7 Kleinstwagen in St. Ingbert (Foto: Gabor Filipp)

Als der Tiger noch den Bulli überholte

Kleinstwagen in St. Ingbert

 

Messerschmitt Kabinenroller, Kleinschnittger und Goggomobil Coupé... in einer ehemaligen Maschinenhalle in St. Ingbert stehen Schätze, bei denen Oldtimer-Fans glänzende Augen bekommen. Gabor Fillip stellt für Tour de Kultur eine private Sammlung von Kleinstwagen vor.

(28.07.2014) Immer größer, immer stärker, immer schneller. Auch Klein- und Kompaktwagen folgen diesem Trend. Und das, obwohl die Verkehrsdichte enorm ist: Allein 53 Millionen PKWs bewegen sich gegenwärtig auf den deutschen Straßen.

Einige ältere Zahlen: Etwas über eine Million Kraftwagen gab es 1953, 2,4 Millionen Autos wies die Statistik 1957 aus, und erst rund vier Millionen Fahrzeuge markierten im Jahr 1960 den beginnenden Autoboom.

Kaum vorstellbar, aber schon damals sagte die Werbung für ein winziges motorisiertes Fortbewegungsmittel: „Die Straßen werden immer voller, fahr Messerschmitt Kabinenroller“.

2 Kleinstwagen in St. Ingbert (Foto: Gabor Filipp)

Goggomobil und Kabinenroller

Ein legendäres Fahrzeug, das selbstverständlich zur privaten Sammlung des Stefan Voit in St. Ingbert gehört. Der Mittelständler sammelt mit Leidenschaft die Kleinstwagen der Nachkriegszeit und des Wirtschaftswunders und verwahrt sie in der ehemaligen Maschinenhalle der Alten Schmelz. Das historische Gebäude von 1906 ist zwar groß, jedoch schon fast zu klein für die über 50 Zwergautos, die einst Stolz und Statussymbol ihrer Besitzer waren. Und die vielleicht 20 Autochen, die in einer kleineren Halle nebenan noch unrestauriert darauf warten, nach Jahrzehnten wieder wach geküsst zu werden, müssen schon auf Hochregalen gestapelt werden.

„Ich habe noch so für 30 Jahre Arbeit“, sagt Voit, der umtriebige und jung wirkende Endsechziger und steuert – gefragt nach seinem Lieblingsfahrzeug – zielstrebig auf den Kleinsten der Kleinen zu: auf einen Kleinschnittger, 1950 auf den Markt gekommen, ein Zweisitzer mit einem 125 ccm-Motor und ganze fünf PS stark. In Rot steht das Wägelchen da, gemessen an heutigen Fahrzeugen „ein kleines Wunderauto“, schwärmt Voit und verweist auf den drei Liter Spritverbrauch bei einer Höchstgeschwindigkeit von immerhin 70 km/h. Der Scheunenfund aus der Gegend von Idar-Oberstein bringt sensationelle 140 Kilogramm auf die Waage. Die Karosserie ist aus Aluminium gefertigt.

Hin und wieder füllt Voit etwas in den Tank und klemmt die Batterie an, um eines seiner Schätzchen aus der Halle hinaus zu fahren – am liebsten den Kleinschnittger, der bis 1957 nur 2.000 mal gebaut wurde, aber bei weitem nicht das teuerste Stück der Sammlung ist.

Porsche in St. Ingbert (Foto: Gabor Filipp)

Zu den wertvolleren Kleinstwagen der Voitchen Sammlung gehört sicherlich ein wunderschön geformtes zweisitziges Cabrio in Weiß. Das elegant-sportlich aussehende Autochen mit Flunderbug erinnert an einen zu heiß gewaschenen Jaguar E-Type. Nur die vier dünnen Reifen, auf denen der kleine Traumwagen mit O-Beinen steht, lassen grübeln und den vergleichenden Blick zum benachbarten Goggomobil Coupé schweifen. Der schnittige Serien-Goggo – genauso wie die schnuckeligen Limousinen – von 1956 bis 1967 gebaut, ist technisch gesehen identisch mit dem weißen Exoten. Auch er ist ein echter Goggo, allerdings seinerzeit in dieser Ausführung so gut wie nie im Straßenbild zu sehen gewesen. Nur einige hundert kamen auf den Markt, der wohl nicht reif war für dieses Kleinod mit gebläsegekühltem Zweizylinderzweitakt-Reihenmotor, 400 ccm und maximal 18,5 PS. Voit ist stolz auf seinen besonderen Goggo, der noch ohne Türen ist. Es handelt sich um einen Prototyp, der in Australien kreiert wurde. Der Goggo-Hersteller Glas aus Dingolfing lieferte ein komplettes Fahrgestell mit Motor nach Australien und bekam es später mit der atemberaubenden Karosserie zurück. Glas gab seinen offiziellen Segen, baute zwei Türen dran, aber es wurde kein nachhaltiges Geschäft daraus. Erfolgreich blieben die Serien-Modelle, insgesamt über 280.000 Mal verkauft. Ein genial schlichtes Auto, als Limousine gut genug, um vier Personen irgendwohin zu qualmen. Ganz zu schweigen von den genialen Werbesprüchen: „Macht viel Freude, kost’ nicht viel. Lösung klar: Goggomobil“. Oder: „Familie nicht mehr laufen will! Lösung klar: Goggomobil“.

