Manche im Saarland hielten „Telesaar“ für so etwas wie die Fernsehsparte von Radio Saarbrücken. Ein Irrtum. Der erste saarländische Fernsehsender „Telesaar“ und der Vorgängersender des öffentlich-rechtlichen Saarländischen Rundfunks waren eigenständige Unternehmen. Rein rechtlich gesehen. Tatsächlich verband sie aber Vieles.
Von Christl Ohnesorg, Mitarbeit: Axel Buchholz
Telesaar (Ende 1953 bis Mitte 1958) verkaufte für beide Sender gemeinsam die Rundfunkwerbung. Radio Saarbrücken gab seine eigene „Radio-Reklame“ dafür auf.
Der französische Generaldirektor von Radio Saarbrücken, Frédéric Billmann, war die treibende Kraft bei der Gründung des Fernsehsenders Telesaar. Er hielt ein Aktienpaket von dessen Trägergesellschaft „Saarländische Fernseh AG“ und saß dort im Vorstand.
Beim Aufbau des öffentlich-rechtlichen SR Fernsehens ab 1959 wurde Telesaar zur personellen Keimzelle. Zahlreiche Mitarbeiter von Radio Saarbrücken hatten zugleich als Freie für Telesaar gearbeitet und so ihre ersten Fernseherfahrungen gesammelt. Auch viele aus der Telesaar-Belegschaft begannen später beim Saarländischen Rundfunk. Dazu zählt auch Christl Ohnesorg. Sie erinnert sich selbst nach rund sechs Jahrzehnten noch gern an Telesaar – damals für sie ein geradezu traumhafter Arbeitsplatz.
Wie ich den Weg zu Telesaar fand? Nicht ich fand ihn, der Weg fand mich. Ein Fernsehteam von Telesaar drehte in einem Kosmetik-Institut in Saarbrücken. Das war 1956.
Sogar noch weiter als meine Erinnerungen reichen die von Peter Lenz (Jahrgang 1941) zurück: bis 1953 zu den Probesendungen von Telessar. Sein Vater war Victor Lenz, der Leiter der sehr populären Mundart-Bühne von Radio Saarbrücken. Die Probesendungen hätten im Textilkaufhaus Möller und Schaar in der Saarbrücker Bahnhofstraße stattgefunden. Sein Vater und er seien dabei mit Sketchen aus der Reihe „Vater und Sohn“ aufgetreten. Die Eröffnungssendung von Telesaar ging am 23. Dezember 1953 auf Antenne – am Geburtstag eines seiner Förderer, des saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann. Auch in dieser Sendung traten Victor und Peter Lenz auf.
Auch in der folgenden Zeit waren Vater und Sohn Lenz regelmäßig im Telesaar-Programm vertreten. Da spielten beide meist Rollen in Mundart-Fernsehspielen, manche geschrieben von der Autorin Marga Wick. Sie ging gelegentlich auch selbst vor die Kameras. Häufig sind die Mundart-Sprecher Gerdi und Fritz Weißenbach dabei gewesen.
Der Regelbetrieb von Telesaar begann 1954. Dieses kommerzielle Fernsehprogramm war für Saarländer gedacht, sendete in deutscher Sprache und beschäftigte ganz überwiegend saarländische Mitarbeiter. Aus Frankreich kamen einige Techniker und die obersten Chefs. Mit Frédéric Billmann war ein Elsässer aus Saverne (Zabern) Vorstand in der Trägergesellschaft „Saarländische Fernseh AG“und zugleich Generaldirektor von Radio Saarbrücken. Häufiger sah ich den Verwaltungs- und Personaldirektor François Favelier, den Geschäftsführer vor Ort. Beide verstanden und sprachen auch Deutsch.
Telesaar war der erste Fernsehsender an der Saar und gleichzeitig auch das erste Privatfernsehen in Europa. Besuch vom „Saarländischen Fernsehen“, wie sich Telesaar auch nannte, war damals ziemlich aufregend: viel Aufwand, viel Kabel, viel Licht! Und auch viel Aufregung bei uns im Kosmetikstudio. Ich arbeitete dort als Kosmetikerin, spielte aber fürs Fernsehen eine Kundin. Reporterin Gisela Purwins wollte mit Kameramann Fred Ohnesorg zeigen, wie eine kosmetische Behandlung abläuft.
