HEIMAT-Spuren
Unterwegs im Hunsrück zwischen Simmern und Morbach
Mit seinen Filmen hat Regisseur Edgar Reitz seiner "Heimat", dem Hunsrück ein Denkmal gesetzt. Jetzt können Filmbegeisterte und Geschichtsinteressierte zwischen Simmern und Morbach auf Spurensuche gehen.
„HEIMAT ist Sehnsucht“ – und die filmische Suche nach der Heimat hat den Hunsrück weltbekannt gemacht. Es sind die Heimat-Fernsehfilme und jüngst der Kinofilm Die andere Heimat von Filmemacher und Regisseur Edgar Reitz. Wer sich auf die Spuren der Filme und damit auch des Hunsrückers Edgar Reitz machen will, der hat gleich mehrere Möglichkeiten – und erfährt weit mehr, als nur Kulissenzauber. Beginnen wir in Simmern.
Das Hunsrück-Museum in Simmern
Über Simmern thront der Schinderhannesturm. Und der Schinderhannes war es auch, der dem Hunsrück als ländlichem Rückzugsraum eine Identifikationsfigur gab. Umstritten – Held oder Räuber – aber deutschlandweit bekannt. Der Turm steht auf einer Anhöhe oberhalb der Altstadt, keine 500 Meter davon am anderen Ende der Fußgängerzone liegt das Hunsrück-Museum im Neuen Schloss. Und natürlich findet der Besucher auch hier etwas über den Schinderhannes „Johannes Bückler“. Er brach aus dem Simmerner Gefängnisturm 1799 aus, mit seiner Bande stürmte er Häuser begüterter Kaufleute, überfiel Reisende auf offener Landstraße. Doch 1803 war Schluss damit – sein Kopf fiel in den Korb unter einer Mainzer Guillotine.
Aber der Hunsrück ist natürlich nicht nur Schinderhannes-Land. Schon zu Zeiten der Vor- und Frühgeschichte waren die Bergrücken und -täler zwischen Mosel, Nahe und Rhein bewohnt. Auch davon erzählt das Hunsrück-Museum. So gibt es faszinierende Funde aus den Schiefergruben und Quarzitrücken (Fossilien, Versteinerungen), römische Funde und Modelle, Zeugnisse (Münzsammlung, Waffen, Schmuck) aus der Zeit der Herzöge von Pfalz-Simmern (1410 – 1673), mit deren Niedergang die Pfälzischen Erbfolgekriege ausbrachen und auch das Alte Simmerner Schloss 1689 zerstört wurde. Im Dachgeschoss gibt es zudem die Kunstsammlung Friedrich Karl Ströher. Der Maler aus Irmenach im Hunsrück gehörte zu den bekannteren Impressionisten Deutschlands, geriet aber nach seinem Tod 1925 etwas in Vergessenheit. Für Museumsleiter Dr. Fritz Schellack ist wichtig, dass die kleinen und großen Schätze aus Simmern und der umliegenden Region immer wieder neu präsentiert und überdacht werden. So im Saal der Wechselausstellungen. Derzeit ist dort das Werk des Bildhauers Johann von Trabach dargestellt. Er hatte seit 1577 in Diensten des Simmerner Herzogs gestanden und aus seiner Werkstatt heraus weit über Simmern hinaus geliefert: Pforzheim, Baden-Baden, Hanau. Wer die Ausstellung des bedeutenden Grabmalbauers nicht mehr vorfindet, der kann gute Beispiele seiner Arbeit gleich vor Ort sehen: in der Stephanskirche in Simmern – Renaissance pur.
