Ilija Trojanow: "Das Buch der Macht"
Ilija Trojanow erzählt vom Wesen der Macht und ihrer möglichst ewigen Erhaltung. Aber sind das gute Tipps? Oder ist es eher eine Warnung? Uli Hufen hat sein neuestes Buch, "Das Buch der Macht" gelesen.
Die besten Jahre sind vorbei. Die goldenen Jahre des Abdulrahman Pascha, Wesir und also Regierungschef des Sultans im Osmanischen Reich. 35 Jahre lang hat Abdulrahman Pascha die Zügel der Macht fest in den Händen gehalten, aber jetzt schwinden seine Kräfte.
Wie sehr ist er gealtert. Von Tag zu Tag wird er weniger. Tief gebeugt schreitet er durch die Gänge des Topkapi. Auf und ab, in der Enge seiner Gemächer. Das Gesicht ist eine starre Maske, um die Schmerzen in den Knochen zu verbergen, vor Höflingen und Günstlingen. Wer ihn erblickt, denkt nur noch an Vergangenes. An eine Zeit, als dieser Mann voller Tatendrang handelte, selbstbewusst, weil mächtig, mächtig, weil selbstbewusst.
Selbst Pläne für neue Steuern können die Lebensgeister des Wesirs nicht mehr wecken. Allenfalls eine kleine Hinrichtung erfreut ihn noch, aber nicht lange.
Was bleibt ist eine Frage: Woran wird man sich erinnern, wenn man an Abdulrahman Pascha denkt? Was wird die Spur von seinen Erdentagen sein?
Also lässt Abdulrahman Pascha seinen Neffen rufen. Ghalib Efendi ist ein junger Taugenichts, der seine Tage mit Frauen und Festen verbringt. Aber er, so will es Abdulrahman Pascha, wird der neue Wesir sein und muss viel lernen.
Es ist die Lehre von der Macht. Wie man Herrschaft an sich reißt, wie man souverän den Staat lenkt, wie man die Menschenherde zur Weide führt, wie man Chaos zur Ordnung formt, wie man die Gelüste der Raubtiere in nützliche Bahnen lenkt.
Ilija Trojanows „Buch der Macht“ geht zurück auf ein Buch, das Ende des 19.Jahrhunderts in Bulgarien erschien. Der Dichter, Jurist und Politiker Stojan Michailowski nannte sein Werk „Buch für das bulgarische Volk“. Bulgarien war seit einigen Jahren unabhängig vom Osmanischen Reich, aber darum nicht unbedingt demokratischer, gerechter oder gar glücklicher. Also setzte sich Michailowski hin, um seinen Landsleuten zu erklären, was Macht ist und was Macht vielleicht nicht sein sollte.
Übersetzt wurde das „Buch für das bulgarische Volk“ nie. Vor allem deshalb, weil es als rhythmisiertes Epos verfasst war und voller Fremdwörter aus vielen Sprachen. Ilija Trojanow, selbst in Bulgarien geboren, hat darum Michailowskis Werk darum nicht übersetzt, sondern nacherzählt: in buchstäblich märchenhaft schönem Deutsch voller fabelhafter Sätze und Metaphern.
Aus einem unübersetzbaren Traktat ist so ein Buch geworden, aus dem man unaufhörlich vorlesen möchte. So klug ist es, so böse und so schön. Zu den vielen Geboten der Macht, die Abdulrahman Pascha seinen Neffen lehrt, gehören unter anderem diese:
Das reizende Wörtchen Staat verbirgt die Wirklichkeit von Schlacht und Schlachthof.
Es gibt keine Moral in der Politik. Weder Recht noch Ungerechtigkeit, es gibt nur Interessen!
Liebe nichts und niemanden, mein kleiner Held. Der Staatsmann bedient sich der Gefühle der Untertanen, er selbst bleibt leidenschaftslos
Im modernen Staatswesen benötigen wir gehorsame Seelen. Der schlichteste Geist ist von größtem Nutzen. Wir brauchen keine Kämpfer, sondern Kriecher
Nun ist offensichtlich, dass Trojanow und Michailowski im Genre der Satire arbeiten. Ebenso offensichtlich aber ist, dass diese Satire - wie alle guten Satiren - nah dran ist an der Realität. Auch an unserer. Sicher, das Fallbeil und der Galgen spielen im Kampf um die Macht in Berlin keine Rolle mehr. Aber sonst? Wer unsere Realität nicht wiedererkennt, wenn der Wesir über den Nutzen von Spionen und Lügen, über die Polizei und über die Manipulation der Öffentlichkeit durch dienstbare Journalisten doziert, der muss blind und taub sein. Um das zu unterstreichen, stellt Trojanow den Lehren des Wesirs Zitate vieler Denker der Macht an die Seite. Hannah Arendt und Aristoteles zum Beispiel, aber auch Noam Chomsky, Erasmus von Rotterdam und Baltasar Gracián. Nicht zu vergessen die Über-Klassiker der Macht- und Staatstheorie: Thomas Hobbes und Niccolò Machiavelli.
Man liest und staunt und gruselt sich nicht nur ein bisschen bei dem Gedanken, dass Macht und Herrschaft heute im Wesentlichen gehandhabt werden wie vor 100 oder 2000 Jahren. Aber das zu wissen, kann offensichtlich nur ein Vorteil sein für die Kämpfe der Zukunft.
Ilija Trojanow
Das Buch der Macht
Aufbau Verlag
276 Seiten, 48 Euro
ISBN: 978-3-8477-2061-4
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 12.03.2025 auf SR kultur.