Deshalb kam ich auch mehrmals ins Fernseh-Bild. Bald danach war ich selbst Fernseh-Mitarbeiterin. Ich könnte dort – so das Angebot – abends ab 18.00 Uhr die Ansagerinnen und die anderen vor den drei Studio-Kameras Agierenden „visuell herrichten“ – also als Maskenbildnerin arbeiten. Mit der Kollegin Liesel Beckhäuser zusammen habe ich das natürlich liebend gern gemacht. An so etwas hätte ich damals noch nicht einmal im Traum gedacht. Eine wunderbare neue Herausforderung.
Den Telesaar-Beitrag aus unserem Kosmetik-Salon habe ich am Gründonnerstag 1956 in einer knüppelvollen Gastwirtschaft gesehen. Kneipen waren ein beliebter Ort zum Fernsehen. Zuhause hatten wir damals, wie fast jeder im Saarland, noch kein Fernsehen. Die Fernsehgeräte waren ein Luxus, den sich die Wenigsten leisten konnten. Hinzu kam: Wer das saarländische Programm Telesaar sehen wollte, brauchte dafür Geräte mit der französischen Zeilennorm. Damit und mit einer zusätzlichen Antenne hätte er dann vielleicht auch das französische Programm aus Straßburg empfangen können. Meist reichte aber die Sendestärke weder für das eine noch das andere Programm. Telesaar war im Prinzip nur in Saarbrücken und Umgebung zu empfangen. Ein Sender auf dem Eschberg sorgte dafür.
Weil aber kaum einer ein Fernsehgerät hatte, kann sich auch Peter Lenz an Reaktionen auf seine ersten Fernsehauftritte nicht erinnern. In seine Familie kam Fernsehen erst, als es Telesaar schon gar nicht mehr gab: 1960 zu den Olypischen Spielen in Rom. Das Motto sein damals gewesen: „Rom ist in der kleinsten Hütte“.
Telesaar fügte sich gut in das wirtschaftliche und politische Interesse Frankreichs. Die gesamte Studio- und Sendertechnik war französisch. Und das Programm bot eine Möglichkeit, das damals teilautonome Saarland vorsichtig mit französischer Kultur zu durchdringen („pénétration culturelle“). Auch für das saarländische Regierungsziel einer Eigenstaatlichkeit war ein eigenes Fernsehprogramm sehr förderlich.
Dass damit noch viel weitergehende rundfunkpolitische und vor allem wirtschaftliche Absichten eng verknüpft waren, ahnte damals kaum einer.
Ein eigenes Radio hatte es im Saarland erst 1935 mit einer Verspätung von zwölf Jahren gegeben. Wie sicher die meisten Saarländer war ich jetzt einfach stolz darauf, dass wir so schnell ein eigenes Fernsehprogramm bekommen hatten – obwohl es vorerst nur die allerwenigsten empfangen konnten. Das wichtige und am weitesten verbreitete elektronische Medium im Saarland war mit Abstand also noch das Radio – Radio Saarbrücken. Erst rund ein Jahr zuvor (ab Ende Mai 1953) war das entstehende bundesdeutsche Fernsehen über den Sender Weinbiet bei Neustadt/Weinstraße erstmals im deutschen Südwesten zu empfangen. Aber das deutsche ARD-Programm aus Rheinland-Pfalz konnten nur die sehen, die möglichst nah an der saarländisch-deutschen Grenze wohnten. Und sie mussten sich Geräte mit der deutschen Zeilennorm und eine andere Antenne leisten können. Sogenannte Mehrnormengeräte für die französische und deutsche Norm kamen zwar bald auch in den Handel, waren aber noch viel teurer.
