Wie kommt ein Hitler-Bild in die Kirche?

Ein starkes Bild. Rahel, eine junge Frau im wehenden, blauen Kleid räumt die Götzenbilder ab. Unter dem linken Arm trägt sie die Büste des Diktators: Hitler. Mit dem rechten Arm greift sie einen anderen Götzen, der grad noch auf dem Sockel steht. So zu sehen in einem Kirchenfensterzyklus in der kleinen Kirche im lothringischen Vasperviller, einem 300-Seelen-Dorf südlich von Sarrebourg.

Sind Sie Hitler schon mal in der Kirche begegnet? Für mich war’s das erste Mal. Hitlerbilder in Kirchen hat es in der NS-Zeit häufig gegeben. Doch die meisten wurden nach 1945 vernichtet.

Wie viele Hitlerbilder es heute immer noch in Kirchen gibt, das recherchierte der Historiker Michael Kuderna und wurde in 16 Kirchen fündig. 13 davon stehen in Deutschland, in denen Kuderna 14 Hitler-Bildnisse begutachtete, da in der Kirche im baden-württembergischen Weil in St. Peter und Paul gleich zwei zu sehen sind. Eins von vor 1945, das Hitler als Versucher in der Wüste zeigt und ein mutiges Statement gegen den Nationalsozialismus war und ist - und das neueste Hitlerbild. Das findet sich auf einem Altarflügel: Ein winziger Hitlerkopf in der Narrenschar, der Menge derer, die den Christus verspotten. In Österreich fand Kuderna zwei Hitler-Bilder in Kirchen und eines hier in Frankreich, eben in Vasperviller.

Ein besonderer Blick auf die Frauen der Bibel

Erbaut hat die Kirche Sainte Thérèse in Vasperviller der deutsch-französische Architekt Karl Litzenburger (1912-1997). Schon von Weitem ist sie wegen ihres wuchtigen Beton-Kirchturms sichtbar. 1968 wurde sie eingeweiht.

Litzenburger engagierte Gabriele Kütemeyer, um die Glasfenster zu gestalten. Der gesamte Zyklus besteht aus 17 Fenstern und illustriert den Stammbaum Christi. Immer mit besonderem Blick auf die Frauen in den biblischen Geschichten.

Rahel und die Götzenbilder

In dem beschriebenen blauschimmernden Fensterbild begegnen wir also der mutigen, jungen Rahel, die die Götzenbilder ihres Vaters Laban stiehlt. So steht es im Alten Testament, im ersten Buch Mose. Jakob will mit seinen Frauen aus der Fremde, aus dem Haus des Schwiegervaters, in die Heimat Kanaan zurückziehen.

Als alles eingepackt wird, nimmt Rahel auch die Hausgötzen ihres Vaters mit. Sie will die „Machtlosigkeit der Götzenbilder vorführen“, sagt Michael Kuderna.

Als der Vater die Karawane einholt und die Götzenbilder zurückfordert, darf er die Karawane und alle Kameltaschen durchsuchen. Doch Rahel bleibt auf ihrem Kamel sitzen, mit dem Argument, sie habe gerade ihre Tage. So bleiben die Götzenbilder in den Satteltaschen ihres Kamels unentdeckt. Rahel schert sich also wenig um väterliche Gebote und Ansichten und riskiert viel, um die heidnischen Götter abzuräumen.

Falsches Idol, ein Götze eben

Michael Kuderna sagt: „Das ist schon eine besondere Überlegung, Hitler als ein falsches Idol, als ein Götze darzustellen. Die Künstlerin kam darauf, weil in ihrem Elternhaus, der Vater war Philosoph und Arzt, öfter darüber gesprochen wurde, die Deutschen seien einem falschen Götzen nachgelaufen.“ Gabriele Kütemeyer empfand Rahels Diebstahl als „herzhaft-heroischen Akt“, so sagte sie es Michael Kuderna in einem Telefonat.

Ste Thérèse - das Lebenswerk von Litzenburger

Wer die Fensterbilder eingehend betrachtet hat, dreht sich um und lässt dann den Kirchenraum auf sich wirken. Leicht abschüssig, geschwungene Wände, Schieferplatten auf dem Fußboden.

