Michael Glasmeier: „Butzmann pfeift Gedichte“
Frieder Butzmann vertont Lyrik verblüffend anders, nämlich indem er sie pfeift. Und dazu gibt es nun ein Buch: „Butzmann pfeift Gedichte“ heißt es und wurde vom Kunsthistoriker Michael Glasmeier geschrieben. Tobias Wenzel hat es gelesen und den Autor und den Künstler getroffen.
In einer Video-Auftragsarbeit pfeift ein Mann. Aber er pfeift nicht einfach so daher. Frieder Butzmann überführt vielmehr dreizehn Gedichte in präzise Pfeiftöne, hier „An Anna Blume“ von Kurt Schwitters. Dazu gestikuliert er, als würde er sich selbst dirigieren, und zeigt ein lebhaftes Mienenspiel:
Ich habe täglich maximal drei Gedichte vertont oder verpfiffen. Es ist nämlich sehr anstrengend.
Erzählt Butzmann über die Arbeit mit Gedichten von Sappho bis Heinz Erhardt. Das Video hat den Kunsthistoriker Michael Glasmeier zu einem ganzen essayistischen Buch mit dem Titel „Butzmann pfeift Gedichte“ inspiriert:
Die Sprache wird sprachlos. Und stattdessen pfeift er wie wild herum und versucht uns irgendetwas zu erklären, was wir erst dann verstehen könnten, wenn wir es denn verstehen wollten – wir können es aber auch so stehen lassen – wenn wir die Gedichte im Kopf haben oder lesen.
Das wirkt zugleich kunstvoll und komisch. Aber darf man da überhaupt lachen?
Ja, unbedingt! Also der Frieder Butzmann steht ja in der Tradition von Karl Valentin und von Kurt Schwitters und so weiter. Und diese komischen Gesten sind natürlich zum Lachen. Und das Ganze ist zum Lachen. Aber es ist dann auf der anderen Seite bei Gryphius auch unglaublich ernst und dramatisch.
...Diß ist die Flamme der grimmigen Rache / die der erhitzete Zorn angeblasen
Zum besseren Verständnis seines Vorgehens liest Butzmann jeweils zwei Verse aus dem Gedicht „Die Hölle“ von Andreas Gryphius und pfeift sie erst danach.
Wie ist er überhaupt zu diesem Klangartisten und Performancekünstler geworden, der eine klingonische Oper und ein Konzert für 14 Kindernähmaschinen komponiert hat und nun auch noch Gedichte pfeift?
Ich war ein dickes Kind und war so fett, dass ich irgendwie ungern rausgegangen bin. Und dann war ich immer zuhause und hatte nichts zu tun.
Damals, 1964 in Konstanz, hat er angefangen, mit einem Tonbandgerät zu experimentieren:
Da habe ich ein Mikrofon an einen Draht gemacht, also an ein Kabel, und habe das so schwingen lassen. Und es machte so [ahmt das pfeifende Geräusch der Rückkopplung nach] Da gibt’s ein Echo. Und so mache ich das bis heute.
So spielerisch assoziativ. Vor Live-Publikum wirft Butzmann Schränke um. Einige haben behauptet, er sei ja nur ein Krachmacher.
Dann habe ich eines Tages mal gedacht: Na ja, 'Krachmacher' ist ja auch nicht so richtig. Der Krachmacher wirft das alles so hin. Nein, ich bin ein crachmacheur.
Dieser Crachmacheur hat das Pfeifgeräusch bei Rückkopplungen genutzt. Und nun pfeift der Künstler selbst. 13 Gedichte. Das ist virtuos und kühn. Wäre es Butzmann da nicht zuzutrauen, dass er wiederum auf Michael Glasmeier reagiert, indem er dessen gesamten Essay „Butzmann pfeift Gedichte“ pfeift?
Nee! Der ist zu lang. Er müsste, könnte drei, vier Sätze rausnehmen. Ist einfach zu lang. Das würde ich ihm auch nicht zumuten.
Anderseits darf man Frieder Butzmann auch nicht unterfordern:
Wenn ich dann rumsitze und nichts zu tun habe, dann kriege ich Depressionen.
Dann doch lieber aufs Ganze gehen und die Lunge herausfordern beim Pfeifen von Ernst Jandls Gedicht „Auf dem Land“.
Ja? Haben Sie verstanden? Da brauchen Sie den Text ja gar nicht mehr, wenn Sie das gehört haben!
Michael Glasmeier
„Butzmann pfeift Gedichte“
Martin Schmitz Verlag, 120 Seiten, 20 Euro
ISBN: 978-3-949875-01-4
Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 13.11.2024 auf SR kultur.