Für die Saarländer bedeutete das deutsche Fernsehen vorläufig also noch kaum etwas. Aber das änderte sich. Erstmals bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 zeigte es sich deutlich. Da lockte die Übertragung des Endspiels Deutschland gegen Ungarn viele Saarländer in grenznahe Gaststätten, in denen das deutsche ARD-Programm gezeigt wurde. Peter Lenz wurde von seinem Vater ins „Menschenhaus“ (bei Neunkirchen) mitgenommen: Etwa hundert Leute drängten sich da in einem dafür viel zu kleinen Gastraum und mühten sich, auf dem damaligen Minibildschirm etwas zu erkennen. Die schwarz-weiß Bilder waren ziemlich „grieselig“. „Ich hatte Glück“, freut sich Peter Lenz noch heute. „Als Kind durfte ich ganz vorn auf dem Boden sitzen. Auf der Rückfahrt nach Saarbrücken stimmten wir vor Freude über den Fußballweltmeister Deutschland in ein richtiges Hupkonzert ein, was damals im von Deutschland abgetrennten Saarland bemerkenswert war.“ Dass Telesaar das Spiel darum nicht bringen konnte, führte zu Unmut im Lande.
Das saarländische Fernsehen Telesaar war aber trotz aller Empfangsprobleme immerhin schon populär genug, um eine Tankstelle ziemlich bekannt zu machen, wie mein späterer SR-Kollege, der Kameramann Klaus Peter Weber, in Erinnerung hat. Die vielen Rundfunkhändler im Land wollten natürlich gern Fernsehgeräte verkaufen. Da das Telesaar-Programm aber nur ab dem späten Nachmittag lief, konnten sie tagsüber gar nicht vorführen, wofür sich die Saarländer ein teures Fernsehgerät leisten sollten. Da kam man bei Telesaar auf die rettende Idee, tagsüber statt des gleichbleibenden Testbilds ein „lebendes“ anzubieten.
Dafür wurde eine Kamera ins Studio-Fenster gestellt. Sie zeigte von hoch oben dann stundenlang Livebilder von der Kreuzung Dudweiler Straße/Ecke Richard-Wagner-Straße. Auch von der Tankstelle dort. Bei vielen Rundfunkhändlern lief dieses „Erfolgsprogramm“ im Schaufenster – vor staunenden Passanten. Kein Wunder, das die Tankstelle so bekannt wurde wie keine andere im Land!
Groß vorbereitet für meine Arbeit beim Fernsehen wurde ich nicht. Nach dem Motto „learning by doing“ bildete ich mich in den Besonderheiten des Schminkens fürs Fernsehen selber aus. Die ersten, die mir unter den Puderpinsel kamen, waren die Ansagerinnen Christa Adomeit von Radio Saarbrücken, Hedi Ballier, Sekretärin bei Telesaar, die später zum WDR wechselte, sowie die Schauspielerinnen Eileen Leibbrandt, Marion Ibach und Ursula Rollauer. Sie halfen mir mit Tipps. Auch die Kameraleute wie Willi Raber und Elmar Schönecker hatten gute Ratschläge bereit.
Aber alle Mitarbeiter waren mir gegenüber sehr hilfsbereit, loyal zueinander und kameradschaftlich untereinander. Es herrschte eine heitere Stimmung. Das Arbeitsklima erschien mir anders und ungewöhnlich, eventuell weil es das damals ansonsten übliche „Chefdenken“ bei Telesaar nicht gab. Das beeindruckte mich sehr. Vielleicht war es eine Auswirkung der Durchdringung mit französischer Lebensart am Arbeitsplatz. Und ehe ich mich versah, war ich schon mittendrin in dieser Welt des noch jungen Mediums Fernsehens. Den Kameramann, Erwin Alfred „Fred“ Ohnesorg hatte ich ja schon beim Dreh im Kosmetiksalon kennen gelernt. Er war besonders bemüht um mich, nicht nur bei der Arbeit, sondern auch abends bei den vielen gemeinsamen Kneipenbesuchen im Kollegenkreis.
Im Gegensatz zu der Faszination, die damals von Telesaar ausging, war der Sender sehr bescheiden-bürgerlich untergebracht. In der zweiten und dritten Etage des Geschäftshauses der Volksfürsorge (Dudweiler Straße 57 – 59/Ecke Richard-Wagner-Straße). Die Büros und sonstigen Räume hatten Fenster zum Hof, das Studio lag vorn an der Straßenseite. Es war wenig größer als ein geräumiges Wohnzimmer. Und die Decken waren niedrig.
