Im Zeichen der Toleranz
Die Fresken in der Bonsaikirche und der gute Mann von Weiterswiller
Die Kirche von Weiterswiller ist zwar winzig, aber trotzdem beherbergt sie einen kunsthistorischen Schatz: wundervolle Fresken aus dem 15. Jahrhundert. Eine Reise dorthin lohnt sich allemal.
André Dorschner ist ein geduldiger Mann. Als ich viel zu spät zu unserem Interviewtermin in Weiterswiller ankomme, reagiert er gelassen. Während ich mich auf den kleinen Straßen zwischen Saverne und Bouxwiller verfahren habe, hat er für mich eine Kirchenbank vorgeheizt, damit mir während seines Vortrags über die Kirche nicht kalt wird. Dann holt er aus. Der Vorsitzende des Vereins der Freunde der historischen Kirche von Weiterswiller hat ein profundes Wissen.
Weiterswiller hat gefühlt etwa 100 Einwohner. Die Kirche sieht aus, als käme sie aus einer Bonsaizucht. Sie ist nur knapp 15 Meter lang und rund sieben Meter breit. Ein wuchtiger Turm erinnert daran, dass zuerst ein Wachturm hier gestanden hat, bevor um das Jahr 1100 eine Kirche gebaut wurde. Zuvor sei die Gemeinde zweimal missioniert worden, heißt es. Der Heilige Mattern soll hier um 700 eine christliche Gemeinde gegründet haben. Als er dreißig Jahre später wieder in den Ort gekommen sei, seien die Einwohner wieder Heiden gewesen, so dass er sie zum zweiten Mal bekehrt habe. So die Legende. Der historische Maternus lebte allerdings im vierten Jahrhundert. Da er aber den Ort zweimal missioniert haben soll, ist er auch zweimal an den Wänden der Kirche abgebildet.
Überhaupt diese Abbildungen, die Freskomalerei, das ist die große Überraschung hier. Das ist der eigentliche Schatz der Kirche von Weiterswiller. Die Fresken stammen aus dem frühen 15. Jahrhundert – eine Kostbarkeit, die man nie in so einer kleinen Gemeinde vermutet hätte. Bilder vom Jüngsten Gericht, von der Passion, aus dem Alten Testament. Heilige werden farbig dargestellt, grün zum Beispiel wie St. Urban, der Schutzpatron der Winzer, der mit einer Rebe gezeigt wird, oder St. Nikolaus. Sie dürfen in dieser Gegend nicht fehlen. Eine Person sticht besonders heraus. Oben unter der Decke ist ein Mann mit einem sogenannten Judenhut beim Predigen zu sehen.
Das ist sehr ungewöhnlich. Denn die Wandmalereien wurden von Bischof Hans von Fleckenstein in Auftrag gegeben. Und in der christlichen Tradition des Mittelalters wurden Juden meist nur als Mörder oder Peiniger Christi abgebildet. Dieses Fresko hingegen scheint eher der Ausdruck religiöser Toleranz zu sein.
Die Konfessionen wechselten in Weiterswiller. 1546 wurden die Herren von Fleckenstein protestantisch und damit auch ihre Untertanen. Die Kirche wurde verputzt, und nur noch karge Bibelsprüche waren als Verzierung zugelassen. Das war für die Fresken die Rettung. Gut geschützt unter weißem Verputz gerieten sie in Vergessenheit, bis sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei einer Renovierung der Kirche zufällig wieder entdeckt wurden. Nicht alles aus dieser Zeit hat die Feuchtigkeit und verschiedene Umbaumaßnahmen spurlos überstanden. Da wurde die Decke im Chor abgesenkt, sodass sie mitten durch die schönen Bildnisse schnitt, da wurden Fenster vergrößert. Aber, was erhalten ist, lohnt den Besuch allemal. Die Farben leuchten nach der Restaurierung wieder in satten Tönen von Braun bis Gelb, Grün und Rot. Die Themen sind mit vielen Details ausgeschmückt. Die Qualen des Jüngsten Gerichts werden ebenso anschaulich wie die Speisen des Abendmahls.
Das alles lebt, wenn André Dorschner diese Bilder erklärt. Fachkundig stellt er sie in einen großen historischen Zusammenhang. Von der Toleranz gegenüber Juden kommt er zum Simultaneum 1727 bis 1872, der Zeit, als die Kirche von Katholiken und Protestanten gemeinsam genutzte wurde. Toleranz scheint auch für ihn ein wichtiges Thema zu sein. Er engagiert sich im Verein zum Erhalt der evangelischen wie in dem für die katholische Kirche und hofft, dass beide einmal zusammenwachsen. Schließlich hat Dorschner als Mitglied einer Minderheit selbst erlebt, was es heißt, ausgegrenzt zu werden. Als er als Kind mit seiner Familie nach Weiterswiller kam, lebten sie gemeinsam in einem einzigen Raum. Er durfte kein anderes Haus betreten, Misstrauen schlug ihm entgegen. Heute engagiert sich Dorschner nicht nur in den Kulturvereinen für den Ort. Er schafft auch Skulpturen aus Holz und Stein und veranstaltet Workshops mit Behinderten. Gelebte Toleranz wie sie die Kirche von Weiterswiller symbolisiert.
Stefan Miller
Kontakt:
André Dorschner
Association des Amis de l’Eglise Historique de Weiterswiller
1, rue des Etoiles
F-67340 Weiterswiller
Tel.: (00333) 88 89 27 45
oder telefonisch bei Herrn Fernbach
Tel.: (00333) 88 89 52 34
Eintritt:
Der Eintritt ist frei (für die Führung nimmt der Verein freiwillige Spenden zum Erhalt der Kirche entgegen).
Öffnungszeiten:
1. Mai – 30. Sept. an Sonn- und Feiertagen:
14.00 – 18.00 Uhr, sonst nach Vereinbarung das ganze Jahr für Besucher geöffnet.
Anfahrt:
Von Saarbrücken über Saargemünd auf die A 4 bis Abfahrt Sarre Union. Dort über Drulingen, La Petite Pierre nach Weiterswiller (73 Kilometer, Dauer etwas über eine Stunde).