Weihnachten 1956: Fred Oberhausers Sendung der Literaturredaktion
Bekannte Dichter und Schriftsteller suchen nach der „Frohen Botschaft“
Viele Sendungen aus den Anfangsjahren des Saarländischen Rundfunks sind nicht mehr erhalten. Und mehr noch gilt das für Produktionen seiner Vorgänger-Sender „Reichssender Saarbrücken“ und „Radio Saarbrücken“. Kriegs- und Nachkriegswirren sind daran ebenso schuld wie Platzmangel im Archiv und der chronische Geldmangel des kleinen Senders, der Tonbänder immer wieder neu bespielen wollte.
Von Axel Buchholz
Manches verschollen Geglaubte allerdings findet sich nach und nach im Archiv wieder. Denn schrittweise werden Alt- und Uraltbestände nun digital gespeichert und dabei neu erfasst und erschlossen. „Dadurch kann man unter verschiedenen Stichworten suchen, wird viel schneller fündig und findet gelegentlich auch mehr als mit den früher üblichen Karteikarten“, sagt Bert Lemmich, der Leiter der SR-AudioWort-Dokumentation.
So gab es denn auch für Fred Oberhauser, als Redakteur für Literatur und regionale Kultur mehr als drei Jahrzehnte der Experte des SR, eine freudige Überraschung. Obwohl er sie für längst gelöscht hielt, ist eine seiner frühen größeren Literatursendungen wohlbehalten archiviert: ein einstündiges Weihnachtsprogramm von 1956.
Schon seit 1949 hatte Fred Oberhauser parallel zu seinem Studium der Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte in Saarbrücken und der Theater- und Zeitungswissenschaft in München, als freier Mitarbeiter für die „Saarbrücker Zeitung“ und für „Radio Saarbrücken“ gearbeitet. Die älteste (teilweise) archivierte Sendung von ihm stammt aus dem Jahr 1953: Die Hörfolge:„Taschen- und Tugendspiegel für Damen“. Oberhauser hatte Fabeln von Johann Fürchtegott Gellert für den Funk bearbeitet.
Kurz vor dem Volksentscheid vom 23. Oktober 1955 bekam er dann eine feste Stelle, zuerst als Redaktionsassistent in der „Chefredaktion“. Kommissarischer Leiter der Abteilung „Kulturelles Wort“ wurde er Mitte 1956, nachdem Jean Bernard (Hans Bernhard) Schiff als Literaturchef ausgeschieden war.
Oberhausers Weihnachtssendung lief am ersten Feiertag 1956 zwischen 11.00 und 12.00 Uhr auf der Mittelwelle. Sie war eine der letzten größeren Produktionen von „Radio Saarbrücken“. Einige Tage später schon, am 1. Januar 1957, war die "Franzosenzeit" beendet und das Saarland als neues Bundesland Teil der Bundesrepublik Deutschland. Aus „Radio Saarbrücken“ war der „Saarländische Rundfunk“ geworden, bald als ein Mitglied der ARD. Für Oberhauser war die Sendung eine der ersten Gelegenheiten, neben regionalen auch Autoren aus ganz Deutschland an einem wichtigen Sendeplatz mit Kurzessays vorzustellen.
Neun ausschließlich deutsche Dichter und Schriftsteller konnte er gewinnen. Sie sollten der Frage nachgehen, „ob die Weihnachtsbotschaft des Engels an die Hirten auf dem Felde für uns noch eine Botschaft des Friedens, Frohe Botschaft, sein kann.“ Erst im Januar 1956 durften die letzten deutschen Kriegsgefangenen auf Adenauers Vorstoß hin aus der Sowjetunion zurückkehren. Diese „ Heimkehr der Zehntausend“ hatte die Deutschen ungeheuer emotional berührt. Zudem sah die Welt elf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder alles andere als friedlich aus: Ost und West befanden sich im „Kalten Krieg“. Beide deutsche Teilstaaten begannen mit der Wiederbewaffnung. Israel hatte den Sinai-Feldzug geführt, britisch-französische Truppen in der Suez-Krise interveniert.
In dieser „Welt der wiederaufgeflammten Unruhe und Angst“ (Zitat aus der Einleitung zur Sendung) ließ Oberhauser eine Antwort auf die Frage nach dem Frieden suchen. Jeder Schriftsteller bekam als Vorgabe dafür einen bestimmten Vers des Weihnachtsevangeliums nach Lukas. Und jeder sah darin eine tröstliche Botschaft in einer trostbedürftigen Welt.
