Radfahren bis zum Parlament nach Straßburg
Nur wenige Radfahrer kennen die Strecke bisher - an einem idyllischen Seitenkanal des Rhein Marne-Kanals haben der Bürgermeister von Arzviller und ein Amtskollege den "Treidelpfad" freilegen lassen, den man nun bis Straßburg befahren und bewandern kann.
18 kleine Häuschen stehen am Wasser. Aufgereiht wie an einer Perlenschnur. Mal liegen 50 Meter dazwischen, mal 200. Ein Schuppen daneben, ein Gemüsegarten, auf der einen Wiese weidet eine Ziege, auf der anderen laufen Hühner. Eine Lokomotive keucht heran. Im Schlepptau ein Boot. Aus einem der Häuschen kommt ein Mann gelaufen. Er kurbelt an einem Gestänge. Wasser sprudelt in ein Becken. Das Boot steigt langsam höher. „Brauchst du Weißkohl?“, ruft eine Frau von der Reling. „Ja“, ruft der Mann zurück. „Wie viel bekomme ich für zwei Pfund Kartoffeln?“
So oder so ähnlich muss das vor mehr als 100 Jahren an der Schleusentreppe von Arzviller gewesen sein. Einen ganzen Tag lang brauchten die Transportschiffe, um durch alle 18 Schleusen gehoben oder gesenkt zu werden. Mit den Schleusenwärtern wurde reger Tauschhandel getrieben. Als der Rhein-Marne-Kanal zwischen 1839 und 1853 gebaut wurde, zogen noch Pferde die schweren Schiffe, später dann Lokomotiven. Auf einer Strecke von vier Kilometern mussten 45 Höhenmeter überwunden werden. An Schleuse Nr. 1 sind heute noch die Gleise zu sehen.
Eine vergessene Idylle
Die Zeitläufte wurden aber schnelllebiger. Das ganze Heben und Senken dauerte irgendwann doch zu lange, und findige Ingenieure bauten das nicht nur in Frankreich einzigartige Schiffshebewerk nur ein paar hundert Meter weit weg. Dort werden heutzutage mehr als 8.000 Schiffe jährlich befördert. Die Treppe aus 18 Schleusen wurde aufgegeben. Die dazugehörigen Wärterhäuschen verfielen. Die Gärten wucherten zu, das Wasser in den „Schließen“, wie man in Arzviller sagt, versumpfte.
Wären nicht der Bürgermeister von Arzviller und sein Amtskollege vom Gemeindeverband gewesen, hätte sich bald niemand mehr an das idyllische Seitental des Rhein-Marne-Kanals erinnert. Doch die beiden organisierten Rodungs- und Renovierungsarbeiten. Die Häuschen werden heute zum Teil wieder von Privatleuten bewohnt, und der Treidelpfad ist zu einem Radweg geworden, den man „bis zum Parlament in Straßburg befahren kann, ohne ihn ein einziges Mal zu verlassen“, wie Michel Carabin und Jean Grosse voller Stolz betonen.
In Schleuse Nr. 1 ist ein Café eingezogen, Schleuse Nr. 4 ist zu einer Pension, einem Gîte, für Fischer und Angler geworden. Bis auf ein einziges Häuschen konnten alle gerettet werden. Beim Gemeindeverband wird darüber nachgedacht, weitere touristische Attraktionen zu schaffen. Wurde hier doch der rosa Sandstein abgebaut, um Herrschaftshäuser in Nancy, Saverne und Straßburg zu bauen. „Sogar für die Kathedrale“, nickt Carabin. Da gibt es immer noch einiges zu sehen. Er und Grosse haben ein Gespür dafür entwickelt, was die Ausflügler heute suchen: unberührte Natur, „aber sauber aufgeräumt“. So wurde aus einem der aufgelassenen Schleusenbecken ein Biotop, in dem anderen werden Forellen gezüchtet. Einer der ehemaligen Schuppen wurde umfunktioniert zu einer Hütte, wo die Ausflügler ihr casse-croûte, ihre Brotzeit, auspacken können.
Ein Wanderpfad ist geplant
Auf dem alten Treidelpfad tummeln sich derweil Wanderer und Radfahrer aus der ganzen Großregion, aber das soll nicht so bleiben: Grosse und Carabin wollen auch die Ufer des Bächleins roden lassen, das sich weit unterhalb des Pfades durch das dschungelartige Grün schlängelt. Dort soll ein Wanderpfad entstehen, während die Radfahrer sich weiter oben verausgaben können.
Eines ist aber für Einwohner wie Touristen verboten: den Tunnel zu nutzen, der Richtung Arzviller führt. Das dürfen nur Schiffe und Bahnen. Die Schleusentreppe wurde vor 180 Jahren parallel zur Eisenbahnstrecke Paris-Straßburg gebaut. Die Schiffe damals komplett über den Berg zu heben, hätte noch viel mehr Schleusen erfordert, was nicht mehr wirtschaftlich gewesen wäre. So verlegte man sich denn auf einen Tunnel: Sowohl die Wasserstraße als auch die Eisenbahnstrecke führen seitdem durch den Berg hindurch und kommen zwei Kilometer weiter auf der – falschen! – Tunnelseite wieder raus. Irgendwo da innen drin haben sich ihre Wege gekreuzt ...
Zum Teil liegen 70 Meter Felsen über dem Tunnel. Da die Schiffe ab den 1930er Jahren motorisiert über den Kanal und auch durch den Tunnel fuhren, produzierten sie, wie die Eisenbahn, jede Menge Abgase. Dafür wurden tiefe Schächte als Kamine in den Felsen gehauen, die heute noch entlang des Radwegs zu sehen sind.
Wem ein casse-croûte in der Hütte oder ein Croque Monsieur in Schleuse Nr. 1 nicht reichen, der kann sich bei den Bürgermeistern nach Restaurants erkundigen: Sie kennen Geheimtipps für Motorradfahrer und auch eine Gastwirtschaft, wo es die frischesten Forellen weit und breit gibt.
Lisa Huth
Kontakt:
Office de Tourisme de Phalsbourg
30, place d’armes
F-57370 Phalsbourg
Tel.:(00333) 87 24 42 42
Fax: (00333) 87 24 42 87
E-Mail: tourisme@phalsbourg.com
www.phalsbourg.com
oder:
Mairie von Arzviller
1, rue de la Mairie
F-57405 Arzviller
Tel.: (00333) 87 07 91 01
Fax: (00333) 87 07 91 01
Öffnungszeiten:
Ganzjährig
Eintritt:
Der Eintritt ist frei
Tipp:
Tour de Kultur-Leser erfahren die Geheimtipps natürlich hier:
Die Forellen gibt’s bei „Fréderique“ in der
Auberge du Camping
rue du Vieille Cité
F-57820 Henridorf
Tel.: (00333) 87 25 48 66
und die Motorradfahrer laben sich bei:
Cristal Lehrer
1, rue du Plan Incliné
F-57820 Garrebourg
Tel.: (00333) 87 07 45 96)
Anfahrt:
Von Saarbrücken aus auf die Autobahn A 4/E 25 Richtung Straßburg, bei der Ausfahrt 44 Richtung Phalsbourg Sarrebourg fahren. Die N 4 bis zur D 46 Richtung Lisheim, Saint-Louis. Nach wenigen hundert Metern rechts auf die D 46E abbiegen, nach einem weiteren halben Kilometer links abbiegen auf die D 97. Nach vier weiteren Kilometern ist Arzviller erreicht.