Tintin, Haddock - und ihr gestresster Erfinder
Ausstellung "Hergé - une vie, une oeuvre" im Chateau de Malbrouck
Mit einer großen Ausstellung zu Leben und Werk von Hergé feiert man im Château Malbrouck 2019 den 90. Geburtstag von Tintin - bis November behergen die alten Mauern Sammlerstücke und Raritäten, die man gesehen haben sollte.
Tintin war mein erstes Comic. Und hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Olivier Weinberg
Wie dem bekannten Lothringer Comiczeichner geht es fast allen von uns. Bei ihm hat sogar der Zeichenstil, die legendäre "Ligne Claire" von Georges Remi, sich erhalten. Initialen (umgedreht) RG, ausgeschrieben dann H E R G É – er erfand für die Kinderseiten der katholischen belgischen Zeitung „Vingtième siècle“ 1929 Tintin, wie Tim auf Französisch heißt.
Dass Hergé, Tintin, Milou, der Capitaine Haddock und sogar die berühmte Mondrakte nun im Schloss von Malbrouck gelandet sind, hoch über dem kleinen nordlothringischen Städtchen Manderen, mag erstaunen. Jean-Francois Patricola, Projektbetreuer beim Departement Moselle, findet aber, 600 Jahre mittelalterliches Schloss und 90 Jahre Tintin gehören zusammen.
Das ist eher überraschend. Die Leute gehen in ein mittelalterliches Schloss, um Rüstungen und Ritter vorzufinden - aber es ist auch gut, in einer anderen Modernität sich wiederzufinden. Jean-Francois Patricola
Das prima hergerichtete "château" als schöne Kulisse für die sogenannten Neunte Kunst. Patricola baut fürs Departement Moselle einen Comicschwerpunkt im Château de Malbrouck auf - unter anderem auch mit einem jährlichen Comicfestival an Pfingsten. Die Herausforderung sei es gewesen, meint er, Schloss und Comic harmonisch zusammenzubringen. Und das sogar für die Leute von der anderen Seite der Grenze. Der Katalog ist zweisprachig deutsch und französisch. Alle Infos und Tafeln der Ausstellungen sind dreisprachig – da ist noch Englisch mit dabei, Englisch und Koreanisch auch die Untertitel des Informationsfilms über das Leben Hergés.
Dennoch: Es lohnt sich, bevor man in diesem Sommer nach Malbrouck in die Ausstellung fährt, mal kurz auf Wikipedia den Artikel zum Leben und Werk von Hergé auf Deutsch zu lesen. Dann kann man grenzenlos schwelgen in großformatigen Fotos und Dekorationen, in selten gezeigten Originalzeichnungen, man sieht das Originalszepter von König Ottokar und, in einem der vier Türme des Schlosses, herrlich dekoriert unter Nachthimmel, Tintins Mondrakete (wobei da auch noch Bezug genommen wird auf die echte Mondlandung vor 50 Jahren). Dazu die Erklärung, wie die Stories Stück für Stück ihre endgültige Form fanden. Das Ganze passt wirklich perfekt in die verwinkelten, aber einwandfrei hergerichteten Räumlichkeiten des Château – zwischen den Türmen erlaubt der Gang über die hohen Wehrgänge den weiten Blick über das Dreiländereck.
Insbesondere die zunehmende Detailversessenheit, dann die geographische, historische und wissenschaftliche Genauigkeit von Hergé in den Abenteuern seines Reporters ist immer wieder Thema, wird an Entwürfen und mit Beispielen gezeigt. Auch wird die dadurch und durch den großen Erfolg entstehende Dauerbelastung von Hergé erklärt - der nach meheren Nervenzusammenbrücken endlich ein Studio eröffnete mit anderen Zeichner*innen, um der Nachfrage nachkommen zu können.
Zu fix allerdings rauscht die Ausstellung hinweg über die problematische Frühzeit im Werk des Erfinders vom berühmten „Ligne-Claire-Zeichenstil“. Das katholische Belgien war nämlich in Hergés Anfangszeiten antijüdisch, antiamerikanisch, kolonialistisch, monarchistisch und antidemokratisch. Und der junge Mann – wie auch sein damals schon berühmter kleiner Reporter – ziemlich blauäugig mittenmang dabei– auch unter der deutschen Besatzung im zweiten Weltkrieg. Eine Jugendsünde?
Im Krieg muss man arbeiten oder man hat nichts zu essen. Wir haben nichts versteckt. Aber das ist das Problem der großen Stars, dass man versucht, ihr Bild zu zerstören. Nick Rodwell
Der Nachlassverwalter von der für das Werk und auch die Ausstellung verantwortlichen Stiftung Hergé – und Mann von Fanny, der zweiten Frau des Tintin-Erfinders - er macht es sich damit ein bisschen einfach. Dem Gesamteindruck der farbenfrohen Ausstellung allerdings verpasst das nur einen kleinen Grauton.
Die Austellung "Hergé - une vie, une oeuvre" ist bis Ende November geöffnet. Das Château de Malbrouck ist von Di bis Freitag geöffnet, unter der Woche von 10 bis 17 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen und im Juli und August bis 18 Uhr. Es gibt dort auch ein Café. Der Eintritt beträgt 7 Euro, Sozialtarif 3 Euro 50, Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren sind umsonst. Und ganz gratis für alle ist es jeden ersten Sonntag im Monat. An Pfingsten findet dann auch noch eine große Comicbörse in Malbrouck statt. Infos auch unter www.sr.de.
"Das Comic im Jahr 2000? Ich denke, ich hoffe, dass es Bleiberecht erworben hat, dass es, ich will mal sagen, erwachsen geworden ist. Dass es nicht mehr dieses Abgerissene, dieses Schäbige ist, von der alles Übel ausgeht, diese Unternehmung der Verdummung. Dass es ein vollwertiges Ausdrucksmittel geworden ist, wie die Literatur oder das Kino (bei denen es sich, nebenbei bemerkt, nicht selten bedient). Vielleicht - zweifellos - wird es bis dahin ihren Balzac gefunden haben. Einen echten Künstler, der, begabt sowohl auf zeichnerischer als auch auf literarischer Ebene, ein echtes Gesamtwerk geschaffen hat." Hergé in den 60er Jahren
Was man sonst noch über BD erfahren kann
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Konzept
Die Comicbegeisterung in Frankreich ist mit dem deutschen Comicmarkt nicht zu vergleichen. Aber sie schwappt auch über die Grenze: Gut die Hälfte aller frankophonen Bücher, die für Deutschland übersetzt werden, sind Comics. Von den Klassikern wie Asterix oder Lucky Luke bis zu heutigen Serien wie Largo Winch oder XIII, von Cartoongrößen wie Sempé oder Pénélope Bagieu bis hin zu den Zeichnern und Zeichnerinnen von Charlie Hebdo oder den Graphic Novels eines Guy Delisle.
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