Bei den Goggos bekommen ältere Besucher einen verklärten Blick. „So einen hatte ich auch“, heißt es dann mitunter. Denselben Spruch gibt es angesichts eines Dreirad-Wagens mit Frontmotor namens Tempo. Eigentlich ein Vorkriegsprodukt, aber bis 1956 weiter gebaut. Den Tempo gab es meist als Lieferwagen und dann oft mit Pritsche. Der Gemüsehändler brauchte ihn ebenso wie der Kohlehändler, und überhaupt sorgte der Transporter maßgeblich dafür, dass das Wirtschaftswunder durch Mobilität Schwung bekam.

1 Kleinstwagen in St. Ingbert (Foto: Gabor Filipp)

Seit 20 Jahren sammelt Stefan Voit die Kleinstwagen, die die Deutschen einst auf den Straßen in Bewegung brachten. Und diese heute belächelten Straßenflöhe hatten schon beachtliche Technik aufzuweisen. Bei einem Rundgang durch seine Halle zeigt Voit dabei etwa auf ein Fahrzeug mit Automatikgetriebe, das fünf Vorwärts- und fünf Rückwärtsgänge bietet. Natürlich war auch der Voll-Alu Kleinschnittger seiner Zeit voraus oder der Spatz mit der ersten selbsttragenden Vollkunststoffkarosserie. Mit dem Trident von 1960 gab es auch schon ein reines Elektrofahrzeug. Die Energiequelle: Drei ganz normale Auto-Batterien.

Schon 1951 übrigens hatten serienmäßig hergestellte Fahrzeuge mit Benzindirekteinspritzung ihre Premiere – dank der Firma Gutbrod, die ihre schicke zweisitzige Cabriolimousine Superior auch mit dieser Neuerung anbot. Das Auto hatte auch Einzelradaufhängung und hydraulisch betätigte Trommelbremsen. Voit gerät ins Schwärmen. Er kannte noch den ältesten Sohn der Unternehmerfamilie aus Plochingen am Neckar, Walter Gutbrod, der für den Superior verantwortlich zeichnete, schließlich aber in Konkurs gehen musste. Übrig blieb zuletzt in Bübingen die Produktion von Gutbrod-Rasenmähern und anderen Gartengeräten. Und ein Exemplar des knapp 7.000 Mal gebauten fast saarländischen Autos steht eben in St. Ingbert bei Stefan Voit.

In der Nähe des Superiors schaut den Besucher aus treuherzigen Scheinwerferaugen ein Lloyd LT an, lackiert in Blau und schier zum Knuddeln. Ebenfalls ein wegweisendes Gefährt, denn es handelt sich um den ersten Mini-Van, von 1952 bis 1961 gebaut, vom Hersteller als „Großraumpersonenwagen“ bezeichnet. Der Lloyd LT ist kleiner als der vor ihm von VW auf die Straßen geschickte Kleintransporter T1, auch Bulli genannt. Trotzdem überzeugte er als Raumwunder mit sechs schnell auszubauenden Sitzen und einem luftgekühlten Zweizylinder-Motor, dessen 19 Pferdchen für 80 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit reichten. Der Urahn der heutigen Mini-Vans ist so was wie ein Fachwerkhaus auf Rädern: Die selbsttragende Karosserie besteht aus einem Hartholzgerippe, das mit Blech beplankt ist.

