"Hexen Hexen" als Comic
Exklusiv: die Erfolgscomicautorin Pénélope Bagieu
Sie gehört zu den erfolgreichsten Comic-Autorinnen in Frankreich: Pénélope Bagieu. Schon ihre erste Graphik Novel „Wie ein leeres Blatt“ landete auf der Bestsellerliste und wurde, wie viele ihrer Bücher, auch ins Deutsche übersetzt. Mit ihrem ironischen Blog „Mein Leben ist total faszinierend“ und mit ihrer Porträt-Serie „Die Unerschrockenen“ über unbekannte, aber starke und beeindruckende Frauen, hat sie gezeigt, dass Comics durchaus feministisch sein können und gleichzeitig erfolgreich. Aktuell hat Bagieu den Kinderbuch-Klassiker „Hexen Hexen“ ("The Witches“) von Roald Dahl als Comic adaptiert und mit ihrer eigenen Interpretation der Geschichte einen riesen Erfolg gelandet. Sabine Wachs hat sie getroffen:
Etwas abgehetzt kommt Pénélope Bagieu zum Interview in ein kleines Pariser Café in der Nähe der Place de la Bastille. Die Zeichnerin und Autorin hat trotz Corona-Pandemie viel zu tun. Mit Begeisterung in den Augen, erzählt die Comic-Zeichnerin, wie sie aus ihrer Leidenschaft fürs Zeichnen und Geschichtenerzählen einen Beruf gemacht hat. Und dass schon jetzt, nach „nur“ 10 Jahren Karriere, einer ihrer großen Kindheitsträume in Erfüllung gegangen ist: eben „Hexen Hexen“ vom britischen Autor Roald Dahl zu adaptieren:
„Ich hatte sofort ein Feuerwerk an Ideen im Kopf. Das wird genial, sagte ich mir. Diese Szene wird super. Diese noch besser. Ich hatte alles direkt vor Augen. Ich habe die achtjährige Pénélope aus meinem Herzen geholt, die, die Hexen Hexen so sehr liebte und habe angefangen. Es hat so unfassbar viel Spaß gemacht, diese Geschichte zu zeichnen. Es war einfach wunderbar.
Zwei Jahre hat Pénélope Bagieu an Roald Dahls bekannten Kinderbuch gearbeitet. Mächtig Respekt habe sie davor gehabt, sagt die sonst so selbstbewusst wirkende Frau. Nicht nur, weil „Hexen Hexen“ ein Klassiker ist, im Original schon illustriert vom berühmten Illustrator Quentin Blake, sondern auch weil Roald Dahls Erben über den Verlag direkt an Bagieu herangetreten waren. Die Zeichnerin hatte von Beginn an die Idee, „Hexen Hexen“ auch ein bisschen zu ihrer eigenen Geschichte zu machen. Dahls Enkel ließ ihr dabei freie Hand. Die düstere Story über Hexen, die Kinder über alles hassen und in Mäuse verwandeln, verpasste Pénélope Bagieu ganz bewusst ein neues Gewand. Denn das Original aus dem Jahr 1983, erschienen ein Jahr nach Pénélope Bagieus Geburt, war der Zeichnerin und Autorin an der ein oder anderen Stelle für heutige Kinder etwas zu verstaubt:
„ Es gibt ein paar frauenfeindliche Stellen im Original, die habe ich rausgelassen. Und es fehlt an Mädchen in dem Buch. Ich wende mich an Kinder, an Jungen und Mädchen. Es ist wichtig, dass sie sich beide in der Geschichte wiederfinden. Es gibt eine coolen Jungen in dem Buch und ich habe ihm ein cooles Mädchen an die Seite gestellt. Und dann habe ich noch kurz erklärt, was Hexenverbrennung ist: Vorsicht ihr Kinder, es gibt Hexen und Hexen und lange Zeit hat man alte Frauen verbrannt, weil sie sich mit Heilkräutern auskannten.“
Bagieu lacht, aber es wird klar, dass es der Zeichnerin damit sehr ernst ist. Wie „Hexen Hexen“ nutzt sie auch viele ihrer anderen Comics und Graphic Novels dafür, Stellung zu beziehen, mit den Mitteln ihrer Kunst eine moderne, emanzipierte Gesellschaft zu gestalten. Und: für den ein oder anderen politischen Seitenhieb.Ein Muss als politisch engagierter und interessierter Mensch, erklärt sie. In Frankreich gilt sie als feministische Zeichnerin. Forciert aber habe sie das nie:
„Man sagt sich ja nicht, ich werde jetzt über Feminismus schreiben. Ich zumindest tue das nicht. Es kommt einfach dabei raus. Ich finde es kompliziert, meine Arbeit von dem zu trennen, was ich bin. Ich kann mich selbst ja beim Arbeiten nicht bei Seite lassen. Aber ich bin jetzt auch nicht militant und versuche den feministischen Blick zwanghaft unterzubringen.“
Die vergangen zehn Jahre ihrer Karriere resümiert zum Teil in New York lebende und auch alle Möglichkeiten des Internets nutzende Comicautorinals als eine einzige, wunderbare Erfahrung. Aber auch als Jahre, in denen ihr bewusst wurde, was sie eigentlich will. Ihre eigene Handschrift reift nun langsam heran. Vor allem, wenn es darum geht, Geschichten zu erzählen. Ihre Art zu zeichnen, sagte Bagieu unlängst in einer Talkrunde, habe sie bereits mit drei Jahren gefunden. Tatsächlich zeichnet sie einfach, ohne große Schnörkel, ihre Welten sind meist bunt und fröhlich. Kindlich aber ist ihr Stil nicht. Eher reduziert, auf das Wesentliche.
„Was mich enthusiastisch und ungeduldig für die Zukunft macht, ist die Tatsache, dass, je älter ich werde, ich immer näher an das Buch herankomme, dass ich irgendwann mal zeichnen will. Ich muss mich nicht mehr mit Leuten rumschlagen, mit denen ich nicht arbeiten will, ich verrenne mich nicht mehr. Ich werde immer klarer, immer feiner in meiner Arbeit. Und den Comic, den ich mit 80 Jahren zeichnen werde, der wird einfach nur perfekt sein.“
Die bisherigen Artikel von sr.de/bd
Sie suchen nach bestimmten Comics - oder wollen einfach nur stöbern? Die bisherigen Artikel unserer Seite zu frankophonen Comics in Deutschland finden Sie hier.
Konzept
Die Comicbegeisterung in Frankreich ist mit dem deutschen Comicmarkt nicht zu vergleichen. Aber sie schwappt auch über die Grenze: Gut die Hälfte aller frankophonen Bücher, die für Deutschland übersetzt werden, sind Comics. Von den Klassikern wie Asterix oder Lucky Luke bis zu heutigen Serien wie Largo Winch oder XIII, von Cartoongrößen wie Sempé oder Pénélope Bagieu bis hin zu den Zeichnern und Zeichnerinnen von Charlie Hebdo oder den Graphic Novels eines Guy Delisle.
Hier bietet SR.de exklusiv für Deutschland eine regelmäßige Auswahl aktueller Titel, aber auch Hinweise auf Klassiker und Gesamtausgaben. Kontakt: gheger@sr.de
0 Kommentare