Neun, teils sehr gefragte Schriftsteller zu verpflichten, hatte Monate gedauert. Manche beatworteten die Briefe gar nicht, andere erst zu spät, wie z.B. Heinrich Böll. Der Tropenarzt, Philosoph und Friedensnobelpreisträger Prof. Albert Schweitzer (Lambarene in Gabun/ Kaysersberg im Elsass) sagte eine Mitarbeit beim SR erst für einen späteren Zeitpunkt zu.
Nicht einfach war auch die technische Vorbereitung der Weihnachtssendung. Die Autoren lebten ja überall in Deutschland, von Bayern bis Berlin, von Zwickau in Sachsen/DDR bis Freiburg im Breisgau. Nur einer nahm seinen Beitrag im Studio von „Radio Saarbrücken“ in der Wartburg auf.
Für alle anderen mussten Studios bei bundesdeutschen Sendern bestellt werden, damit sie dort ihre Texte sprechen konnten. Da das Saarland noch nicht mit Deutschland wiedervereinigt war, wurde alles als Gefälligkeitsaufnahme über den internationalen Programmaustausch abgewickelt. Oberhauser ist dem damaligen Sendeleiter Dr. Heinz Freiberger noch heute dankbar: „Ohne dessen hervorragende Kontakte und großen Einsatz wären wir gescheitert.“ Trotz aller Mühe blieb die Produktion kurz vor Weihnachten Nervensache (Sprecher des Weihnachtsevangeliums war der bekannte Theater- und Film-Schauspieler Mathias Wieman, Tontechnik: Ernst Becker und Rosel Wack). Das letzte Tonband kam mit der Post am Heiligabend.
Ein Exemplar des Manuskripts schenkte Oberhauser damals mit Widmung seiner Frau Gabi. Die bewahrte es all die Jahre auf. Das SR-Archiv bekam jetzt eine Kopie. Es ist eines der ganz wenigen erhaltenen Sendungsmanuskripte aus der frühen Sendergeschichte.
Neun Schriftsteller zu neun Versen des Weihnachtsevangeliums
Politisch engagiert ist der Beitrag von Reinhold Schneider (13. Mai 1903 – 6. April 1958, Freiburg im Breisgau), dem kurz zuvor der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen worden war. „Mit dem Glöckchen der Harmlosen bei der Weihnachtsbescherung sollten wir uns endlich nicht mehr abspeisen lassen“, forderte dieser gläubige Katholik und erbitterte Gegner der deutschen Wiederbewaffnung.
Luise Rinser (30. April 1911– 17. März 2002, Unterhaching bei München) ist überzeugt, „dass es für jeden von uns
ein Zeichen gibt, das uns zum Glauben führt – wie es in der Heiligen Nacht den Königen und den Hirten geschah: Wer dem Zeichen folgt, das ihn meint, der findet das ihm Zugedachte. Freilich ist‘s immer ein Abenteuer, das zu glauben, was nur als Zeichen erscheint.“
Der Schriftsteller Anton Betzner (geb. 13. Januar 1895 in Köln, gest. 18. Februar 1976 in Puerto de Mazzaron/Spanien) stellt fest, „dass die Botschaft der Heiligen Nacht in diesem Winter 1956 auf Menschen trifft, die besessen sind von einer heillosen Angst und ohnmächtig resignieren“.
Trotz aller düsteren Analyse aber glaubt er, „dass diese Angst von uns genommen werden soll und kann, wenn wir in der Welt sind, wie er (Christus) ist.“ Seinen Text schrieb Betzner in Fechingen im Saarland, wo er zeitweise lebte. Die weiteren Autoren der Sendung „Weihnachten 1956. Die Botschaft von der Geburt des Herrn in unserer Zeit“ sind: Albrecht Goes, Jakob Kneip, Ilse Langner, Gerhart Herrmann Mostar, Otto Riedel (Pfarrer in Zwickau/DDR) und Rudolf Alexander Schröder.
Redaktion für den Arbeitskreis SR-Geschichte: Axel Buchholz; Mitarbeit: Thomas Braun, Michael Fürsattel, Bert Lemmich, Sven Müller, Inge Plettenberg, Klaus Peter Weber, Roland Schmitt