Auf viel zu wenig Fläche war alles untergebracht, was unbedingt zu einem Studio gehörte: die drei großen, fast kastenförmigen Studiokameras der französischen Firma Radio-Industrie, zusätzliche technische Geräte, Ansagertisch, Sitzmöbel für Gäste, diverse Kulissen, die Scheinwerfer und natürlich die Mitarbeiter – also Kameraleute, Kameraassistenten, Aufnahmeleiter und je nachdem Ansagerin, Studiogäste oder Schauspieler/innen. Nein, es war nicht eng im Studio. Es war sehr eng. Gelegentlich mussten auch schon mal die beiden Türen zum Flur geöffnet werden, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben.
Aber vor allem war es heiß im Studio. Ein kühler Hauch kam allenfalls von den Ventilatoren. Man schwitze sehr. Wie sehr sie alle unter der Hitze gelitten haben, wird Peter Lenz nie vergessen. „Das war grausam, teilweise hatten wir 50 ° im Studio. Die Schminke verlief, kaum war sie aufgetragen.“ Und nicht nur die Akteure vor der Kamera, auch den anderen im Studio ging es kaum besser. Das lag daran, dass die Kameras damals noch sehr viel Licht brauchten. Aber leider produzierten die Scheinwerfer zu 95 Prozent Wärme als „Abfallprodukt“ und nur zu rund fünf Prozent Helligkeit (heute ist es genau umgekehrt). Also brauchte man mehr Scheinwerfer. So schweißtreibend hatte ich mir die Fernseharbeit jedenfalls nicht vorgestellt – falls ich überhaupt schon eine Vorstellung davon gehabt hatte. Der Schweiß war der einzige Gegner, den man bei Telesaar hatte. Jedenfalls der einzige, an den ich mich erinnere.
Bei Telesaar waren wir sieben Tage in der Woche auf Sendung. Aber jeweils nur vom späten Nachmittag an. Die letzten Sendungen endeten so um 22.00 Uhr. Im Industrieland Saar ging man ja früh schlafen. Unf für mehr als einige Stunden konnte ohnehin noch kein Programm produziert werden. Das Fernsehen fing so klein an – wie das Radio dreißig Jahre zuvor. Also noch kein Vergleich mit den heutigen Fernsehprogrammen rund um die Uhr.
Ab 17.00 Uhr lief die leichtere Kost. Dazu gehörte auch Kinderfernsehen. Einige der Radio Saarbrücken-Funkkinder von „Tante Christa“ (Frischkorn) waren auch dabei. So die heutige Fernseh-Cutterin Gisela Zick. „Super spannend“, sei das damals gewesen, erinnert sie sich. „Wir hießen ,Die Fernsehsternchen‘, was einem auch schon mal auf der Straße nachgerufen wurde.“
Mit dem Märchenonkel Werner Jacobi habe es eine Büchersendung für Kinder gegeben. In einer anderen sei Kindern zum Geburtstag gratuliert worden. „Dafür habe ich meinen Text selbst geschrieben – mit 12!“ Und den hat sie bis heute aufbewahrt.
Öfter mal war Gisela Zick einfach nur zum Zuschauen bei Fernsehsendungen im Studio dabei. Auch rund 60 Jahre später hat sie eine klemmende Kulissentür noch gut in Erinnerung. Sie ließ sich vom Schauspieler nicht öffnen – und das in einer Livesendung, die ja weitergehen musste. Das Problem wurde gelöst – wie, weiß sie nicht mehr. Schon aber, dass die Aufregung im Studio riesengroß gewesen sei. Für „eine ziemliche Aufregung“ war sie selbst auch mal (mit)verantwortlich. Mit einigen „Fernsehsternchen“ hatte sie da aus dem Studiofenster Wasser auf Leute gegossen, die unten vor dem Haus an einer Bushaltestelle warteten.
