Parlamentarium
Tour de Kultur 2021: Im Europäischen Parlament in Straßburg gibt es Politik zum Anfassen
Über zwei Millionen Touristen pro Jahr besuchen das Münster in Straßburg – wenn nicht gerade Corona ist. Aber die Stadt hat noch eine weitere große Sehenswürdigkeit, die man sich unbedingt ansehen sollte: das Europäische Parlament. Zugegeben, die moderne Architektur im Europa-Viertel mit viel Glas und Stahl wirkt ein bisschen kühl und unnahbar, so wie manche Menschen vielleicht auch die EU als sehr abstraktes Konstrukt empfinden. Aber es lohnt sich, hinter diese Fassaden zu schauen. Denn dahinter steckt eine Menge Leben.
Vom Leben der EU-Abgeordneten
Davon berichten kann zum Beispiel Kirsten Oudiné. Sie ist Deutsche, lebt in Frankreich und führt seit vielen Jahren interessierte Gruppen durch das Gebäude. Mit viel Engagement und Wissen erzählt sie vom Leben der EU-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier: „Unsere Abgeordneten teilen sich ihre Arbeitszeit zwischen Brüssel, Straßburg und ihren Wahlkreisen.“ Konkret heißt das, viel unterwegs zu sein, so Kirsten Oudiné: „Eine Woche im Monat in Straßburg und den Rest in den Fachausschüssen, in den Fraktionen in Brüssel und dann auch noch im Wahlkreis.“
Ein Multimedia-Gudie zur Veranschaulichung
Anschaulich wird die politische Arbeit und das Leben im Parlament durch den Multimedia-Guide, den man zu Beginn des Besuchs erhält. Er enthält erklärende Videos, die man sich auf Deutsch ansehen kann. Damit ausgerüstet, geht es in das Herzstück des Gebäudes, den Plenarsaal.
Auch während der Wochen, in denen keine Abgeordneten anwesend sind, wird der Plenarsaal genutzt. Zum Beispiel für die Euroscola. Das ist ein Programm, bei dem Jugendliche aus allen EU-Staaten nachspielen, wie es ist, als Mitglied des Europäischen Parlaments zu arbeiten. Von den Besucherrängen aus kann man das Geschehen unten im Saal beobachten und über Kopfhörer alle Reden mitanhören und verstehen – obwohl die Abgeordneten in ihrer Landessprache sprechen. „Das ist das Interessante und wirklich Einzigartige hier im Europaparlament“, begeistert sich Kirsten Oudiné. „Jeder Abgeordnete hat das Recht, in seiner Sprache zu reden, schreiben, lesen und hören. Das heißt, das Parlament arbeitet im Moment in 24 offiziellen Amtssprachen. Und deswegen haben sie überall hier im Plenarsaal auch die Dolmetscherkabinen. Das heißt, sie können in Deutsch reden, und die deutsche Dolmetscherkabine verdolmetscht das dann in den anderen Sprachen. Das ist nicht nur so für die Abgeordneten, sondern auch für uns Bürger. Wir haben das Recht in unserer Sprache zu verstehen, was da unten gerade passiert.“ Deshalb wird jede Sitzung live im Internet übertragen und in alle 24 Landessprachen übersetzt.
Das Parlamentarium
Weiter geht es ins Parlamentarium. In dieser interaktiven Ausstellung kann man sich an bunt leuchtenden Tischen durch Videos, Audios, Texte und Animationen klicken. So erfährt man zum Beispiel, welche positiven Auswirkungen neue Gesetze konkret in einzelnen Städten der EU haben. Außerdem gibt es Fotos der einzelnen Abgeordneten. Wenn man darauf klickt, bekommt man Informationen über Nation, Parteizugehörigkeit und Wahlkreis. Interessant ist zum Beispiel zu lernen, dass die Abgeordneten im Parlament nicht getrennt nach Nationen sitzen, sondern in länderübergreifenden Fraktionen und dort nach Alphabet. So sitzt eine Französin beispielsweise neben einem Griechen und einer Portugiesin.
