Tour de Kultur 2024: Die Kirchenfenster von Marianne Aatz

Wenn der Kreis sich schließt

Die Kirchenfenster von Marianne Aatz

Anke Schaefer  

Treffpunkt vor der Kirche St. Maria an einem Sonntag in Alschbach, nahe Blieskastel. Marianne Aatz hat als junge Künstlerin ihr Geld mit der Gestaltung von Kirchenfenstern verdient und hier 1954/55 ein Gesamtkunstwerk geschaffen. 31 Fenster.

Im Frühjahr 2024 hatte sich SR-Reporterin Anke Schäfer für diese Beitrag getroffen. Am 06. Juli 2024 ist Marianne Aatz im Alter von 95 Jahren verstorben.

In St. Maria in Alschbach wird nur noch selten Gottesdienst gefeiert. Daher wäre diese katholische Dorfkirche geschlossen, hätten die Kinder von Marianne Aatz nicht dafür gesorgt, dass sie für uns an diesem Morgen im Juli aufgesperrt wird. Wir steigen die Stufen hoch. Wir betreten die Kirche, setzen uns.

Sonne scheint durch die Fenster auf der Südseite: Rot, gelb und grün fällt das Licht auf die leeren Kirchenbänke. Marianne Aatz zeigt nach oben links. Vor fast 70 Jahren hat sie dieses Gesamtkunstwerk geschaffen. Glasmalerei, die das Leben Jesu von der Geburt bis zum Tod, bis zum letzten Gericht erzählt. Sie macht uns auf die Linie aufmerksam, die sich durch die drei großen Fenstereinheiten auf der Südseite zieht: „Da ist immer eine Linie, die die Verbindung schafft, von einem Fenster zum anderen, damit das nicht unterbrochen ist. Erst sieht das ein bisschen zufällig aus, dann formiert es sich und dann ist ein Kreis, der sich dann schließt, am Schluss.”

Viele Kirchen werden gebaut - viel Arbeit für Glaskünstler

Als Marianne Aatz Mitte 20 ist, werden viele Kirchen gebaut im Nachkriegs-Saarland. Unter französischer Ägide werden die Künste geschätzt, die Regierung Hoffmann will den christlichen Glauben fördern, neue Wege sollen im Kirchenbau eingeschlagen werden. Es gibt viel Arbeit für Glaskünstler.

Marianne Aatz macht bei Boris Kleint an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk Saarbrücken ihren Abschluss. Es gibt ein schwarz-weiß Abschlussfoto der Malereiklasse aus dem Jahr 1949: Marianne Aatz sitzt im karierten Hemd in der vordersten Reihe. Sie ist die einzige Frau zwischen elf Männern.

Als Frau in einer Männerdomäne

Auch der saarländische Künstler Ferdinand Selgrad macht bei Boris Kleint seinen Abschluss. Anfangs arbeitet sie in Sachen Glasfenster mit ihm zusammen, dann nicht mehr: „Nach der ersten Kirche habe ich mich von meinem Kollegen getrennt, weil er mich keinen Entwurf machen ließ und sagte, ich sei seine Angestellte. Da war ich zu stolz. Da habe ich mich selbständig gemacht und in dem Haus, in dem wir wohnten, habe ich mir ein Atelier bauen lassen. Und dort habe ich alles gemacht, die Glasfenster habe ich eingebaut, von A bis Z.“

Symbolträchtige Fenster

An der Tür dieses Ateliers in Neunkirchen steht: „Marianne Klein – Malerin – Atelier für Kirchenfenster und Malerei“. Wenn ein Glasfenster fertig ist, packt sie es in ihre Ente und fährt aus Neunkirchen zum Beispiel hier her, nach Alschbach, um das Fenster einzubauen. Wir gucken wieder nach oben: Immer und immer wieder sehen wir das Kreuz. Marianne Aatz erklärt: „Das Kreuz steht für Jesus und beim letzten Abendmahl, da sitzen die am Tisch“, sie hebt die Hand, zeigt auf die Fenster, „Elf Jünger und die Schlange. Das ist das Symbol für Judas.“

Eine besondere Harmonie und Formsprache

Kirchenfenster von Marianne Aatz (Foto: SR/Anke Schaefer)

Sprung an die Universität des Saarlandes. Hier lehrt Bernhard Wehlen Kunstgeschichte, auch Architekturgeschichte. Wir treffen uns in seinem Büro auf dem Campus. Er schlägt ein Buch auf, in dem auch die Fenster in Alschbach abgebildet sind. Geschrieben hat es Oranna Dimmig, Titel Marianne Aatz Glasmalerei 1951 – 2017.

