Auch Saar-Jugendämter klagen über Mehrbelastung

Wie hoch ist die Belastung in Saar-Jugendämtern?

Kai Forst   29.01.2025 | 18:11 Uhr

Die Jugendämter in Deutschland sind am Limit. Eine SR-Anfrage zeigt: Auch im Saarland steigt die Belastung. Personalmangel und Überlastung weisen die Ämter aber von sich. Der Kinderschutzbund und die Gewerkschaft Verdi sind skeptisch.

Personalmangel, Fachkräfte am Limit, fehlende Unterkünfte: Der Kinderschutz in Deutschland ist aufgrund überlasteter Jugendämter gefährdet. Das zeigte vor wenigen Wochen eine WDR-Recherche.

Bei der Befragung – bei der auch anonyme Antworten möglich waren – gab mehr als die Hälfte der 300 teilnehmenden Jugendamtsleitungen in ganz Deutschland an, sie hätten das Gefühl, unter den derzeitigen Bedingungen den Kinderschutz nicht immer gewährleisten zu können.

In jedem zehnten Amt kam es durch Probleme wie Personal-, Geld- oder Platzmangel sogar schon zur Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen.

Hohe Fluktuation in den Jugendämtern

Wie sieht die Situation im Saarland aus? Der SR befragte alle für die Jugendämter zuständigen Landkreise – nicht anonym. Das Ergebnis: Auch im Saarland spüren die Ämter eine zunehmende Belastung, vor allem durch eine verstärkte Fluktuation bei den Beschäftigten.

Zudem sei es immer schwerer, neue Stellen zu besetzen. Von einem akuten Personalmangel, einer eklatanten Überlastung und Überforderung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder davon, dass der Kinderschutz im Saarland nicht immer gewährleistet sei, mag allerdings niemand offen sprechen.

Video [aktueller bericht, 29.01.2025, Länge: 3:26 Min.]
Saarländische Jugendämtern droht Überlastung

Jugendämter bestreiten akuten Personalmangel

Beim Jugendamt im Regionalverband Saarbrücken heißt es: "Ein akuter Personalmangel ist nicht zu verzeichnen." Derzeit seien im Allgemeinen Sozialen Dienst drei von 92 Stellen vakant – ein laut Regionalverband normaler Wert.

Ähnlich auch das Bild in Neunkirchen. Vakanzen, egal welcher Länge, wirkten sich zwar immer in Mehrbelastung des vorhandenen Personals aus. Dauerhafte personelle Lücken konnten bisher allerdings vermieden werden.

Ein wenig deutlicher sind die Angaben des Landkreises Merzig-Wadern: "Personalvakanzen, die nicht mehr so schnell geschlossen werden können wie früher, führen zu einer Mehrbelastung des vorhandenen Personals: Das schlägt sich in Überstunden und punktuell mehr Fällen pro Fachkraft nieder".

Dennoch: Den Angaben der Ämter zufolge scheint die Situation im Saarland im Vergleich zur bundesweiten WDR-Recherche weniger dramatisch zu sein als im Rest der Republik.

So gab kein saarländisches Jugendamt an, dass es Situationen gebe, in denen der Kinderschutz nicht immer gewährleistet werde könne. "Der Kinderschutz hat bei uns die absolut höchste Priorität und ist durch uns gut gewährleistet", sagte die Jugendamtsleiterin des Regionalverbandes Saarbrücken, Angelika Schallenberg dem SR.

Kinderschutzbund: "Besetzte Planstellen sagen wenig aus"

Der Kinderschutzbund im Saarland ist da skeptischer. So seien die Angaben der Ämter, dass alle Planstellen besetzt seien, kaum aussagekräftig. "Sollten alle Stellen besetzt sein, heißt das nicht, dass die Arbeitssituation dann dort gut ist", sagte der Vorsitzende Stefan Behr dem SR. In der Jugendarbeit herrsche aufgrund der hohen Belastung stets ein hoher Krankenstand.

