen wird, keinerlei Zusammenhänge beispielsweise zur Nationalität bzw. dem Migrationshintergrund herstellen. Sie sind auch größtenteils nicht psychisch krank. Wir haben es tatsächlich mit einer sehr heterogenen Gruppe zu tun.
Auffällig ist, wenn überhaupt, lediglich, dass die Täter überwiegend älter sind, polizeilich in der Regel nicht bekannt waren – was allerdings nicht bedeutet, dass sie zuvor nicht gewalttätig gegenüber ihrer Partnerin waren – und dass sich die Femizide in oder nach dem Ende einer etablierten, das heißt längeren Beziehung ereignet haben.
Was sie außerdem in erster Linie eint, ist, dass sie glauben, einen Anspruch auf ihre Beziehung zu haben und sich über ihre Rolle als Partner oder Familienvater stark definieren.
SR.de: Wenn eine Frau von ihrem Partner getötet wird, dann ist immer noch oft die Rede von einer Beziehungstat, Familientragödie oder einem Eifersuchtsdrama. Warum ist das so problematisch?
Cruschwitz: Das sind fürchterlich verharmlosende Begriffe, die zum einen suggerieren, dass es sich um Einzelfälle handelt, während wir es in Wahrheit mit einem strukturellen Problem zu tun haben. Tödliche Gewalt gegen Frauen ist keine Privatangelegenheit; es ist ein Problem, das das die Gesellschaft als Ganzes bedroht und uns somit alle angeht.
Femizide sind zudem allerschwerste Verbrechen, die mit äußerster Brutalität begangen werden. Und die auch, anders als es die oben genannten Begriffe nahelegen, nicht ein Produkt des Zufalls, das heißt des Affektes sind, sondern Taten, die über mehrere Jahre akribisch geplant wurden und die auch nicht Halt vor den gemeinsamen Kindern machen. Häufig sind sie Zeugen des Mordes an ihrer Mutter oder sie fallen dem Vater selbst zum Opfer – allein aus dem Grund, der Frau die größtmögliche Verletzung bzw. den größtmöglichen Schaden zuzufügen.
Schließlich geben Begriffe wie „Eifersuchtdrama“ den Frauen eine Mitschuld („Victim Blaming“) und bedienen auf diese Weise ein Narrativ, dem auch die Rechtsprechung leider noch zu oft folgt.
SR.de: Führen Sie das bitte aus.
Cruschwitz: Die Frage bei Tötungsdelikten ist ja immer: War es Mord oder Totschlag? Für ein Urteil wegen Mordes muss mindestens ein Mordmerkmal erfüllt sein. Bei Femiziden rücken vor allem die niederen Beweggründe in den Blick. Da geht es dann unter anderem darum, ob die Tat aus nicht-nachvollziehbaren Gründen begangen wurde.
Und hier argumentieren leider immer noch viele Gerichte damit, dass die Frau aufgrund ihrer beabsichtigten oder durchgezogenen Trennung ja Wut, Angst Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit beim Täter ausgelöst habe, was gegen die Erfüllung des Mordmerkmals der niederen Beweggründe spreche. Das Urteil lautet dann auf Totschlag. Die patriarchalen Strukturen wirken also in die Justiz hinein.
SR.de: Wie können Frauen besser geschützt werden?
Cruschwitz: Das Ausmaß des Problem muss im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert sein. Wir müssen den Schutz vor Gewalt gegen Frauen zur Priorität machen und auf allen Ebenen aktiv werden. Gerade zum Thema Femizide braucht es mehr Daten, dazu muss in die Forschung finanziert werden. Neben dem Opferschutz muss außerdem deutlich mehr in die Täterarbeit investiert werden.
In einigen Bundesländern, etwa in Rheinland-Pfalz, gibt es bereits sogenannte Hochrisikomanagement-Programme. Dabei füllen zum Beispiel die Polizeidienststelle oder Frauenberatungsstelle gemeinsam mit der gefährdeten Frau einen Fragebogen aus, anhand dessen ermittelt wird, ob ihr (Ex-)Partner als Hochrisikotäter gilt. Auf Basis der Ergebnisse können dann entsprechende Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden.
Ich würde außerdem an das private Umfeld der Opfer und Täter appellieren. Ein Femizid folgt nach der britischen Kriminologin Jane Monckton Smith immer einem bestimmten Muster. Smith hat ein 8-Stufen-Modell einer Risikobeziehung entwickelt. Danach zeige sich schon in der ersten Phase das Kontrollverhalten des Mannes, das sich sukzessive steigert – bis zu dem Punkt, an dem die Frauen nicht mehr allein das Haus verlassen dürfen.
Wer als Freundin, Bekannter oder als Familienmitglied früh kontrollsüchtiges und manipulatives Verhalten erkennt, sollte nicht wegschauen, sondern sich einmischen und Hilfe anbieten. Viele Überlebende, mit denen wir sprechen konnten, haben uns erzählt, dass sie sich mit ihrer Beziehung und der Angst vor ihrem Partner sehr alleine gefühlt haben.
Kostenlose und anonyme Hilfe für Betroffene
An 365 Tagen rund um die Uhr ist für betroffene Frauen in ganz Deutschland das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" erreichbar. Unter der Nummer 0800 011 6016 wird anonym und in 18 Sprachen kostenlos Hilfe angeboten. Neben der telefonischen Beratung gibt es eine Chat- und E-Mail-Beratung über die Webseite www.hilfetelefon.de.
Von (häuslicher) Gewalt betroffene Frauen im Saarland können sich auch an verschiedene Stellen vor Ort wenden, zum Beispiel an den Frauennotruf, an den Sozialdienst katholischer Frauen oder an den Weißen Ring Saarland.