Natürlich fehlen in der Sammlung auch die diversen rundlichen Kabinenroller nicht, namentlich von Heinkel, Fend oder die Isetta, die einst BMW vor dem Untergang gerettet hat. Bei der Isetta schwenkt das Lenkrad beim Ein- und Aussteigen mit der Tür raus, wobei der Zugang zum Fahrgastraum nur von vorne möglich ist. An Knautschzonen dachte noch niemand. Erschwinglich sollte das Umsteigen vom Motorrad oder Motorroller sein. Der Antrieb wurde in der Regel von den Zweirädern übernommen. Von denen stehen auch einige aufgebockt in der Halle: Lona, Triumph, Progress, die in Lizenz gebaute Lambretta und Vespa. Es sind sozusagen Vorstufen der Kabinenroller und anderer Kleinstwagen.

Der Aufstieg zur niedrigsten Automobilstufe brachte Vorteile mit sich: Ein Dach überm Kopf, Schutz vor Wind und Wetter, mehr Transportkapazität. Und man konnte etwas hinter sich herziehen. Ein Goggo oder eine Knutschkugel konnte als Gespann auf Tour gehen, mit einem Dethleffs-Klappwohnwagen beispielsweise. Oder Voit hat auch einen Piccolo-Wohnwagen, groß genug für zwei Erwachsene zum Übernachten, aber wenn die Matraze raus ist und die Klappe ab, dann ist das untere Teil schwimmfähig und ein Ruderboot.

4 Kleinstwagen in St. Ingbert (Foto: Gabor Filipp)

Heute aktueller denn je

Ein anderer Anhänger der Sammlung ist zwar für den Lastentransport da, jedoch ebenfalls mit wenigen Handgriffen zu einem Boot umzufunktionieren. Solche pfiffigen, mit Kleinstwagen kompatiblen Accessoires schmücken bei Voit die Camping-Flächen am Rande. Eigentlich sollte ursprünglich die gesamte Halle eine einzige Campingplatzlandschaft werden mit den vielen kleinen Autochen darauf. Aber alte Campingfahrzeuge und altes Camperzubehör zu finden, erwies sich dann als überaus schwierig. So blieb es denn bei den Ansätzen.

Nicht bei den Ansätzen blieb der 1948 vorgestellte Kabinenroller von Messerschmitt. Die zwei Sitze hintereinander unter der seitlich wegklappbaren Plexiglashaube und das Cockpit wie im Jagdflugzeug – das alles blieb bis zuletzt. Jedoch die Krönung der Serie kam nicht mehr von Messerschmitt, hatte vier statt drei Räder und wurde 1957 als Tiger präsentiert. Mit rund 20 PS erreichte der Flitzer 130 km/h und war damit nur einige Stundenkilometer langsamer als ein Porsche 356. Der Tiger – ein Prachtexemplar im Besitz von Stefan Voit und eines der wenigen hundert gebauten Exemplare.

Wie schnell auch immer die Kleinstwagen in der Alten Schmelz von St. Ingbert auch sind, eines haben sie gemeinsam: Einen Minimalismus, der bei den Autobauern heute wiederentdeckt wird. Ob Audi, Renault oder VW – sie alle entwickeln neuerdings Konzepte für urbane Kleinstfahrzeuge. Denn nach dem Motto „immer größer, stärker und schneller“ kann es nicht mehr weiter gehen, ohne dass der Straßenverkehr im Kollaps endet. In der Privatsammlung des Stefan Voit wären noch einige Ideen zu haben – vor Jahrzehnten schon umgesetzt, heute aktueller denn je.

Der Besuch in St. Ingbert ist Nostalgie pur. Bei älteren Semestern lässt er sicher einen Film mit Kindheitserinnerungen anlaufen, natürlich in Schwarz-Weiß.

Gabor Filipp


Kontakt:

Stefan Voit
über das Internet
www.oldtimercamping.de (dort das Kontaktformular ausfüllen)

Öffnungszeiten:

Es gibt keine festen Öffnungszeiten. Die private Sammlung kann nur nach Voranmeldung und Terminvereinbarung besichtigt werden. In der Regel ist der Besuch nur für Gruppen möglich.

Eintritt:

Der Eintritt ist frei. Aber eine Spende ist willkommen.

Anfahrt:

Von Saarbrücken aus am Halberg vorbei über Schafbrücke,  Scheidt und Rentrisch die Kaiserstraße bzw. B 40 nehmen. Nach der Ortseinfahrt St. Ingbert links in die Alleestraße einbiegen und bis zum Kreisel fahren. Dort die 3. Ausfahrt in die Dudweilerstraße. Direkt am Kreisel ist die Maschinenhalle der Alten Schmelz mit der Kleinstwagensammlung. Ein Weg: circa 9 Kilometer.



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