HEIMAT im Museum
Im großen Ausstellungsraum liegt der Museums-Schwerpunkt vor allem auf der Kulturgeschichte jüngeren Datums. Denn hier geht es um die Heimat. Und zwar die, die Edgar Reitz im fiktiven Hunsrückdorf Schabbach ansiedelte. Sie wurde zwischen 1984 und 2004 in drei Teilen als Fernsehserie produziert. Dabei hat sich Edgar Reitz dem Begriff Heimat ganz neu, sehr realistisch und halbdokumentarisch genähert. Eine wichtige Rolle spielten dabei immer auch die wahren Geschichten und Zeugnisse aus dem Hunsrück, die dann zu einer neuen Geschichte rund um die Familie Simon aus Schabbach gestrickt wurden. Der TV-Serie mit all ihren Gesichtern und starken Szenen ist ein Teil der Heimat-Ausstellung gewidmet. Eindrucksvoll die handgemalten Filmplakate der TV-Triologie. Fritz Schellack bestätigt, dass mit der Heimat-Reihe der Hunsrück insgesamt aufgewertet worden ist: „Ich kann mich gut entsinnen, dass in den 1980er Jahren doch viele gesagt haben, ich komme aus der Nähe von Frankfurt. Keiner hat sich getraut, den Hunsrück als Herkunftsort so zu nennen. Doch nachdem die Serie dann weltweit Anerkennung gewonnen hat, da hat man sich drauf bezogen: ich komme daher, wo die Heimat gedreht worden ist.“
Und natürlich kommen ungebrochen Fans und Neugierige aus aller Welt, um die Heimat einmal vor Ort zu suchen. Und es dürften auch wieder mehr werden, denn: 2013 ist der vierstündige Film Die andere Heimat in die Kinos gekommen. Deutschlandpremiere war natürlich in Simmern. Dabei wird das harte Leben vieler Hunsrücker und deren Auswanderung nach Brasilien Mitte des 19. Jahrhunderts thematisiert. Auch hier dreht sich alles um die Familie Simon, wir schreiben das Jahr 1840. Das Hunsrück-Museum spielt auch hier eine besondere Rolle, denn Die andere Heimat erzählt in Bildern aus einer Zeit, aus der es eigentlich keine Bilder gibt. Also fragte das Team um Edgar Reitz in Simmern an: Wie hat denn so ein Haus 1840 ausgesehen oder was hatten die Leute an oder wie ist eine Beerdigung abgelaufen? Fritz Schellack schildert ein Beispiel, wie die Spurensuche ablief: „In Simmern in der Kreisverwaltung gibt es das Regionalarchiv. Hier lagern Gesetzessammlungen, Intelligenzblätter, die Hunsrücker Zeitung, Einzelakten aus Ortschaften, Auswandererakten. In manchen Gesetzesblättern stehen zum Beispiel Suchmeldungen für Deserteure drin. Und die sind dort beschrieben, auch wie sie aussehen. Damit hatten wir einen Rückschluss auf die alltägliche Kleidung aus jener Zeit.”
Im Hunsrück-Museum wird nachvollziehbar, wie Ideen für Kleidung, Wohnräume, Alltagsgegenstände, Hausdächer, aber auch der Ablauf eines Begräbnisses zu jener Zeit gefunden und filmisch umgesetzt wurden. Nicht zuletzt, weil einige der im Film genutzten Requisiten nach Drehschluss dem Museum geschenkt worden sind. So die täuschend echten Grabkreuze aus Styropor, die in einer der ergreifendsten Szenen des Films zum Einsatz kommen, als die Beerdigung der vielen Kinder stattfindet. Film und Museum können so ein Thema aufgreifen, das im 19. Jahrhundert Alltag war und auch zur Auswandererthematik gehört.
„Die andere Heimat“ in Gehlweiler
Neben den Kulissen, Fotos, Filmausschnitten und Sammlerstücken aus der Filmgeschichte rund um den Kinofilm Die andere Heimat im Museum ist vor allem ein Besuch der Simon-Schmiede zu empfehlen. Sie war in allen Heimat-Filmen der zentrale Ort für die Familiengeschichte der Simons. So führt der Weg von Simmern Richtung Argenroth und Gmünden (dann L 421 Richtung Simmertal) ins rund 18 Kilometer entfernte Dorf Gehlweiler. Teile der Hauptstraße und angrenzende Bauernhäuser wurden mit aufwändigen Vor- und Überbauten ins 19. Jahrhundert zurückversetzt. Beratend war auch hier das Hunsrück-Museum aktiv. Und wie zahlreiche hochwertige Bildertafeln vor Ort zeigen, war die Verwandlung perfekt. Während der Dreharbeiten wohnten die Einheimischen aus Gehweiler einige Monate praktisch in der Kulisse, nach Drehschluss wurden dafür ihre Häuser auch neu gestrichen. Bereits im Hunsrück-Museum ist eine Großszene angedeutet, die vor Ort richtig nachvollziehbar wird: Die Beschneiung des Dorfes. Als eine der letzten Einstellungen des Drehs wurde das Dorf per Schneekanonen und Kunstschnee in den Winter versetzt. Das wirkt sehr realistisch, wobei die Aufnahmen im Sommer stattfanden. Auch die Straßen des Ortes sind nicht wieder zu erkennen, wurden sie für den Dreh doch überschüttet mit Sand und Erde. Und wo ist der Kirchturm, die kleine Kapelle? Es ist wirklich faszinierend. In Gehlweiler sollte man aber auch darauf achten, dass die Wohnhäuser in Privatbesitz sind, wobei die Einheimischen bestimmt auf höfliche Nachfrage auch mal Einblicke und Auskünfte anbieten.