Für die Kleinen gab es bei Telesaar regelmäßig auch Kasperletheater. Karl Fischer, im Hauptberuf bei Radio Saarbrücken als Toningenieur mit dem Übertragungswagen unterwegs, hatte die Figuren geschnitzt. Beim Radio brachte ihm das gleich zwei Spitznamen ein: „Herrgottsschnitzer“ und „Herr Kasperle“. Letzterer kam vielleicht auch daher, dass Karl Fischer wohl selbst den Kasperle spielte.
Tochter Annelie Fischer hat aus Erzählungen ihres Vaters in Erinnerung, dass das Kasperle-Theater anfangs (vielleicht vor dem Beginn des Regelbetriebs am 6. Juni 1954) wohl so eine Art Testprogramm gewesen sei. „Also: schwarzer Bildschirm ohne Programm, dann eine halbe Stunde Kinderprogramm und dann wieder nichts sozusagen.“
Noch genau weiß Annelie Fischer durch eine Familien-Anekdote, dass Victor Lenz der Partner ihres Vaters war. Eines Tages hatte der sich bei Mutter Fischer beschwert: „Tu dem Karl sonntags nie mehr Knoblauch in den Salat! Ich halte es neben ihm im Studio sonst nicht mehr aus.“ Mutter Fischer sah’s mehr hausfraulich: „Ohne Knoblauch schmeckt der Salat nicht.“ So oder so – es wurde weiter gemeinsam gekasperlt und Tochter Annelie hält die Kasperlefiguren ihres Vaters auch nach mehr als einem halben Jahrhundert noch in Ehren.
Auch ein anderer Toningenieur von Radio Saarbrücken war beliebt und brachte es später sogar ins ZDF-Programm: Helmut Scheuer. Er zeigte sehr unterhaltsam, was man sich so alles an Nützlichem basteln kann. Köche verrieten ihre besten Rezepte, ein Gartenbaumeister erklärte, wie man die Blumen zum Blühen, ein Vogelkundler, wie man die Vögel zum Nisten bringt, die Polizei riet, wie man es den Ganoven schwerer und für sich selbst sicherer machen kann, und Pierre Séguy verkündete (wie schon lange bei Radio Saarbrücken) seine philatelistischen Neuigkeiten nun auch vor der Fernsehkamera. Service- und Zielgruppen-Sendungen gab es also für viele Aspekte des täglichen Lebens und jedes Alter.
Die volkstümliche Musik hatte ebenfalls einen Sendeplatz im Programm von Telesaar. Josef Reichert ließ live die verschiedensten Musikgruppen, Chöre und Solisten aufspielen. Die Volksmusikszene im Saarland kannte er bestens. Schließlich war der ehemalige Musiklehrer dafür auch der zuständige Redakteur bei Radio Saarbrücken.
Ich begann meinen Dienst in der Maske abends um 18.00 Uhr. Die Hauptnachrichtensendung kam um 20.00 Uhr und hieß „Tagesschau“ – sicher nicht zufällig so wie die ältere in der ARD. Sie bestand nur aus Nachrichtenfilmen, einer hinter dem anderen. Einen Nachrichtensprecher im Bild, der dazwischen Textmeldungen verliest, gab es noch nicht.
Das Format war vom Kino übernommen, wo es „Wochenschau“ genannt wurde. Die einzelnen kurzen Filme auch mit bunten Themen kamen aus Paris und wurden aus einer Sprecher-Kabine live kommentiert. Die Sprecher Otto Karl „O. K.“ Müller und Olaf Quaiser, machten das – waren dabei aber nicht im Bild zu sehen. Nachmittags hatten sie sich die Filme schon angeschaut, die französischen Originaltexte übersetzt und sich überlegt, was sie abends in freier Rede dann dazu sagen würden. Oft genug war das gespickt mit ironischen Bemerkungen. Beschwerden blieben da nicht aus.
