„Begrenzendes überwinden und Vielfalt zulassen“
Der Erinnerungspfad Höckerlinie Otzenhausen
Eigentlich war Gras über die Höcker des Westwalls am Ortsrand von Otzenhausen gewachsen. Gras, aber auch Moos, Blumen, Sträucher, ja ganze Bäume bedeckten über lange Jahre die „Drachenzähne“ aus Beton. An rund 1.000 Stück davon führt der Erinnerungspfad Höckerlinie entlang.
Der Erinnerungspfad Höckerlinie beginnt am Haus des Vogel- und Naturschutzvereins in der Mariahütter Straße.
Die Grenze und die Verbrechen sichtbar machen
Einen Großteil der „Höcker“, die Panzer am Eindringen ins Deutsche Reich hindern sollten, haben Ehrenamtliche in monatelanger Arbeit von Bewuchs befreit und wieder sichtbar gemacht. Die Grenze und die Verbrechen den Besucherinnen und Besuchern wieder vor Augen führen, sichtbar und verständlich machen, was Nationalsozialismus bedeutet und welche grausamen Blüten er getrieben hat und daraus lernen: Dieses Ziel hat sich die Projektgruppe Erinnerungspfad mit dem Freilegen der Höcker und der Einrichtung des Weges gesetzt.
Die Botschaft
Die ersten Meter des Weges laufen parallel zur Autobahn A 62, zunächst vorbei an freigelegten Höckern, dann folgt ein Abschnitt, in dem man das Betonbauwerk nur sehen kann, wenn man im dichten Buschwerk danach sucht. Die überwucherten Höcker sollen den Spaziergängern gleich zu Beginn des Weges die wesentliche Botschaft des Erinnerungspfades deutlich machen. So wie die Natur Grenzen überwinden kann oder erst gar keine Grenzen kennt, so wie die Natur Vielfalt anbietet und ganz selbstverständlich Lebensraum schafft, so sollte auch der Mensch handeln. Der Weg will also Nazi-Deutschland kein Denkmal setzen, sondern, im Gegenteil, ein Statement sein für Vielfalt, Toleranz und den Abbau von Grenzen.
Gegensätze
Der Weg führt ein kleines Stück durch ein Wohngebiet und biegt anschließend in das Landschaftsschutzgebiet „Westlich Otzenhausen“ ein. Links vom Weg: massive Betonklötze, rechts blühende Landschaften. Ein Gegensatz, der den Weg fortan nicht nur geschichtlich interessant, sondern auch landschaftlich reizvoll gestaltet.
Fünf Installationen
Und noch ein drittes Element gesellt sich dazu: die Kunst. Insgesamt fünf Installationen von regionalen Künstlern laden die Spaziergänger dazu ein, sich intensiver mit Krieg und Frieden, mit Rassismus, Ausgrenzung und Zwangsarbeit auseinanderzusetzen. Dabei wurden die Kunstformen sehr unterschiedlich gewählt: Die erste Installation Der Rufer besteht aus drei Plastiken, ein Arrangement von verbranntem Holz, Metallkonstruktionen und Streetart sind weitere Formen.
An einer ausführlichen Infotafel über den Westwall biegt der Weg nach links ab, zwischen den Höckern hindurch, ins Dickicht des Landschaftsschutzgebietes. Die Strecke verläuft nun auf dem äußeren Betonfundament der Anlage. Die Höckerlinie ist in fünfreihiger Bauweise angelegt. Links, in der Mitte und rechts verlaufen breite Betonfundamente, die durch Querfundamente verbunden sind.
2.800 Kubikmeter Beton
Darauf erheben sich jeweils fünf Höcker nebeneinander, einer größer als der andere. Insgesamt wurden für die Panzersperre bei Otzenhausen 2.800 Kubikmeter Beton verbaut. Das hat die Projektgruppe Erinnerungspfad ausgerechnet. Damit hätte man rund 150 Bodenplatten für Einfamilienhäuser gießen können.
Panzersperren statt Wohnungen
Und das hätte man besser auch getan: Als die Anlage Ende der 1930er Jahre errichtet wurde, fehlten in Deutschland über eine Million Wohnungen. Doch die konnten nicht gebaut werden: Alle Arbeitskräfte, Maschinen, Baumaterial wurden gebraucht, um den Westwall, also die befestigte Westgrenze des Deutschen Reiches zu errichten. Insgesamt ist er 630 Kilometer lang und zählt 18.000 Bunker, Panzersperren und Gräben. 120.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche mussten der Anlage weichen.
Der Wall sollte nicht nur die Grenze sichern: Er sollte gleichzeitig den Nazis den Rücken freihalten, für Offensiven im Osten. Er sollte zudem der Bevölkerung Sicherheit vermitteln und letztlich die Überlegenheit der nationalsozialistischen Ideologie demonstrieren.
Für den Bau des Westwalls waren zeitweiße eine halbe Million Menschen beschäftigt, viele davon Zwangsarbeiter, die zur Zeit des Baus in Baracken oder bei Familien untergebracht wurden. Die Erinnerungen einer Zeitzeugin findet man auf einer Infotafel an der Strecke:
„Ich erinnere mich daran, dass im August 1938, zur Kirmes in Otzenhausen, ich war zwölf Jahre alt, ein einmotoriges Flugzeug auf freiem Feld landete, Offiziere den Ort inspizierten und kurz danach die Arbeiten zum Westwall mit Bunkern und Höckerlinie begannen. Bei uns zu Hause waren während der Westwallarbeiten zwei junge Männer aus Annaberg im Erzgebirge einquartiert.“
Nach zwei scharfen Kurven im Wald führt der Weg auf dem letzten Abschnitt zwischen Wiesen hindurch. Eine Bank lädt zum Verweilen ein. Ein verlassener Spind erinnert daran, wie viele Schicksale der Zweite Weltkrieg forderte. Das Kunstwerk trägt den Titel tuesday 45. Der Besucher kann in die einzelnen Fächer hineinschauen und findet darin teilweise Skulpturen, teilweise Texte und Bilder und in manch einem auch sich selbst im Spiegel.
Der Erinnerungspfad Höckerlinie wurde im Sommer 2021 eingeweiht. Die Ausschilderung ist eindeutig, die Infotafeln in Deutsch, Französisch und Englisch verfasst. Der Weg ist teilweise geschottert, teilweise asphaltiert, aber an den Stellen, an denen man auf dem Fundament der Höckerlinie läuft sehr schmal. Der Weg gibt besondere Einblicke in die Zeit des Nationalsozialismus in der Region und ist nicht nur für Schulklassen geeignet. Wer mehr darüber erfahren will, findet auf der Internetseite der Gemeinde Nonnweiler ein umfangreiches pädagogisches Konzept für Klassen, Vereine, Jugendgruppen oder Seminare.
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Auf einen Blick
Kontakt
Gemeinde Nonweiler
Trierer Straße 5
66620 Nonnweiler
Tel.: (06873) 66 600
E-Mail: rathaus@nonnweiler.de
www.nonnweiler.de
Öffnungszeiten
ganzjährig geöffnet
Eintritt
Der Eintritt ist frei
Wegdaten
Rundweg: 1 Kilometer, 0,5 Stunden
Start: Haus des Vogel- und Naturschutzvereins, Mariahütter Straße 36, 66620 Nonnweiler-Otzenhausen.
Der Erinnerungspfad ist weder für Rollstuhlfahrer noch für Kinderwagen geeignet.
Ein Thema in der "Region am Mittag" am 26.07.2022 auf SR 3 Saarlandwelle