Villen, Wald und Stadtgeschichte

Treffpunkt ist dort, wo alles anfing: auf dem Alten Friedhof, dem Friedhof St. Johann. Am Eingang dieses kleinen Parks mitten in Saarbrücken wartet der Gästeführer Markus Philipp, Schirmmütze auf dem Kopf, Mappe unterm Arm. Diese Mappe hat es in sich: Sie enthält historische Fotos, die er immer wieder auspacken wird. Um zu zeigen, wie der Stadtteil Rotenbühl entstanden ist, was davon erhalten ist und was sich verändert hat.

Ende des 19. Jahrhunderts brauchte St. Johann einen neuen Friedhof. Gegründet wurde er jenseits der Bahnlinie auf der grünen Wiese für eine Stadt im Aufbruch. Die Bevölkerung wuchs, die wirtschaftliche Industrialisierung war im Gange und ein reiches Bürgertum entstand. Die Grabstätten? Repräsentativ, raumgreifend, stilvoll.

Das Grab der Unternehmerfamilie Bruch

Markus Philipp macht Halt am Grab der Unternehmerfamilie Bruch. „Es ist das bedeutendste Grab im Wiener Jugendstil im Südwesten. Erkennbar an Flammenvasen und in Stein gehauenen Bändeln“, berichtet er. „Andere haben ihre Gräber in Jugendstil oder Neoklassizismus gestaltet.“

Bis 1917 wurde der Friedhof genutzt, danach hat er sich weiter verändert, denn der Zweite Weltkrieg hat ihn gezeichnet. Es gibt Basaltsteine mit Einschusslöchern, Zerstörungen an Grabsteinen, auf die Stadtteilführer Markus Philipp uns hinweist. „In der Nähe stand eine Flak im Zweiten Weltkrieg. Daran wollte man erinnern und hat die Schäden nicht behoben.“

Das Ehrengrabmal für Willi Graf wurde im Jahr 1946 aufgestellt, um an den Widerstandskämpfer aus Saarbrücken zu erinnern.

Eine Brauerei und ein Gymnasium

Weiter geht es durch den Stadtteil Rotenbühl. Die Bruch-Brauerei, nur ein Steinwurf vom Friedhof entfernt, war mit Biergarten und kühlen Getränken ein erstes Ausflugsziel für die Saarbrücker in dieser Gegend gewesen. Weiter oberhalb steht das Rotenbühl-Gymnasium, eine seit 1832 bestehende Institution, die 1964 in ein neues Gebäude zog.

Ein nobles Viertel mit viel Platz

Markus Philipp führt uns über Fußwege zwischen den Häusern zum Ilseplatz, der mit Geschäften und Arztpraxen das Zentrum des Stadtteils ist. Heute ist der Stadtteil begehrt und dicht bebaut.

Um 1900 gab es in erster Linie eines: viel Platz für Neubauten von aufstrebenden Unternehmerfamilien. Neun große Villen, umgeben von Parks, mit Kutscherhäusern und Platz für Dienstboten sind in dieser Zeit entstanden. Markus Philipp kann Luftaufnahmen aus dieser Zeit zeigen. Es gab Wiesen und Felder und große Herrschaftshäuser.

Groß und prachtvoll war auch die Villa Bruch – die gibt es nur noch auf dem Foto, das Markus Philipp bei der Führung vorzeigen kann. Das Gebäude wurde in den 1960er Jahren abgerissen.

Die Geschichte der Villa Hirsch

Erhalten geblieben ist dagegen die Villa Hirsch, Ecke Ilsestraße/ Scheidter Straße steht sie etwas erhöht über den Straßen. „Erbaut in kristallinem Expressionismus“, erklärt Markus Philipp. „Dreiecksgiebel auf dem Dach, edelsteinförmige Nieten am Eingangstor stehen für diesen Baustil, der typisch für den Rotenbühl der 1920er und 30er Jahre ist.“

Die Villa wurde nach ihrem Besitzer, dem jüdischen Metallhändler Karl David Hirsch benannt, der in Auschwitz ermordet wurde. Die Villa wurde von den Nazis verstaatlicht. Dass es nach dem Krieg so blieb, dagegen wehrte sich die Witwe von Karl David Hirsch und zog vor Gericht. Vergeblich – und darüber staunt man aus heutiger Sicht. Wäre das heute noch möglich, so fragt man sich?

Die Villa Hirsch wurde dann der erste Amtssitz von Johannes Hoffmann, dem ersten Ministerpräsidenten des Saarlandes. Später zogen das Finanzministerium, dann das Landesarchiv ein. Die Idee, dass das Gebäude zu Unrecht verstaatlicht wurde, kam offenbar niemand.