Spitzenreiter als Beschwerdeführer war wohl ein allen bei Telesaar bekannter „Hochwürden“. Die 50er Jahre waren halt eine sehr spießige, kleinbürgerliche und verklemmte Zeit. Und auch das politische Klima im Saarland war nicht anders: konservativ-klerikal. Die beiden Herren Nachrichtensprecher taten also gut daran, es nicht zu übertreiben mit ihren kommentierenden Bemerkungen. Allerdings behandelten die Filme auch nicht nur wichtige politische Themen. Häufig ging es um das allgemeine Tagesgeschehen und um Buntes, oft in Frankreich.
Nach der „Tagesschau“ folgte ein abwechslungsreiches Programm. Technisch gab es dafür nur zwei Möglichkeiten: Entweder es wurde etwas live gesendet (aus dem Studio oder als Übertragung von außerhalb) oder es wurden Filme und Filmberichte gezeigt. Die Möglichkeit elektronischer Aufzeichnungen (Mazen) gab es damals noch nicht. Deshalb ist von allen Live-Produktionen nichts mehr vorhanden. Der erhaltene Filmbestand von Telesaar ist im Fernseharchiv des Saarländischen Rundfunks bewahrt. Zumeist ohne Ton. Der wurde bei Telesaar erst „live“ bei der Sendung ergänzt.
Aus Zeitzeugen-Erinnerungen, schriftlichen Unterlagen, Zeitungsberichten und den Programmvorschauen der Presse wissen wir dennoch auch viel über das Abendprogramm von Telesaar. Es war eine bunte Mischung aus viel Unterhaltung und auch Kultur. Regionales aus dem Saarland wurde öfter mal angeboten. So zum Beispiel am Samstagabend (!) eine Talkrunde mit Journalisten mehrerer saarländischer Zeitungen, die es damals ja noch gab. Es war ein regionaler Spätschoppen – nach dem Vorbild von Werner Höfers berühmtem „Internationalen Frühschoppen“ am Sonntagmittag im ARD-Programm. Überregionales kam häufiger aus Frankreich. Zufall oder fein dosierte „pénétration culturelle“?
Die Sport-Ergebnisse im Telesaar-Programm wurden von Franz Duhr präsentiert, der dies auch bei Radio Saarbrücken machte. Sport-Übertragungen gab’s auch, öfter vom Fußball, aber auch von der Güdinger Pferde-Rennbahn oder vom Catchen.
Zielgruppen-Sendungen wechselten sich ab mit Programmen, die für das gesamte Publikum gedacht waren – ein „Vollprogramm“ mit starker Ausrichtung auf das Saarland.
Werner Wiedemann lockte mit allerlei Produkten als Preisen bei seinen Quiz-Spielen, in Studio-Modeschauen wurde vorgeführt, was für die elegante Dame gerade angesagt war. Karnevals-Umzüge wurden gern gesehen. Ebenso die populären Unterhaltungsveranstaltungen („Bunte Abende“). Sie wurden aus den beiden größten Saarbrücker Veranstaltungssälen, dem Johannishof und dem Wartburgsaal, übertragen.
War ein Zirkus in der Stadt, wurden Manege-Künstler ins Studio eingeladen – aber nicht nur zum Erzählen, auch zum Vormachen oder Vorzeigen. So brachte ein Dresseur eines Abends einen kleinen possierlicher Affen mit. Der untersuchte neugierig alles, was in seine Nähe kam. Auch ein Feuerlöscher geriet in seine Reichweite. Plötzlich hatte er den aktiviert. Blitzschnell war alles eingeschäumt, auch Kameras und Studioleute. Unser Feuerwehrmann hätte das nicht schneller gekonnt. Riesige Aufregung im Studio, aber „the show must go on“ – und sie ging.
Ein anderes Mal war das Zirkus-Tier etwas größer: ein Elefanten-Baby. Unser Studio in der dritten Etage eines normalen Bürohauses in der Dudweiler Straße, hatte einen schmalen Treppenaufgang. Also sollte der Elefant mit dem Fahrstuhl fahren. Aber dafür war entweder der Fahrstuhl zu klein – oder der Elefant zu groß. Also musste er sich bis in den dritten Stock die Treppe hochbemühen. Es war jedenfalls ein nicht alltäglicher Anblick, vergnüglich für das gesamte Studio-Team. Wie „vergnüglich“ es für den Elefanten war, ist nicht überliefert. Fahrstuhl und Treppe blieben jedenfalls heil. Und das Studio beim anschließenden Live-Auftritt ebenfalls.