Wehlen kennt die Kirche in Alschbach. „Diese Fenster waren für mich eine Offenbarung“, schwärmt er, „etwas ganz, ganz Besonderes. Mit diesem Raum zusammen wirkt das ganz harmonisch, es ist eine tolle, einzigartige Stimmung, die sich da entwickelt.“

Wenn er die Formen der biblischen Tiere, die Menschen, Symbole und die Szenen der Marianne Aatz insgesamt betrachtet, beeindruckt ihn die ganz eigene Formensprache. Und: „Das sind so kleine Fensterchen, die erst so ein bisschen pittoresk wirken, aber die schließen sich dann zu größeren Kompositionen zusammen. Das kenne ich so nur von Alschbach.“

Christliche Symboliken

Sprung zurück in die Kirche. Wir drehen die Köpfe und gucken jetzt auf die Fenster auf der Nordseite. Sie sind in dunklem Blau gehalten. „In der Mitte ist der Christkönig, der steht auf der Erdkugel“, erklärt uns Marianne Aatz. Rechts und links von Christus hat die Künstlerin je zwei Evangelisten platziert, jeweils mit den ihnen zugeordneten Symbolen. Links Matthäus mit dem Engel, Markus mit dem Löwen und rechts von Christus, Lukas mit dem Stier und Johannes mit dem Adler.

Hochzeit unter eigenen Fenstern

Man spürt, dass sich Marianne Aatz in dieser Kirche wohl fühlt. Es mag auch daran liegen, dass sie hier getraut wurde. 1957 hat sie hier ihren Mann geheiratet, den Betriebswirt Klaus Aatz.

Drei Jahre später gestaltet sie die Fenster in Lautzkirchen, auch in der Nähe von Blieskastel. Wir verlassen Alschbach, um also in die Katholische Pfarrkirche St. Mauritius in Lautzkirchen zu fahren. 1960 wurde sie geweiht. Im Auto erzählt Marianne Aatz‘ jüngste Tochter Julia, unter welchen Um­ständen die Fenster dort entstanden sind: „So wie es mir erzählt wurde, war sie da mit meiner ältesten Schwester schwanger, sie hat in der Kirche auf dem Boden kniend die Schablonen noch geschnitten und alles koordiniert, damit das auch perfekt wird, wie sie sich das vorgestellt hat.“ Sechs Kinder hat Marianne Aatz, trotzdem ist sie der Kunst immer treu geblieben.

Lichterlebnis in Blau

Kirchenfenster von Marianne Aatz (Foto: Anke Schaefer)

Wir betreten die Kirche in Lautzkirchen. Wir halten den Atem an. Im Vergleich zu Alschbach ist dies ein komplett anderes Lichterlebnis. Vor allem blaues Licht ergießt sich über uns. Eine ganze Wand besteht hier aus kleinen Glasquadern, die Marianne Aatz wie in einem Mosaik in blau, lila und rot so angeordnet hat, dass sie ein Kreuz ergeben. Das sehe ich aber erst auf den zweiten Blick. Es ist ein Kreuz in Bewegung, eines, das sich zusammenzusetzen scheint, gleichzeitig aber auseinanderfällt.

Marianne Aatz erinnert sich, wie sie jedes einzelne Steinchen nummerierte, damit die Firma, die das Fenster ausführte, auch ja keinen Fehler machte. „Und so sind die Blautöne sehr vielfältig und die roten auch“, freut sie sich.