„Café Heimat” in Morbach
Einen gemütlichen Abschluss findet die Spurensuche nach der Heimat in Morbach. Dort wurde der Filmemacher Edgar Reitz 1932 geboren. Hier wuchs er auf, in Simmern ging er aufs Gymnasium. Im ehemaligen Uhrmacherladen seines Vaters eröffnete 2013 das Café Heimat. Dazu wurde das schmale Stadthaus im Zentrum der Hunsrückgemeinde restauriert und zu einer Art Filmmuseum und Café umgebaut. Die Wände sind geschmackvoll behängt mit Fotos von Originalschauplätzen aus den Filmen, mit Filmszenen aus der TV-Serie. Im Obergeschoss gibt es außerdem Requisiten (Kleider, Louisidor, Drehorgel) aus der anderen Heimat, aber auch Drehbücher und ein „Selbstbedienungskino“ mit reichlich Filmmaterial und Radiostücken rund um Edgar Reitz. Auch hier wird klar: Reitz entwickelte sein Monumentalepos auch aus seiner eigenen Erfahrung heraus, aus dem Spannungsverhältnis zwischen Hierbleiben und Fortgehen. Und er dürfte wohl nachhaltig die Bilder im Kopf für viele Menschen geschaffen haben, für den Lauf großer Geschichte in der Provinz. Oder wie ein kluger Kritiker einmal schrieb: „Heimat übersetzt die große deutsche Geschichte in eine Dimension, in der sie der Größe entkleidet wird, nämlich die der kleinen Leute, die ihr Leben in Würde auch ohne Größe führen.” (Karsten Witte, Die Zeit).
Insgesamt ein schöner Ausklang bei Kaffee und Kuchen – Bücher, DVDs und nicht zuletzt auch den obligatorischen Kaffeebecher mit HEIMAT to go gibt es im Café Heimat.
Jochen Marmit
Kontakt:
Hunsrück-Museum Simmern
Schlossplatz 4
55469 Simmern
Tel.: (06761) 70 09
Fax: (06761) 90 80 44
E-Mail: info@hunsrueck-museum.de
www.hunsrueck-museum.de
Café Heimat (Morbach)
Biergasse 5
54497 Morbach
Tel.: (06533) 95 88 203
www.cafe-heimat-morbach.de
Öffnungszeiten:
Hunsrück-Museum
März bis Dezember Di. – Fr. 10.00 – 13.00 Uhr und 14.00 – 17.00 Uhr,
Sa./So. 14.00 – 17.00 Uhr
Café Heimat (Morbach)
täglich Sommer (ab März) 8.00 – 19.00 Uhr, Winter (ab September) 9.00 – 18.00 Uhr
Eintritt:
Hunsrück-Museum
Eintritt Erwachsene 2 Euro, Museumsführung 30 Euro
Anfahrt:
Von Saarbrücken aus A 1 Richtung Koblenz, Ausfahrt Hermeskeil Richtung Simmern auf Hunsrück-Höhenstraße (circa 130 km); in Simmern Zentrum, Schlossplatz (Parkplatz); etwas weiter ist die Anfahrt über die A 6/A 63/A 61 (circa 170 km), die aber genauso lange dauert. Empfehlung: Hinfahrt über A 61, Rückfahrt dann über Gehlweiler und Morbach.