Telesaar brachte auch Spielfilme wie deutsche Heimatfilme, Western und französische Krimis. Ich habe sie mir öfter angesehen. Wie das technisch bewerkstelligt wurde, hat Klaus Peter Weber beobachtet – und sich gemerkt. Einen Filmgeber (Filmabtaster) dafür gab es nicht. Also behalf man sich. Die 35mm-Spielfilme wurden mit zwei Kinoprojektoren abwechselnd Filmspule nach Filmspule an eine Wand im Studio projiziert. Das etwa eineinhalb Meter große Bild nahm eine der Studiokameras auf. Und ab ging’s live auf Sendung.
Aus besonderen Anlässen kamen gelegentlich auch Star-Gäste ins Studio. Ich erinnere mich sehr gut an den Jazzmusiker Lionel Hampton mit seinem Xylophon und kleiner Band. Er zeigte in unserem Mini-Studio einen hinreißenden Auftritt, an dem ich viel Freude hatte.
Der Globetrotter und Artist Heinz Rox-Schulz war 1953 und 1955 zu Gast. Er sorgte mit seinen Abenteuer-Berichten für eine in jenen Jahren ansonsten unerreichbare Exotik. Das führte letztendlich dann dazu, dass Rox 1962 in Saarbrücken und beim Saarländischen Fernsehen heimisch wurde.
Die gelegentlichen Fernsehspiele bei Telesaar wurden ebenfalls live gesendet. Es gab ja noch keine technische Möglichkeit, sie mit den Studio-Kameras aufzunehmen und dabei aufzuzeichnen. Aus dem Studio wurde dann eben eine „Theater-Bühne“. So inszenierte der Regisseur Wilm ten Haaf das Drama „Fräulein Julie“ des schwedischen Schriftstellers August Strindberg. Eva-Maria Meinecke spielte die Hauptrolle in diesem Kammerspiel. Es ging problemlos. „Kammerspiel“ war eben das richtige Format für die Größe unseres Studios. Gerade eben noch machbar.
Das Kriegsheimkehrer-Stück „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert erwies sich da schon als komplizierter. Darin gab es Szenen, die in einem Bett spielten. Aber wie sollte die Kamera von oben Bilder in einem Bett zeigen? Das Studio war erstens viel zu niedrig. Und zweitens hatten wir auch keinen Kamerakran (falls es den für diese schweren Kameras überhaupt gab), um die Kamera in eine entsprechende Position über das Bett zu hieven.
Aber es gab eine Lösung für das Problem: Das Bett wurde perspektivisch an eine Wand gemalt, die Schauspielerin dann so davor gestellt, dass es für den Zuschauer aussah als läge sie im Bett. Eine Bettdecke bekam sie auch. Die wurde an die Wand geklebt oder genagelt – und schon war das Bett perfekt. Die Kamera blieb auf dem Boden – und lieferte trotzdem (scheinbar) den Blick von oben ins Bett. Auch dieses Fernsehspiel wurde natürlich live gesendet. Wiederholungen bei eventuellen Pannen also unmöglich. Es muss ein Kraftakt für die Schauspielerin gewesen sein. Bei der Hitze im Studio unter einer Bettdecke an der Wand stehen, dabei wie liegend wirken und natürlich und überzeugend den Text „rüberbringen“ – alle Achtung! Sie litt bestimmt noch mehr als alle anderen im Studio.
Wir von Telesaar waren eine kleine verschworene Gemeinschaft von „Fernseh-Pionieren“, ein bunter Haufen spontaner, kreativer Leute, die bestens zu improvisieren verstanden: Man dachte und machte, was eben ging und notwendig war. Vom Fernsehen hatte kaum einer vorher eine Ahnung gehabt. Manche kamen direkt von der Werkkunstschule in Saarbrücken, andere vom Theater und sehr viele von Radio Saarbrücken. Manch einer sogar ursprünglich schon vom Reichsrundfunk wie etwa Dr. Heinz Dützmann (später beim SR beliebt durch seinen „Bunten Teller“ am Sonntag Morgen) oder Victor Lenz.