Warum hat sie dieses Kreuz so gestaltet, dass es einerseits da zu sein und andererseits zu zerfallen scheint? Sie guckt mich an, überlegt eine Weile und fragt dann: „Warum?“ Ich nicke. „Ja“, sagt sie und holt Luft, „das ist meine Angst vor dem letzten Gericht. Wenn alles kaputtgeht, geht auch das Kreuz kaputt.“ Aber dieses Kreuz ist ja nicht kaputt, protestiere ich, es strahlt doch Lebendigkeit und Licht aus! Marianne Aatz lacht. „Ja, natürlich, das ist bei mir immer so!“

Abstraktes Spiel mit Farbe und Licht

In Lautzkirchen gibt es keine Figuren mehr, keine Symbole, nur noch dieses abstrakte Spiel mit Farbe und Licht. Marianne Aatz guckt sich um. „Ich hatte sie immer für Gott gemacht, die Fenster“, sagt sie leise, „das war für mich eine Verbindung zu Gott. So sind sie auch entsprechend gut geworden. Scheint’s hat er mir geholfen...“. Sie schmunzelt.

Von Angst und Hoffnung

Aus heutiger Sicht sind die 1950er, 1960er Jahre eine gute Zeit für Marianne Aatz gewesen. Sie, eine von so wenigen Frauen in der saarländischen Kunstszene, hat gut zu tun. Aber manchen Auftrag bekommt sie damals auch nicht. Einmal lautet das Argument, sie sei zu reich. Sie habe ja den Mann, der verdient gut, da brauche sie ja das Geld nicht.

Ein Bild der Malerin Marianne Aatz. (Foto: SR)

Irgendwann gestaltet sie keine Fenster mehr, konzentriert sich wieder ganz auf das Malen. Lange Jahre muss sie später auch pausieren, leidet unter depressiven Gedanken. Viele ihrer Figuren haben tief-schwarze Augen, etwas Unausweichliches legt sie ihnen in den Blick. Das mag auch mit dieser großen Angst zu tun haben. Sie fürchtet sich vor dem letzten Gericht, vor einer großen Katastrophe, die uns alle bedrohen könnte.

Damit hat auch ihr letztes Bild zu tun. 2018 malte sie es. Es ist ein Bild von einem Haus mit vielen Ecken und Winkeln, hell, in Pastelltönen gehalten. Wir sprechen von dem Kreis, der sich in Alschbach in den Kirchenfenstern schließt und von diesem letzten Bild, als wir – Marianne Aatz, ihre Tochter, Enkelin und ich – in Lautzkirchen in den Kirchenbänken sitzen.

Wir sind nicht traurig, dass das Bild vom Haus das letzte ist. Es ist ein sehr lichtes Bild. Marianne Aatz sagt: „Ich habe so gedacht, am Ende geht alles, was so lebt, in ein Haus, das hat nur eine Tür und da sind alle sicher.“ Fast wie eine Arche. Tochter Julia sagt: „Das ist doch ein Hoffnungsthema!“ Marianne Aatz nickt. Im blau-roten Sonnenlicht, das durch ihre Fenster fällt, schöpfen wir Hoffnung. Am Ende wird sich der Kreis für uns alle schließen.

Anke Schaefer


Auf einen Blick


Kontakt
Pfarrbüro Heilige Familie Blieskastel
Pfarrer-Peter-Straße 1
66440 Blieskastel
Tel.: (06842) 46 28
E-Mail: pfarramt.blk.heilige-familie@bistum-speyer.de

Katholische Filialkirche St. Maria Alschbach (ist Filialkirche von St. Mauritius in Lautzkirchen)
An der Kirche
66440 Blieskastel-Alschbach

Katholische Pfarrkirche St. Mauritius Lautzkirchen
Auf der Schanz
66440 Blieskastel-Lautzkirchen

Öffnungszeiten
Beide Kirchen sind nur zu den Gottesdienstzeiten geöffnet. Da aber in St. Maria in Alschbach leider nur noch sehr selten Gottesdienst gefeiert wird, muss man hier auf jeden Fall einen Termin im Pfarrbüro ausmachen, um reinzukommen.

Eintritt
Der Eintritt ist frei. Die Kirchen freuen sich über eine kleine Spende.

Buchempfehlung:
Oranna Dimmig, „Marianne Aatz Glasmalerei 1951 – 2017“


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Ein Thema in der Sendung "Region am Mittag" am 12.08.2024 auf SR 3 Saarlandwelle

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