Zudem befänden sich bei den Jugendämtern häufig viele Mitarbeitende im Mutterschutz und Erziehungsurlaub. "Dann sind zwar die Stellen besetzt, aber die Mitarbeitenden sind de facto nicht da. Und befristete Stellen sind nur ganz schwer zeitnah wieder zu besetzen", so Behr.

Und er wird noch deutlicher: Generell sei die Fluktuation wegen der Belastung und der wachsenden Arbeitsverdichtung in den letzten fünf Jahren "auf ein exorbitantes Niveau geklettert".

Offenere Antworten bei anonymer Befragung?

Dass der Kinderschutz nur in anderen Bundesländern, nicht aber im Saarland gefährdet sei, hält der Kinderschutzbund-Vorsitzende für eher unwahrscheinlich.

"Es kann sein, dass das so ist, es kann aber auch sein, dass niemand zugeben will, dass der Kinderschutz nicht immer 100 Prozent gewährleistet ist." Er glaubt, dass die Jugendamtsleitungen bei der WDR-Recherche offener waren, da es sich um eine anonyme Umfrage gehandelt habe.

"Tatsache ist, dass es in fast allen anderen Bundesländern immer wieder vorkommt, dass Mitarbeiter des Jugendamtes bei einer Inobhutnahme am selben Tag keinen Platz in einer Einrichtung finden und das Kind dann zu sich nach Hause nehmen oder mit dem Kind im Jugendamt übernachten müssen." Das schaffe neue Gefährdungssituationen, was nicht im Sinne des Kinderschutzes sei.

Immer weniger Menschen dazu bereit
Landkreis Merzig-Wadern sucht dringend Pflegeeltern

Verdi: "Enorme psychische Belastung"

Auch die Gewerkschaft Verdi ist davon überzeugt, dass die Situation im Saarland ebenso angespannt ist wie in den übrigen Bundesländern. "Steigende Fallzahlen und wachsende Anforderungen stehen sinkenden Bewerberzahlen und einer hohen Fluktuation gegenüber", sagte Christian Umlauf, Verdi-Geschäftsführer der Region Saar Trier, dem SR.

Gerade im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) sei die Situation eklatant. "Die steigende Zahl der Fälle und die Komplexität führen zu einer enormen psychischen Belastung. Eine Einarbeitung von neuen Kolleginnen und Kollegen ist kaum noch möglich. Das Problem und die Belastung sind auch in der Öffentlichkeit bekannt, was potenzielle Bewerber abschreckt und das Problem des Fachkräftemangels zusätzlich verstärkt."

Zu viele Fälle pro Fachkraft

Verdi stellt seit Jahren verschiedene Forderungen, um die Lage in den Jugendämtern zu verbessern. Ein Punkt auf der Liste: Eine Begrenzung der Fallzahl im ASD auf maximal 28 pro Vollzeitstelle. Eine Zahl, die derzeit in den meisten deutschen Jugendämtern sehr deutlich überschritten wird – auch im Saarland.

In Saarlouis etwa kann nach Angaben des Landkreises "von durchschnittlich 60 Fällen pro Vollzeitstelle ausgegangen werden". Im Kreisjugendamt in St. Wendel sind es 51 Fälle, in Merzig-Wadern und im Saarpfalz-Kreis 40. Der Regionalverband und der Kreis Neunkirchen machten keine konkreten Angaben.

Laut dem Kinderschutzbund-Vorsitzenden im Saarland, Behr, gibt es je nach Organisation unterschiedliche Empfehlungen. So fordere der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit eine Fallobergrenze von 30, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter von 50 Fällen von Fachkraft. "Insofern sind 60 Fälle schon über dem fachlichen Standard", sagte Behr.

