Das Viertel "Le Wiesberg" in Forbach soll teilweise abgerissen werden

Das Viertel "Le Wiesberg" in Forbach soll teilweise abgerissen werden

Lisa Huth   31.07.2024 | 12:39 Uhr

Wer auf der Autobahn an Forbach vorbeifährt, sieht sie kurz vor der Abfahrt zum Cora: hellblaue Hochhäuser mit weißen Wolken. Für viele in Forbach ist das Brennpunktviertel "Le Wiesberg" ein Schandfleck. Der Forbacher Bürgermeister wollte es erst ganz abreißen lassen, nach Protesten nur teilweise. Also: Kann das weg oder muss das Viertel bleiben?

Wer in das Viertel „Le Wiesberg“ hinein fährt, sieht geschwungene Häuser, meist verkehrsberuhigte Straßen, viel Grün dazwischen: Das ist sozialer Wohnungsbau wie es ihn nur sehr selten in Frankreich gibt, sagt der Architekt Jean-Marie Helwig. Er nennt als Beispiel die Bergwerkssiedlungen in der Umgebung: Sie seien geordnet und aufgereiht, wie Kasernen.

Ein schneckenförmig angelegtes Viertel

Dieser Stil sei in Frankreich normal für den sozialen Wohnungsbau. Die meisten Bauten sind mit der Folsterhöhe in Saarbrücken vergleichbar. Das käme vom strengen Klassizismus her, sagt Helwig. Der Architekt Emile Aillaud dagegen hat die Wiesberg-Siedlung in den 60-er Jahren aber angelegt wie eine Schnecke: Die Hochhäuser ragen heraus, dazwischen reihen sich drei- oder vierstöckige Häuser.

Das Viertel "Le Wiesberg" in Forbach (Foto: SR / Lisa Huth)
Das Viertel "Le Wiesberg" in Forbach erbaut vom Architekten Emile Aillaud

Der Clou damals war die so genannte „gleitende Schalung“. Das heißt: Die Hauswände wurden in einem Stück hochgezogen. Es gab keine Fensterbänke, keine Ornamente, die Hauswände waren also glatt. Darum mussten die Fenster nicht nebeneinander auf einer Ebene angesetzt, sondern konnten kunterbunt, mal hier, mal da eingelassen werden.

Anarchistische Bauweise

Für französische Verhältnisse war das ganz schön anarchistisch. Aber genau das, sagt der heutige Arzt Serge Wantz, der früher hier zu Schule ging, habe sie als Kinder damals inspiriert: "Wir waren davon durchtränkt, angeregt durch die Farben und Formen. Wir wurden neugierig. Und wenn man neugierig ist, dann lernt man auch."

Die Kinder waren viel sensibler für den Zauber der Innovation von Emile Aillaud, meint Architekt Helwig : "Die Erwachsenen waren schockiert durch die Farben, die Formen, die unordentlichen Fassaden. Die Nachkriegsmenschen in Forbach waren halt die ordentlichen kleinen Bergarbeiterhäuschen gewohnt."

Bemerkenswerte zeitgenössische Architektur

Die Kirche, die im Zentrum der schneckenartig angeordneten Gebäude liegt, hat ebenfalls wieder die Form eines Schneckenhäuschens. Das Kirchlein hat das Label "Bemerkenswerte zeitgenössische Architektur" erhalten. Sie ist die einzige Kirche, die Emile Aillaud gebaut hat.

Das Viertel "Le Wiesberg" in Forbach (Foto: SR / Lisa Huth)
Das Viertel "Le Wiesberg" in Forbach erbaut vom Architekten Emile Aillaud

Auch die Grundschullehrerin Marie-Laure Leclère möchte, dass die Siedlung als Ganzes erhalten bleibt. Sie zeigt auf ihre Schule Louis-Houpert: "Es gibt keine Mauer, sondern nur große x-förmige Pfosten, die das Dach halten. Aber keine Mauern, sondern viele, viereckige Fenster. Und das gibt den Rhythmus auf der Fassade."

Große Wohnungsnot in Frankreich

Natürlich, sagt Marie-Laure Leclère, gebe es in diesem Viertel Probleme. Das sei nicht zu leugnen, so wie in allen französischen Cités, also Brennpunktvierteln: Drogen, Armut. Ähnlich wie in der Aillaud-Siedlung in Nanterre bei Paris. Auch diese Siedlung ist umstritten. Aber, meint Helwig: Abriss schaffe keinen neuen Wohnraum. Die Wohnungsnot in Frankreich sei groß. Darum sei eine Renovierung so wichtig.

Der Forbacher Bürgermeister Cassaro hat bis heute nicht auf die SR-Anfrage, was genau er vorhabe, geantwortet. Inzwischen wurden einige Häuser bereits abgerissen. Ein Teil des Gesamtkunstwerks von Emile Aillaud ist also verschwunden. Die Schnecke existiert nicht mehr. Und das bricht den Streitern für sein Werk das Herz. Forbach habe so etwas Einzigartiges, meint Jean-Marie Helwig: "Das Ensemble ist kaputt!"

Ein Thema in "Der Nachmittag! am 31.08.2024 auf SR 2 KulturRadio

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