Für viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier sei die Woche im eher kleinen Straßburg eine Besonderheit, weiß Kirsten Oudiné zu berichten. „Vor allen Dingen auch ein Ort, wo man sich trifft. In Brüssel verläuft sich das auch öfter mal, aber hier ist alles ein bisschen mehr konzentriert. Da kann man auch mal mit einem Kollegen aus einer anderen Fraktion oder einem anderen Fachausschuss, den man weniger sieht, einen Kaffee zusammen trinken. Das ist ein wichtiges Moment der Straßburger Sitzung.“
Ein Blich in den Tagesablauf eines Abgeordneten
Das Parlamentarium vermittelt außerdem einen Eindruck vom Tagesablauf der Menschen, die uns im EU Parlament vertreten. „Die Abgeordneten haben ein sehr vielfältiges Programm hier während der Sitzungswoche“, so Gästeführerin Kirsten Oudiné. „Sie verbringen natürlich einen Teil im Plenarsaal. Vor allem gegen zwölf Uhr, da sind die Abstimmungen. Da sind dann alle im Plenarsaal. Und anderweitig gibt es Pressekonferenzen, viele laden auch Bürger aus ihren Wahlkreisen hier ein. Wir haben über 10.000 Besucher während der Sitzungswoche hier. Dann Pressekonferenzen, Delegationssitzungen, Fachausschüsse sitzen nochmal zusammen, also die Abgeordneten haben wirklich von morgens bis abends ein volles Programm hier.“
Für Besucherinnen und Besucher besonders beeindruckend: das 360-Grad-Kino. Ein ellipsenförmiger Saal, in dem man auf drehbaren Stühlen in der Mitte Platz nimmt, während über die Wände um einen herum die Bilder des Films fließen. Die Filme dauern nur wenige Minuten und behandeln verschiedene Themen. Zum Beispiel geht es um die Frage, welche Herausforderungen in Zukunft vor der Staatengemeinschaft liegen. Beispielsweise Steuerfragen, Umgang mit Terrorismus, Digitalisierung, Grenzschutz und Migration.
Die Glasfassade - Sinnbild für Tranparenz
Auch die auf den ersten Blick kühle Fassade bekommt einen tieferen Sinn für alle, die sich an einem Modell über die Symbolik in der Architektur des Gebäudes informieren möchten. So erfährt man beispielsweise, dass die riesige Glasfassade hin zu den Ufern der Ill und des Rhein-Marne-Kanals die Transparenz der demokratischen Prozesse in der Europäischen Union versinnbildlichen soll.
Lebendig wird das imposante Gebäude aber vor allem dadurch, dass man bei einem Parlamentsbesuch erfährt, wie viele Menschen darin sehr engagiert arbeiten, diskutieren und auch entscheiden.
Und zum Abschluss ein ganz besonderes Foto
Zum Abschluss können sich Besucherinnen und Besucher in einer grünen Foto-Box selbst fotografieren und als Hintergrund verschiedene Einstellungen des Parlaments auswählen. Wer dann zu Hause sein E-Mail-Postfach öffnet, findet dort sein Foto als Erinnerung zum Ausdrucken fürs Reisetagebuch.
Auf einen Blick
Europäisches Parlament Straßburg
Louise Weiss Gebäude
1, Allée du Printemps
F-67070 Straßburg Cedex
E-Mail: VisitsSTR-indiv@europarl.europa.eu (Kontakt für Einzelbesucher)
E-Mail: VisitsSTR-DE@europarl.europa.eu (Kontakt für Gruppen)
Internet: europarl.europa.eu
Öffnungszeiten
Montag bis Samstag: 9.30 - 12.00 Uhr und 13.00 - 17.00 Uhr
Um Zutritt zu den Gebäuden des Europäischen Parlaments zu erlangen, muss vor Ort ein Identitätsdokument vorgezeigt werden (Personalausweis oder Reisepass). Außerdem gibt es eine Sicherheitskontrolle ähnlich wie am Flughafen. Wegen der Corona-Pandemie gelten besondere Vorsichtsmaßnahmen. Bitte immer vor einem Besuch die aktuellen Regeln, Öffnungszeiten und Vorschriften auf der oben genannten Internetseite des Parlaments nachlesen oder per Mail anfragen!
Eintritt
Der Eintritt ins Parlament und das Parlamentarium ist kostenlos, ebenso das Ausleihen des Multimedia-Guides.
Anfahrt
Über die A4 nach Straßburg fahren, dort die Ausfahrt 1 Richtung Wacken nehmen, im Kreisverkehr die dritte Ausfahrt Richtung Wacken, nach 2,7 Kilometern rechts auf die Rue Frédéric-Guillaume-Raiffeisen abbiegen. Nach etwa einem Kilometer bei der Straßenbahnhaltestelle „Parlement Européen“ rechts abbiegen auf die Rue Lucien Febvre, dann fährt man direkt auf das Parlament zu. Am besten parkt man am Straßenrand oder in einem der vielen Parkhäuser im Europäischen Viertel.
Tipp
Je nach Wetterlage ist das Dach des Parlamentsgebäudes freigegeben. Von dort hat man einen wunderbaren Blick über die Stadt.