Fehlende Plätze für Unterbringung

Ein großer Faktor, der für die Belastung der ASD-Beschäftigten mit verantwortlich ist, ist die Suche nach passenden Unterbringungsmöglichkeiten. Denn einerseits nimmt die Zahl der Inobhutnahmen auch im Saarland stetig zu.

Andererseits mangelt es deutschlandweit an Plätzen in Pflegefamilien und Wohngruppen. Die Folge: Der Zeitaufwand, um einen Platz zu finden, wird immer größer. Nicht selten muss auch über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus gesucht werden.

Mehr als 80 Prozent der Ämter, die an der anonymen WDR-Befragung teilnahmen, meldeten dieses Problem. Das ist auch im Saarland nicht anders. Auch hier wird es nach Angaben der Jugendämter immer schwerer, Kinder und Jugendliche unterzubringen. Denn in den Einrichtungen der freien Träger ist der Personalmangel akut – zumindest das gaben alle Jugendämter im Saarland an.

"Es ist zunehmend schwieriger geworden. Unter anderem sind die saarländischen Wohngruppen voll ausgelastet", heißt es aus dem Regionalverband. Laut dem Kinderschutzbund Saar mussten aufgrund von fehlenden Fachkräften bereits viele Einrichtungen im Saarland schließen.

Über dieses Thema berichtet auch die SR info Rundschau auf SR 3 Saarlandwelle am 29.01.2025.


Mehr zum Thema Fachkräftemangel

Krankenhäuser werben Personal ab
Ärzte beklagen Mangel an Medizinischen Fachkräften in Arztpraxen
Der Fachkräftemangel in den saarländischen Arztpraxen hat sich nach Einschätzung der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland verschärft. Die Zahl der Auszubildenden gehe zurück. Zudem würden zunehmend Krankenhäuser Medizinische Fachangestellte aus den Praxen abwerben, um eigene Stellenlücken zu füllen.

Gäste konsumieren weniger
Viele Gastro-Betriebe im Saarland offenbar vor dem Aus
Viele Gastronomiebetriebe im Saarland stehen offenbar kurz vor der Insolvenz. Der Dehoga führt das unter anderem auf das veränderte Konsumverhalten - aber auch den anhaltenden Fachkräftemangel zurück.

Sorge um qualifizierten Nachwuchs
Sparkassen im Saarland erwarten Fachkräftemangel
Beim Kommunalforum des Finanzverbundes in Saarbrücken hatte der Sparkassenverband eine gute und eine schlechte Nachricht zu verkünden. So seien die Sparkassen im Saarland finanziell gut aufgestellt. Das Thema Nachwuchssicherung bereite dagegen zunehmend Sorgen.

Anstieg um 150 Fälle
Mehr Kinder und Jugendliche im Saarland in Obhut genommen
Im Saarland haben die Jugendämter im vergangenen Jahr mehr Kinder und Jugendliche in Obhut genommen als 2022. Ist diese Maßnahme notwendig, liegt es in den meisten Fällen daran, dass die Eltern überfordert sind.


29.01.2025, 18:35 Uhr
In einer vorherigen Version des Artikels hieß es, im Saarpfalz-Kreis würde eine Vollzeitstelle im sozialen Dienst des Jugendamtes derzeit im Durchschnitt 133 Fälle bearbeiten. Diese Zahl bezog sich aber auf mehr Bereiche als die genannten Zahlen der anderen Kreise. Der Saarpfalz-Kreis merkte dazu an, dass damit alle Beratungsfälle gemeint sind, darunter auch Scheidungen, Sorgerechts- und Umgangsangelegenheiten, die Mitwirkung bei familienrechtlichen Verfahren, alle Formen der Erziehungshilfe sowie Kinderschutzfälle und Inhobhutnahmen. Für die Bearbeitung von Hilfen zur Erziehung fielen derzeit pro Vollzeitstelle 40,1 Fälle an.

Push-Nachrichten von SR.de
Benachrichtungen können jederzeit in den Browser Einstellungen deaktiviert werden.

Datenschutz Nein Ja