Vor 20 Jahren wurde die Villa Hirsch verkauft, privatisiert und saniert. Auf dem Gelände stehen inzwischen drei weitere Gebäude. Die Pfeiler und das Eingangstor blieben erhalten. Für Markus Philipp ein Beispiel für eine vorbildliche Sanierung. Und das fasziniert unseren Gästeführer: Die Stadt im Wandel und die Spuren der Vergangenheit.

Vieles hat sich verändert, manches ist geblieben

Auf der Kreuzung Scheidter Straße und Kaiserslauterer Straße steht eine Litfaßsäule, die man schon auf den historischen Fotos aus den 1930er Jahren entdecken kann. Auch die Fassaden der Häuser sind fast unverändert. „An mancher Stelle kann man gut erkennen, dass manche Dinge beständig sind, und andere im Wandel, dieses Spannungsfeld zwischen Wandel und Bestand, das macht den Rotenbühl aus“, so Markus Philipp.

Und so wird der Rundgang zur Entdeckungsreise. Markus Philipp öffnet den Blick für Neues und Altes: In der Scheidter Straße konnte man früher mit der Straßenbahn fahren. Die Straßenbahnschienen liegen noch unter dem Asphalt.

Die Villa Herwig

Weil er den Hausbesitzer kennt, führt sein Rundgang auch über ein Privatgelände zur ehemaligen Villa Herwig, die einem ehemaligen Major und Reichstagsabgeordneten gehörte. Spannendes zu erzählen gibt es auch über die Villen, die nicht mehr stehen. Die Villa Heckel im Rotenbühler Weg gehörte einer Industriellenfamilie und war aus Holz gebaut. Im Ersten Weltkrieg wurde aus dem Privathaus ein Erholungsheim für Kriegsversehrte. Eine Postkarte aus dieser Zeit hat unser Gästeführer dabei. Im Zweiten Weltkrieg ist die Villa Heckel verbrannt und wurde nicht mehr aufgebaut.

Villa Röchling

Bleiben noch die Villa Röchling und die Villa des Gründers der Hela-Märkte Heinrich Lambert, beide im Kohlweg.

Die Villa Röchling, heute Villa Europa, kann man zu Fuß umkreisen. Vom Park aus hat man einen besonderen Blick auf die Stadt und von Markus Philipp kann man mehr erfahren. Die Villa gehörte dem Bankier Röchling, der sich ein Kutscherhaus, einen Park und ein neobarockes Gebäude leisten konnte. Das Privathaus war mehr als weitläufig, denn im Laufe der Jahre bot es Platz für ein Kinder-Erholungsheim, für ein Altenheim, für das deutsch-französische Internat und jetzt für die deutsch-französische Hochschule. Die Villa Europa ist Veranstaltungsort und für Besucher offen. „Sie ist eine der schönsten erhaltenen Villen in Saarbrücken und ein erfreuliches Beispiel der Saarbrücker Villenkultur“, meint unser Gästeführer.

Stadtrundgang bei Geographie ohne Grenzen

Wir gehen weiter an der 1924 erbauten Villa Lambert vorbei, in Richtung Kirche Maria Königin und von dort zurück zu unserem Ausgangspunkt, dem Alten Friedhof.

Markus Philipp hat unterwegs so viel zu erzählen, dass er gerne mal drei Stunden braucht für seinen Stadtteilrundgang. In den letzten 20 Jahren hat er rund 1.000 Gäste auf diesem Weg über den Rotenbühl geführt, er hat die Entwicklungen im Stadtteil mitverfolgt und so sind seine Geschichten immer länger geworden. Und: Er erzählt eben gerne und spricht gerne vor Leuten, das hat er in der Theater AG des Gymnasium am Rotenbühl gelernt. Und so hängt eben alles miteinander zusammen.

Den Stadtteilrundgang mit Markus Philipp kann man bei Geografie ohne Grenzen buchen. Die Teilnahme kostet 10 Euro, ermäßigt 7 Euro. Wer einen eigenen Termin für eine ganze Gruppe möchte, bekommt das für 190 Euro. Man kann die Führungen aber auch direkt bei Markus Philipp buchen.

Karin Mayer

Auf einen Blick

Kontakt
Geographie ohne Grenzen e. V.
Haus der Umwelt
Evangelisch Kirch Str. 8
66111 Saarbrücken
Tel.: (0681) 30 14 02 89
Di. – Do.: 09.00 – 12.00 Uhr (außer an Feiertagen).
E-Mail: info@geographie-ohne-grenzen.de
Markus Philipp: mp-fuehrt@posteo.de

Öffnungszeiten
Führungen nach Vereinbarung.

Eintritt/Kosten:
10 Euro, ermäßigt 7 Euro, Gruppen 190 Euro

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Ein Thema in der Seundung "Region am Mittag" am 14.08.2024 auf SR 3 Saarlandwelle

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