Abschlussbericht im Fall Dillinger: Mehr Missbrauchsfälle als gedacht
In Trier ist der Abschlussbericht der Aufarbeitungskommission im Fall des verstorbenen saarländischen Priesters Edmund Dillinger vorgelegt worden. Er offenbart das Ausmaß des Missbrauchs durch Dillinger und verdeutlicht, wie die Kirche bei dessen Aufklärung versagt hat.
Mehr als ein Jahr hatten die Sonderermittler der Aufklärungskommission in der Causa Dillinger Spuren verfolgt, Tausende Fotos und drei Ermittlungsakten gesichtet, dutzende Interviews mit Betroffenen geführt. Ihr Abschlussbericht, der am Dienstag vorgestellt wurde, kommt demnach zu dem Ergebnis:
Die Missbrauchsfälle um den Ende 2022 verstorbenen Priester Edmund Dillinger aus dem Bistum Trier haben ein größeres Ausmaß als bislang bekannt.
Mindestens 19 Betroffene
Die Sonderermittler gehen in ihrem vorläufigen Abschlussbericht von mindestens 19 Betroffenen zwischen 1961 und 2018 aus. Elf Opfer seien namentlich bekannt. Zudem seien "sehr viele Personen", deren Zahl nicht annähernd zu beziffern sei, Opfer von sexuell motiviertem Verhalten Dillingers geworden, "indem sie in sexualisierten Posen fotografiert wurden, Berührungen in allen Körperregionen ausgesetzt waren oder Annäherungsversuche abwehren mussten".
Im Bericht wird das Fazit gezogen, "dass Dillinger über Jahrzehnte das Gegenteil dessen vorlebte", was er gepredigt habe.
Vorfälle von Bischöfen im Bistum Trier "vertuscht" worden
Es sei kaum zu begreifen, dass eine Persönlichkeit wie Dillinger über Jahrzehnte im Dienst der Kirche verbleiben konnte. "Die Tatenlosigkeit und das Wegschauen von kirchlichen Verantwortlichen – was nur als bewusste Vertuschung gewertet werden kann – diente zuvörderst dem Schutz des guten Namens der Kirche und des Bistums."
Die Verantwortlichen im Bistum Trier hätten insbesondere in den Jahren 1964 und 1970 unangemessen auf bekanntgewordene Missbrauchsfälle reagiert und "diese vertuscht", heißt es in dem Bericht weiter. Bischöfe im Bistum Trier seit den 1960er Jahren waren Matthias Wehr (1951-1966), Bernhard Stein (1967-1980), Hermann Josef Spital (1981-2001), Reinhard Marx (2002-2008) und Stephan Ackermannn (seit 2009).
In den Pfarreien, in denen Dillinger als Seelsorger tätig war oder wohnte, sowie in Vereinen, Verbänden und Verbindungen, in denen er Mitglied war, seien "Vorfälle totgeschwiegen" und Hinweisen oder "offenen Geheimnissen" nicht nachgegangen worden, so der Bericht. Zudem habe die frühere Schulleitung des Max-Planck-Gymnasiums in Saarlouis Dillinger "nicht ausreichend überwacht"; dort war er von 1979 bis 1999 Religionslehrer.
Erst 2012 verbot das Bistum Dillinger, Messen zu feiern und Kontakt zu Jugendlichen zu haben.
Scharfe Kritik auch an saarländischen Ermittlungsbehörden
Die Autoren kritisierten in ihrem Bericht auch die Arbeit der saarländischen Ermittlungsbehörden, die Beweismittel in dem Fall vernichtet hätten – vor allem von detaillierten Jahreskalendern Dillingers ab 1967 habe man sich wichtige Erkenntnisse für die Aufklärung versprochen. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hatte Asservate, darunter akribisch geführte Kalenderbücher aus mehreren Jahrzehnten, voreilig vernichten lassen.
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, hat mit Blick auf den Fall Dillinger klarere und einheitliche Regeln für eine Aufarbeitung gefordert. Das gelte besonders für den Umgang mit Akten- und Beweismaterial, sagte Claus am Dienstag auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Es sei nicht nachvollziehbar, dass in dem Fall wertvolles Material vernichtet worden sei. Das dürfe sich nicht wiederholen.
Über dieses Thema hat auch die SR info Rundschau im Radio am 07.05.2024 berichtet.