Der Architekt Karl Litzenburger war ein Grenzgänger: In Ludwigshafen geboren, wuchs er katholisch auf, musste als Soldat in den Krieg, lebte dann mit seiner Frau in der Nähe von Metz. Den Bau dieser kleinen Kirche in Vasperviller setzte er mit aller Kraft durch. Sie ist sein Lebenswerk.

Weder neogotisch, noch neoromanisch

Es war nicht einfach, in einer so kleinen ländlichen Gemeinde so eine besondere Kirche zu errichten. Sie ist weder neogotisch, noch neoromanisch. Man sitzt in ihr nicht auf Kirchenbänken, sondern auf Stühlen. Es gibt keine Kanzel und nur einen sehr schlichten Holz-Altar, der sich leicht wegrücken lässt, wenn mal zum Beispiel Jazz-Konzerte hier stattfinden.

„Generell hat Litzenburger die Auffassung vertreten, auch so eine Kirche soll ein Organismus sein“, erklärt Michael Kuderna, „aber weder exaltiert, noch symmetrisch, sondern eine kontrollierte Asymmetrie wollte er bauen und das ist ihm auch gut gelungen.“

Das Herz´- eine Kapelle für die Märtyrer

Das Herz des Baus ist eine Kapelle, die den Märtyrern des Krieges gewidmet ist. Wir gehen durch die Kirche hindurch, gelangen in einen kleinen Vorraum, stehen dann in einem zwölf Meter hohen Turm. Rotes Licht fällt auf uns, durch die Glasfenster.

„Die Idee dahinter war: Litzenburger wollte eine Kapelle schaffen, die an die Leiden moderner Märtyrer erinnert, diese Kapelle sollte aber nicht ausgesondert im klassischen Sinne sein, also nicht abgetrennt von der Kirche, sondern in einem Gebäude mit der Kirche sein, aber doch gleichzeitig einen ganz anderen Charakter haben“, so Michael Kuderna.

Eine magische Atmosphäre

In dieser Kapelle hält man unwillkürlich den Atem an, so magisch ist die Atmosphäre. Dann fällt der Blick auf das ökumenische Mahnmal: Es ist drei Märtyrern aus der Region gewidmet. Einem Katholiken, einem Mennoniten (Anhänger einer evangelischen Freikirche) und einem Juden. Dem Mahnmal gegenüber: Eine alte Holzfigur der Heiligen Thérèse, die noch aus der Kapelle stammt, die hier stand, bevor die heutige Kirche erbaut wurde. Wenn man über der Heiligen die Wand hochschaut, entdeckt man weit oben links einen kleinen Davidstern in einem Fenster.

Und an der Außenwand - ein Hinweis auf die Opfer des Nationalsozialismus

Wieder draußen – lohnt es sich, einmal um die Kirche herum zu gehen. Nicht nur wegen des Blicks in die Hügel des umliegenden, lieblichen Lothringen, sondern auch, weil hinter der Kirche, an der Außenwand der Kapelle ein Stacheldraht auf das Martyrium der Opfer des Nationalsozialismus hinweist. Nichts hat Karl Litzenburger dem Zufall überlassen.

Ein Gesamtkunstwerk mit Kapelle

Die Fahrt nach Vasperviller lohnt sich unbedingt. Die Begegnung mit Hitler in einer Kirche ist ein skurriles Erlebnis, in einem Fensterzyklus mit dem Titel Stammbaum Christi zumal. Aber das eigentlich Spannende ist das Entdecken dieser Kirche Sainte Thérèse als Gesamtkunstwerk mit Kapelle. Eine Entdeckung mit rot-schimmerndem Tiefgang.

Anke Schaefer

Auf einen Blick

Kontakt
Eglise Sainte Thérèse
Rue de l’Eglise
F-57560 Vasperviller
Tel.: (0033 7) 86 08 40 11
E-Mail: fr.barbaras@gmail.com
www.tourisme-sarrebourg.fr

Öffnungszeiten
Die Kirche ist sonntags geöffnet.

Eintritt
Der Eintritt ist frei. Die Kirche freut sich über eine kleine Spende.

Tipp
Lesenswert ist Michael Kuderna‘s Buch „Grenzüberschreitungen – Ein deutsch-französischer Architekt, sein Meisterwerk und Hitler-Bilder in Kirchen“, erschienen im Geistkirch-Verlag. Hier hat er alle seine Recherchen zu Vasperviller und auch zu den anderen Hitlerbildern in Kirchen veröffentlicht.

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