Behzad Karim Khani: „Als wir Schwäne waren“

Behzad Karim Khani: „Als wir Schwäne waren“

Holger Heimann   04.11.2024 | 11:29 Uhr

Behzad Karim Khani wurde in Teheran geboren und kam als Kind nach Deutschland. 2022 debütierte er mit einem wuchtigen Ghettoroman über arabische Gangs in Neukölln. Jetzt erscheint das Buch, das er nach eigener Auskunft schon vor zwei Jahren habe schreiben wollen. In „Als wir Schwäne waren“ erzählt Behzad Karim Khani am eigenen Leben entlang von einer Jugend in Bochum. Holger Heimann hat den Roman gelesen und mit dem Autor gesprochen.

„Als wir Schwäne waren“ ist ein Buch, das keinen Anlauf braucht, sondern sofort zur Sache kommt. Die Sache, das ist ein Leben am Rand, das sind die enttäuschten Hoffnungen einer Einwanderfamilie aus dem Iran. Der Ich-Erzähler Reza ist als Zehnjähriger mit seinen Eltern ins Ruhrgebiet gekommen. Die Familie lebt in Bochum in einem heruntergekommenen Wohnblock.

Die Nachbarn in den 1990er Jahren sind überwiegend ebenfalls Zugezogene aus anderen Weltgegenden: Kurden, Roma, Italiener – alle aus einfachen Verhältnissen. Was sie verbindet, ist der Geruch der Armut. Rezas Familie ist anders, die Eltern sind Akademiker. Aber ihre Abschlüsse werden nicht anerkannt. Während die anpassungsbereite Mutter noch einmal studiert, fährt der stolze und meist schweigende Vater Taxi. Rezas Revier ist die Straße, hier regiert das Recht des Stärkeren. Und Reza ist keiner, der zurücksteckt.

Am Tag darauf in der Schule packe ich meine Sachen schon zusammen, bevor es klingelt, und bin der Erste, der draußen ist. Ich schmeiße meine Tasche ins Gebüsch, stelle mich vor das Schultor und warte, bis der Junge rauskommt. Er schaut mich an, grinst und ich breche ihm das Gesicht. Vor der gesamten Scheißschule. Punche mit allem, was ich habe, auf seine Nase und breche sie. Packe seinen Kopf, halte ihn nach unten und trete ihm mit dem Knie ins Gesicht. Immer und immer wieder.  

Reza, darauf deutet nicht nur der Gleichklang des Namens hin, ist weitestgehend mit Behzad Karim Khani identisch. „Er ist mir sehr nah“, sagt der Autor. Und es ist diese Nähe, die dem autobiografisch gefärbten Roman eine enorme Dringlichkeit gibt. Denn Behzad Karim Khani kennt die Welt in den engen Grenzen einer armseligen Wohnsiedlung, von der er erzählt, sehr genau. Sein Roman ist auch eine bittere Anklage.

Wenn man das als Deutschlandgeschichte nimmt, ist da der Moment, wo sich der Gesellschaftsvertrag auflöst, mit dem Sozialstaat auflöst, wo jeder auf sich selbst gestellt ist und Leute auch abgehängt sind. Diese Siedlung ist auch eine Geschichte des Zerfalls, des Verfalls.

Die Übersiedler aus dem Iran bleiben Fremde im neuen Land. Es ist ein Land, wo der Satz „Du bist Gast hier!“ eine Drohung ist. Im Unterschied zu seinen Eltern sucht und findet Reza Gleichgesinnte. Es sind zornige, gewaltbereite Teenager, die bald nicht mehr nur mit Fäusten kämpfen, sondern sich Messer zulegen, mit Rauschgift dealen, vor Gericht und oft auch im Gefängnis landen. Den Wunsch danach, von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden, haben sie längst abgelegt. Sie leben in ihrer eigenen Welt, nach eigenen Gesetzen.

Wir alle strampeln uns ab in dieser Kloake, halten den Kopf aber über Wasser.

Reza ist der einzige seiner Clique, der aufs Gymnasium geht. Wenn die Familie in ein anderes Land fährt, dann gehört zum Gepäck ein Wahrig-Wörterbuch, im Auto wird der Junge von den Eltern in Deutsch und Geschichte unterrichtet. Den Weg heraus aus der kriminellen Szene schildert Behzad Karim Khani nicht. Eine Bewährungsstrafe wird zum Wendepunkt. Reza lebt fast 30 Jahre nach der Ankunft im Ruhrgebiet – wie der Autor – in Berlin, hat einen Sohn und macht eine Therapie. Er hat den Absprung geschafft, aber versöhnt ist er nicht, und versöhnlich ist auch dieses vibrierende Buch nicht.

So ein Verhältnis mit einem Land ist wie ein Verhältnis mit den eigenen Eltern. Die liebevolle Verbindung muss hergestellt werden in frühen Jahren. Die Wärme ist für mich nicht da. Ich bin wahnsinnig enttäuscht von Deutschland.

Mit dieser Enttäuschung haben Behzad Karim Khani und sein Ich-Erzähler einen produktiven Umgang gefunden. Der Reifeprozess Rezas, der im Roman nicht auserzählt wird, ist auch der des Autors.

Mein Ort ist die Diaspora. Das ist ein guter Ort, wenn man den annehmen kann. Ich habe lange Zeit damit verbracht, eine Heimat zu suchen, wie sie mir vorgestellt wurde. In dem Nichtfinden habe ich meinen Platz gefunden.

Migrationsromane und Einwanderergeschichten, die von Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit und Ohnmacht erzählen, gibt es einige. Selten aber sind sie von einem solch wuchtigen und wütenden Aufbegehren geprägt wie Behzad Karim Khanis Roman. „Als wir Schwäne waren“ ist eine furiose Abrechnung.   

Behzad Karim Khani
„Als wir Schwäne waren“

Hanser Berlin Verlag, 192 Seiten, 22 Euro
ISBN: 978-3-446-28142-4

Ein Thema in der Sendung "Der Nachmittag" am 04.11.2024 auf SR kultur.

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