Viele, die ich bis dahin nur vom Hören gekannt hatte, lernte ich nun persönlich kennen. Sie sammelten bei Telesaar ihre ersten Fernseherfahrungen. Diese Fernseh-Nebentätigkeit auch von festangestellten Redakteuren wurde bei Radio Saarbrücken offenbar gern gesehen. Schließlich waren die beiden Sender in der obersten Spitze und über die Radioreklame ohnehin miteinander verbandelt. Später zahlte sich das für den Saarländischen Rundfunk aus, als er ab 1959 sein eigenes Fernsehen aufbaute. Nicht wenige der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die er von Radio Saarbrücken übernommen hatte, konnten auf Fernseherfahrungen bei Telesaar zurückgreifen.
Als ich zu Telesaar kam, wird es dort etwa 40 Angestellte gegeben haben. Zum Schluss waren es um die 60, darunter einige französische Techniker. Die allermeisten aber hatten einen saarländischen oder einen bundesdeutschen Pass. Das galt auch für die von Produktion zu Produktion frei engagierten Mitarbeiter wie zum Beispiel die Schauspielerinnen und Schauspieler und die anderen Freien, die regelmäßig mitarbeiteten. So auch der Grafiker und Zeichner Roland Stigulinszky, der mit heiter amüsanten Karikaturen und mit witzigen Bemerkungen und kleinen Sottisen live die wöchentliche Programm-Vorschau ankündigte.
Einige der Bilder in diesem Text hat SR-Sendertechniker Markus Kirst zur Verfügung gestellt. Aufgenommen hat sie sein Vater Richard Kirst. Dessen Grafiker-Karriere begann bei Telesaar und ging dann beim Saarländischen Rundfunk weiter. Sein Cousin Werner Kirst ( *16.5.1927; † 15.3.2021) arbeitete ebenfalls bei Telesaar. Er war dort für Bühnenbild und Dekoration zuständig und konnte mit 94 Jahren noch lebhaft Anekdoten aus dieser Zeit erzählen.
Nachdem das Saarland am 1. Januar 1957 als zehntes Bundesland in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert worden war, ging die Zeit von Telesaar bald zu Ende.
Eine eigenständige saarländische Medienpolitik war nun nicht mehr möglich. Fortan galten auch im Saarland die bundesdeutschen rundfunkpolitischen Regelungen. Aus dem staatlichen Radio Saarbrücken war der öffentlich-rechtliche Saarländische Rundfunk geworden. Und ein kommerzielles Fernsehen wie Telesaar ließ die bundesdeutsche Rechtslage nicht zu. Nach vergeblichen Versuchen, sich juristisch gegen die Einstellung des Programms zu wehren, lief Telesaar am 15. Juli 1958 zum letzten Mal über den Sender. Ein großer Schock für die Mitarbeiter! „Der Rest ist Schweigen“ nannten sie ihre letzte Sendung.
Wehmut und auch Verbitterung in der Telesaar-Familie waren groß.
Auf dem Saarbrücker Halberg liefen allerdings schon die Planungen für das Fernsehen des Saarländischen Rundfunks. Viele der ehemaligen Telesaar-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen fanden dort nach und nach einen neuen Arbeitsplatz, darunter auch nicht wenige Techniker. Sie alle konnten ihre Erfahrungen als saarländische „Fernseh-Pioniere“ auch beim öffentlich-rechtlichen SR gut gebrauchen. Eine davon war ich – und ich arbeitete sehr gern sowohl bei Telesaar wie dann beim SR. Dort auf dem Saarbrücker Halberg war ich wieder eine Kollegin von Kameramann Fred Ohnesorg – des allerersten Mannes, den ich von Telesaar kennengelernt hatte. Drei Jahre später heirateten wir.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz (ab); Eva Röder (Gestaltung/Layout), Roland Schmitt (Fotos/Recherche); Mitarbeit: Annelie Fischer, Markus Kirst, Sven Müller und Klaus Peter Weber